Rhinoviren überholen Airbus

Bequem passen 50000 von ihnen auf die Spitze einer Stecknadel. Sie sind winzig, können aber in ihrer Fortbewegung eine Geschwindigkeit erzielen, die einem Airbus zur Ehre gereicht. Jährlich prellen sie die Volkswirtschaften der Industrienationen um dreistellige Milliardenbeträge und zwingen uns dazu, im Mittel drei unserer Lebensjahre mieslaunig und abgeschlagen einer verstopften Nase zu opfern: Rhinoviren.

Rund 110 Typen der Rhinoviren sind bekannt. Durch ständige Veränderung und Anpassung unterlaufen diese Schnupfenauslöser regelmäßig die menschliche Krankheitsabwehr. Eine bereits durchgestandene Infektion schützt also nicht vor erneuter Ansteckung und einen Impfstoff kann es auf Grund der Typenvielfalt nicht geben. Gegen Schnupfen hat die Schöpfung kein Kraut wachsen lassen, denn eine verstopfte Nase ist im Grunde ein harmloses Symptom, das nach einigen Tagen wieder verschwindet. Dennoch sollte man das Zugehen der Nase nicht mit Tatenlosigkeit begleiten. Haben die Rhinoviren erst einmal von der Nasenschleimhaut Besitz ergriffen, binden sie wertvolle Abwehrenergien. Diese Sicherheitslücke nutzen andere Krankheitserreger, um aus dem Nasen-Rachen-Raum über enge Verbindungskanäle in die Nasennebenhöhlen oder durch die Ohrtrompete in das Mittelohr einzudringen. Auch dort gibt es Sekret produzierende Schleimhäute, ideale Nährböden für die Vermehrung eingewanderter Bakterien. Haben die Rhinoviren die Nasenschleimhaut anschwellen lassen, können die Sekrete samt der sich darin tummelnden Eindringlinge nicht aus den Nebenhöhlen und dem Mittelohr abfließen. Schwere Entzündungen sind die Folge. Im Falle der Nasennebenhöhlen macht sich dies mit Abgeschlagenheit, Fieber, Druck in den Wangenknochen und über den Augen sowie klopfendem Kopfschmerz bemerkbar. Heftige Ohrenschmerzen sind das Kennzeichen des entzündeten Mittelohres, dessen Belüftung durch die angeschwollene Nasenschleimhaut verhindert wird. Darüber hinaus sammelt sich das am Abfließen gehinderte Sekret in der Paukenhöhle. Durch einen solchen Paukenerguss kann sich akut das Hörvermögen verschlechtern, weil die für die Schallweiterleitung zuständigen Gehörknöchelchen nicht mehr ausreichend schwingen können. Schallwellen werden dann nicht mehr vollständig über das Trommelfell an das Innenohr weitergeleitet. In diesem Fall sprechen HNO-Ärzte von einer Schallleitungsschwerhörigkeit, die dann verschwindet, wenn die aufgestaute Flüssigkeit wieder abfließen kann. Wenn im Mittelohr bereits bestimmte Viren vorhanden sind, kann es sogar zu dramatischen Komplikationen kommen. Dann zerstören die Viren auf Grund der eingeschränkten Abwehrlage die im Ohr vorhandenen und für das Hören wichtigen Haarsinneszellen. Dieser Prozess, an dessen Ende eine Schwerhörigkeit steht, ist nicht mehr umkehrbar. Damit es erst gar nicht soweit kommt, sollte man bei einem Schnupfen ein paar einfache Dinge beachten. Mit Inhalationen (Wasserdampf reicht in den meisten Fällen) oder Salzwasserlösungen die Nasenschleimhäute feucht halten. Das fördert den Sekretabfluss. Nasensprays lassen die Schleimhäute abschwellen und halten damit die Verbindungen zu den Nebenhöhlen und zum Mittelohr offen. Dabei sollte man allerdings auf konservierungsmittelfreie Präparate achten, da Substanzen wie das häufig verwendete Benzalkoniumchlorid zusätzliche Reizungen verursachen können. Die Wirksamkeit pflanzlicher Mittel ist bislang nicht eindeutig bewiesen. Präparate, die Cineol, Menthol, Myrthol oder Campher enthalten, sollten bei Säuglingen und Kleinkindern nicht angewendet werden, weil sie Bronchialkrämpfe, asthmaähnliche Reaktionen, sogar Atemstillstand auslösen können. Rhinoviren fühlen sich am wohlsten bei Temperaturen zwischen 3 und 33 Grad, also unterhalb der normalen Körpertemperatur. Das erklärt auch unsere Schnupfenanfälligkeit im Sommer, wenn der Körper in klimatisierten Räumen abkühlt. Besser ist es, den Kopf mit Schal und Mütze vor dem Auskühlen zu bewahren. Schließlich gilt: Viel trinken und vitaminreiche Kost. Und nicht vergessen, auch wenn's an längst vergangene Kindheitstage erinnert: Hand vor den Mund. Damit bremst man den durch Niesen gestarteten Flug der Rhinoviren, die bis zu 800 Stundenkilometer schnell und meterweit fliegen können. Auf den freundlichen Händedruck zur Begrüßung sollte man bei einem Schnupfen ebenfalls verzichten. Die gut gemeinte Geste erlaub...

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