Zeitungswendezeiten

Im Herbst 1989 begann ein kurzer journalistischer Frühling

  • Hanno Harnisch
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.
Meine Generation wird wohl nur eine große Zeitenwende erleben wie das Implodieren des Sozialismus im Herbst 1989. Oder war es doch ein Explodieren? Da flog etwas auseinander, was nicht mehr zu ertragen war. Treibend-getrieben bewegten wir uns durch diese Monate. Waren wir doch funktionierendes Teilchen des Systems, das auch von uns befreit werden musste. Als ob das Ventil von einem Schnellkochtopf wegflog. Eben noch verzweifelt am eigenen Tun - noch mehr am Lassen - wurden wir von Berichterstattern zu Journalisten. Erlebten mit, wie sich - just am 18. Dezember in Leipzig - die (s)kandierten Sprüche in »Wir sind ein Volk« wandelten. Wir rannten zu jedem Gespräch mit den Leuten vom Neuen Forum und den anderen jungen Organisationen, staunten in der Gethsemanekirche über einen Gründungsaufruf einer ostdeutschen sozialdemokratischen Partei. Die Kollegen vom erst im September gestarteten Jugendmagazin ELF99 fanden schnell zu einem investigativen Journalismus, der in gelegentlich voyeuristischer Manier mit Tabus brach, wenn gezeigt wurde, was sich hinter bislang streng abgeschirmten Orten versteckte. Karl Eduard von Schnitzler hatte sich im Oktober vom Sender verabschiedet, mit den Worten: »Nicht, dass ich etwas zu bereuen hätte«. Wären im Dezember Wahlen gewesen und das Neue Forum hätte kandidiert, sie wären wohl Wahlsieger geworden. Plötzlich gab es in allen Medien ein Forum für die Bürgerbewegung. Die eben noch restriktiven Staatssozialisten setzten auf »Dialog« mit denen, die sie weghaben wollten, waren froh über die Losung »keine Gewalt«, deren Adressat sich sehr schnell geändert hatte, setzten auf »Erneuerung«. Eine der größten Massenbewegungen (auch unter Journalisten) war dennoch das Verlassen der SED, die gerade zur Partei des Demokratischen Sozialismus werden wollte. Die eine Redaktion war schneller, die andere langsamer, aber alle in Bewegung. Einen Tag vor der Maueröffnung haben sich die Redakteure von DT64 einen neuen Chef gewählt und unserer alten Chefin das Misstrauen ausgesprochen. Rechtsfreier Raum, aber es hat funktioniert. Der Rundfunk bekam bald darauf einen neuen Intendanten. Der gemaßregelte Hans Bentzien wurde am 1. Dezember 1989 Chef des Fernsehens. Zwei Tage später bat die SED-Kreisleitung des Fernsehens die Zuschauer und die vom Dirigismus betroffenen Mitarbeiter des Senders um Entschuldigung. Die »Aktuelle Kamera« wurde zu einer richtigen Nachrichtensendung jenseits der Realsatire ihrer bisherigen Existenz und erreichte Einschaltquoten von 40 Prozent. Viele Medien aus der DDR haben den Eilmarsch in die Bundesrepublik nicht lange überdauert, den ihre Macher oft sogar herbeigeschrieben haben. Mahnende Worte hatten zur Zeitenwende gerade keine Konjunktur. In der »NBI« konnte man erstklassige Reportagen lesen. Als »Extra« gab es noch eine Gnadenfrist. Ab 1991 - vorbei. Die »Wochenpost«, schon zu DDR-Zeiten gerne gelesen, durfte nach ihrer Abwicklung ein kleines Jährchen auf den letzten Seiten der »Woche« dümpeln, und auch die gibts schon lange nicht mehr. Auch die Zeitungen der anderen Parteien der bröckelnden »Nationalen Front« haben die Wende nicht lange überlebt. Die damals auflagenstärkste Zeitung »Junge Welt« (1,6 Millionen, deutlich mehr als das ND!) gibt es heute noch - mit einem knappen Hundertstel der Leser. Am 20. November 1989 feuerten sie ihren damaligen Chefredakteur Hans-Dieter Schütt, um ihn durch den Nachrichtenredakteur Jens König (heute »taz«) zu ersetzen. Das Organ des Zentralrats der FDJ wollte eine »revolutionäre Erneuerung« der DDR und erschien ab 1990 mehrere Monate gar als »Linke sozialistische Jugendzeitung«. Etliche Zeitungen versuchten eine Alternative. So die »taz-ost«, die es immerhin von Februar 90 bis Dezember 91 gab. Und dann wäre da auch noch »die andere« Zeitung. Sie erschien ab Januar 1990. Ihr Vorgänger war ein Infoblatt unter dem Namen »Neues Forum«, Sechs DinA 4 Seiten, 5000 Kopien im Wachsmatrizenformat, mit der ersten Ausgabe am 2. November 89 (»Was nun? Was TUN!«). Auch »die andere« gab es nur zwei Jahre. Gewinner der Zeitungswende sind die West-Verlage, die sich in einem einzigartigen Coup die Ex-Bezirkszeitungen aus dem SED-Medienimperium via Treuhand unter den Nagel gerissen haben. Das ND aber stand nie zum Ausverkauf. Auch nicht, als - noch im alten ZK - eine größere Springer-Delegation unter dem damaligen Vorstandschef Peter Tamm Lothar Bisky auf die Bude rückte und sich brennend für die »Berliner Zeitung« interessierte. Auch nicht, als die SPD-nahe WAZ-Gruppe mehrere Emissäre aussandte. Am 18. Dezember jedenfalls wurden erst einmal - neben dem ND - fast alle seiner kleinen bezirklichen Schwestern »sozialistische Tageszeitung«. Einigkeit herrschte auch, die Dachzeile »Proletarier aller Länder...« aus dem Titel zu nehmen. Einem Vorschlag, in der Unterzeile »Zeitung der PDS« zu schreiben, stimmte Gregor Gysi laut einer Randnotiz auf einem Brief von Lothar Bisky vom 12. Dezember nicht zu.funktionierte die Kommunikationslinie von oben nach unten noch. Doch schon am 17. Januar wollte »Das Volk« in Erfurt nichts mehr mit der Partei und ihrer sinkenden Rolle zu tun haben. Und Lothar Bisky war zu dieser Zeit auch damit beschäftigt, dieses ...

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