Airbus frisst sich durch die Felder
Erkundungen im Obstanbaugebiet Neuenfelde vor den Toren Hamburgs
Öffentliche Botschaften sind in Neuenfelde traditionell auf Holz angebracht. Die Prunkpforten und Giebel der Fachwerkhäuser am Südwest-Zipfel Hamburgs zieren Sinnsprüche, die die Menschen durch die Zeiten leiten sollen: »Am guten Alten in Treue halten, am vernünftig Neuen sich stärken und freuen.«
Seit einigen Jahren finden sich im 5200-Einwohner-Dorf Botschaften auch auf Schildern und Transparenten am Straßenrand: »Keine Landebahn in Neuenfelde«. Der Ausbau der Airbus-Landebahn in Finkenwerder 589 Meter südwestlich nach Neuenfelde hinein - ob dieses Neue vernünftig ist, ob die Bewohner sich daran stärken und freuen sollten, wurde in den vergangenen Monaten in Hamburg teils verbittert diskutiert. Der Luftfahrtkonzern verlangt die Verlängerung der Landebahn, um dort die Frachtversion seines Großflugzeugs 380F ausliefern zu können.
Mit dem Verkauf von vier »Schlüsselgrundstücken« durch den Obstbauern Cord Quast an die Stadt Hamburg steht der Realisierung des Ausbaus nun nach Ansicht des Senats nichts mehr im Wege. Doch die Diskussion ist damit lange nicht zu Ende. Für den Neuenfelder Muhammad Ali Abdennadher hat der Streit »mit den Menschen wenig zu tun, sondern ist eine Frage von Arm und Reich. Für die Eigentümer sinken die Grundstückswerte, wer zur Miete wohnt, spekuliert auf Arbeitsplätze.« Viele seiner Mitbürger winken beim Thema Airbus nur noch ab, das Bedürfnis nach Ruhe ist groß. »Wir halten uns da alle raus«, sagt der Filialleiter von Edeka, ehe er verrät, »für den Verkauf« zu sein.
Einige Meter weiter ist die Ruhe schon eingekehrt. Der Edeka-Frischemarkt Clausen liegt am Anfang der Hasselwerder Straße. Hier, nahe dem Airbus-Gelände, hat die Stadt 50 Häuser gekauft, die nun leer stehen. Am Tage ist die Ruhe unsichtbar. Doch wenn es dunkel wird, aktivieren Zeitschaltuhren die Glühbirnen in den verlassenen Gebäuden, um keinen Eindruck einer Geisterstadt zu erwecken. Aus dem Leerstand leuchtet die verbliebenen Bewohner die Botschaft vom Fortschritt an.
Fortschritt haben die Bewohner des über 900 Jahre alten Dorfes bisher meist in der Auseinandersetzung mit den Naturgewalten definiert. Der flutenden Elbe musste Land abgerungen und urbar gemacht werden, noch heute ist Neuenfelde stark vom Obstanbau geprägt. 200 Betriebe ernten hier und im benachbarten Finkenwerder, Äpfel aus dem Alten Land haben einen erstklassigen Ruf - auch am anderen Elbufer. »Bei vielen ist noch nicht angekommen, dass da ein Dorf hinter steht mit 5000 Leuten, die "Hallo, wir leben noch" sagen.«
Für Peggy Moritz ist Neuenfelde die »falsche Standortentscheidung«: »Wenn ich ein Grundstück mit See kaufe, weiß ich, dass ich darauf nicht bauen darf«, sagt die 37-jährige Bankfachwirtin vom »Schutzbündnis für die Elbregion«, die in den vergangenen Wochen das Medieninteresse miterlebt hat. In der Hamburger Presse waren die Airbus-Gegner wahlweise Rebellen, Verbohrte oder Bockige, deren Verhalten eine »Nagelprobe für den Standort Deutschland« (Hamburger Abendblatt) heraufbeschwor. »In Rostock sind Flächen ohne Ende vorhanden, da hätten sich die Leute gefreut«, meint Moritz.
Das industrielle Renommierprojekt nach Mecklenburg zu verlegen, wäre unvereinbar mit dem Konzept der »wachsenden Stadt«, das in der Agenda von Ole von Beust ganz oben steht. Den Widerstand gegen die Landebahnverlängerung bezeichnete Hamburgs Bürgermeister unlängst als »unpatriotisch«, ein Vorwurf, mit dem Moritz' Mitstreiterin Gabi Quast nichts anfangen kann: »Ich halte es durchaus für patriotisch, dagegen zu kämpfen, dass 750 Millionen Euro in die Elbbucht geschüttet werden«, sagt Quast und verweist damit auf die städtischen Kosten zur Planierung des Süßwasserwatts »Mühlenberger Loch« für Airbus-Werkhallen. Für die 44-jährige Obstbäuerin ist das Airbus-Projekt eine »völlig einseitige industriepolitische Förderung«, eine »Lachnummer« sei es zumal, da der Konzern nicht einmal für die 100 direkt mit dem Bau des Auslieferungszentrums anvisierten Arbeitsplätze eine Garnatie übernehmen wollte.
Gabi Quast ist Sprecherin des Schutzbündnisses. Die Frontfrau der Airbus-Gegner ist als »Jeanne d'Arc der Obstbauern« bezeichnet worden, doch historische Vergleiche sind nicht die Sache der Aktivistinnen. »Wir sind kein Volk von Galliern, die mit Schwertern und Lendenschurz rumlaufen. Keiner hier ist gegen Technologie«, beteuert Peggy Moritz und verweist auf unklare Aussagen in verschiedenen Gutachten. Tatsächlich stellte die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft »Deloitte« fest, dass mit einer Nicht-Erweiterung »ein erheblicher Imageschaden für den Standort« verbunden sei. Die mittelfristigen Arbeitsplatzeffekte schätzten die Prüfer allerdings zurückhaltend und abhängig von zukünftigen Airbus-Entscheidungen ein.
Für Gabi Quast hat sich durch den Verkauf von - dem nicht mit ihr verwandten - Cord Quast nichts Wesentliches geändert. Das Oberverwaltungsgericht hatte im August einer Enteignung der Airbus-Gegner auf Grundlage der bisherigen Senatsplanung widersprochen. »Wir warten jetzt auf den neuen Plan«, kündigt die Schutzbündnis-Sprecherin weitere Klagen an und vermutet, das neue Planfeststellungsverfahren werde unstimmig sein und »die Leute zum Lachen bringen«.
Der Senat will mit einer Sondergenehmigung der Flugsicherheitsbehörde und einer veränderten Trassenführung der Umgehungsstraße eine Situation schaffen, in der auf zwei bislang benötigte Privatgrundstücke verzichtet werden kann. »Dadurch«, so Gabi Quast, »entstehen auch wieder neue Betroffenheiten«. Währenddessen wird Cord Quast, von der »Bild« erst als »Prozesshansel« abqualifiziert, der »den Industriestandort Deutschland boykottiert«, nun vom selben Blatt als »schlauer Bauer« gefeiert. »Wenn ich das Land verkaufe, trage ich dazu bei, dass sie Neuenfelde Stück für Stück kaputtmachen«, mutmaßte der 54-Jährige noch im Oktober.
Inzwischen hängt an seiner Haustür ein Schild: »An alle Vertreter der Medien: Wir, Familie Quast, geben keine Interviews und bitten Sie, unser Grundstück zu verlassen.« Sein Anwalt Michael Günther erklärte, Quast sei durch den »erheblichen öffentlichen Druck immer stärker in Isolierung« geraten und habe schließlich doch die Enteignung seines Geländes befürchtet. Als Gegenleistung zu seinem Verkauf holte der Obstbauer einige »Leistungen zum Schutz der Kulturlandschaft des Alten Landes und des Dorfes Neuenfelde« heraus, vor allem ein Sperrgrundstück am Rand der verlängerten Piste, das ein weiteres Vordringen des Flugzeugkonzerns ins Dorf verhindern soll. Die Forderungen Quasts seien »zu 80 Prozent erfüllt« worden, taxierte Anwalt Günther.
Doch die gegebenen Garantien seien nicht einklagbar, kritisiert Gabi Quast und argwöhnt: »Wir haben die Stadt bisher nicht als so ehrenhaft kennen gelernt, dass sie sich an Absprachen halten würde.«
Eine Befürchtung macht die Runde: Die wachsende Stadt frisst ihre Vorgärten. Die Hamburger Hafenerweiterung in den Süderelberaum hat in den vergangenen Jahren das Gesicht jahrhundertealter Siedlungen einschneidend verändert. Altenwerders 2000 Bewohner wurden umgesiedelt, vom einstigen Dorf steht nur noch die Kirche einsam inmitten eines Containerhafens. Moorburg mit seinen 1200 Einwohnern hat zwar einen Bestandsschutz bis 2035 erhalten, verwaist aber zusehends. Wird Neuenfelde, dem 1961 durch ein Hafenerweiterungsgesetz vorübergehend die Entsiedlung bevorstand, nun einer ähnlichen Entwicklungsdynamik ausgesetzt?
»Das Durchbrechen des Neuenfelder Hauptdeichs durch Airbus wäre im wahrsten Sinne des Wortes ein Dammbruch für eine vom Osten kommende Industrialisierung des Alten Landes«, schrieb kürzlich Gemeindekantor Karl-Bernhardin Kropf: »Es geht hier um eine tausendjährige Geschichte der Landgewinnung und eine mitunter als republikanisch bezeichnete Kultur ländlicher Selbstorganisation.« Die Neuenfelder St. Pankratius-Gemeinde, in der Kropf Organist ist, stand im Interesse, besitzt die Kirche doch eines der nicht an die Stadt verkauften Grundstücke in Landebahnnähe. Am 23. November brach der Kirchenvorstand die Verhandlungen mit Senat und Airbus ab. Ein Verkauf würde immer noch das Ausbauverfahren beschleunigen und rechtliche Unsicherheiten beseitigen. »Sollte es nicht ohne das Kirchengrundstück funktionieren, wird der Kirchenvorstand bei seiner bisherigen Haltung bleiben«, vermutet Probst Jürgen Bollmann. Der Kirchenvorstand selbst äußert sich nicht mehr, die Gemeindemitglieder schon. »Wir wissen, dass die Wirtschaftsunternehmen nicht ewig bestehen. Und was sie Philosophie nennen, hat mit Geist und Seele nichts zu tun«, hat ein Besucher ins Gästebuch geschrieben. Rückt der Airbus dem Gotteshaus näher, werden Wirbel...
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