Der Clown ist krank, die Show geht weiter

Roncalli zeigt nach langer Abwesenheit wieder artistische Spitzenleistungen im Tempodrom

  • Matthias Busse
  • Lesedauer: 3 Min.
Auch Clowns werden krank. Zur Berlin-Premiere von »Roncallis Weihnachtscircus« hatte es Zippo erwischt. Hinter der roten Nase verbirgt sich sonst der Prinzipal persönlich. Nun müssen die ersten Vorstellungen ohne Bernhard Paul laufen. Dabei hatte er sich schon so darauf gefreut, nach fünf Jahren endlich wieder in Berlin gastieren zu dürfen. Mit dem Tempodrom war nun ein Spielort in der City gefunden, wo das Konzept Roncalli aufgeht. Dieses will durch circensische und theatralische Mittel das Publikum in kindliches Staunen versetzen. Aber die einstige Seifenblasen-Poesie des Clowns Pic ist inzwischen der ruppigen amerikanischen Comedy des Broadway-Künstlers David Shiner gewichen. Mit Spitzhut und bunter Weste macht er seine Späße nicht nur zusammen mit Helfern aus dem Publikum, sondern auch auf ihre Kosten. Wenn Shiner sogar seine Slapsticks unterbricht, um ein weinendes Kind durch Grobheiten zum Verstummen zu bringen, dann scheint die Weihnachtszeit fern. Mit der manchmal derben und energischen Art der traditionellen Weißclowns hat das nichts mehr zu tun. So einen Typ verkörpert Pipo (Philippe Sosman), der die »dummen Auguste« nicht herabwürdigt. Das Spiel des Trios, zu dem Petit Gougou (Alain André) und Sandro (Sandro Roque) gehören, basiert auf Missverständnissen und aufgedeckten menschlichen Schwächen. Das Gesamtkunstwerk Roncalli wich wieder einem Nummernprogramm - auch wenn sich zuweilen das Zirkusorchester hydraulisch samt Manegeneingang ins Rund neigt, um sich mit den Artisten zu einem Rock 'n' Roll-Konzert zu vereinigen. Revuehaft verbunden werden die Darbietungen durch Tänzerinnen, die mal als Samba-Girls erwärmen, mal als Harlekine Narrheiten treiben. An akrobatischen Höchstleistungen ist einiges zu bewundern, allen voran das Quartett Rokashkov, das übrigens wie viele heute international bekannte Artisten von Bernhard Paul entdeckt worden ist. Die drei Russen werden von einer Frau zu risikoreichen rasanten Sprüngen und Umschwüngen am Viererreck verführt. Der Harmonie dieser Aktion ist das Duo Ana Ayromlou und Oliver Jubin auf ganz andere Weise ebenbürtig. Zu spanischen Klängen umwirbt der Mann die Frau auf Andalusier-Hengsten. Das Pas de deux zu Pferd und zu Fuß ist originell, wenn auch nicht von größtem Schwierigkeitsgrad. Dass das auch nicht immer sein muss, beweisen die Jonglagen der Großfamilie Ramirez. Die Nummer lebt von der komischen Figur der »Großmutter«, die nicht im Zirkuswagen bleiben will. Familienoberhaupt Manolo Alvarez wiederum versteht es meisterhaft, drei Bälle im Mund zu jonglieren oder zahlreiche bis unter die Saalkuppel geworfene Teller zielsicher aufzufangen. Einige der Familienmitglieder finden sich wieder in der Ouzo Metaxa Truppe, einer witzigen Schleuderbrettdarbietung, oder als meisterhafte Handstandkünstlerin Jaqueline Alvarez. Die neueste internationale Roncalli-Entdeckung sind die Strangers aus Russland, die auf schweren Meter hohen Perchen bis zu drei Partnerinnen freihändig auf der Stirn balancieren. Das ist Zirkuskunst, die unglaublich erscheint und von der Bernhard Paul meint, dass sie wieder stärker nach Berlin gehört. In einen dicken Mantel gehüllt appellierte er trotz Fiebers, trotz aller finanziellen Diskussionen um das Tempodrom nicht vergessen, das dieser Bau auch für Zirkus ein hervorragender Bau ist, der an die Vorkriegstradition der festen Häuser von Renz oder Busch erinnert und im Winter Schutz vor Kälte bietet. Clown Zippo hat das diesmal jedoch nichts genutzt. Bis 2. Januar, Mo.-Sa. 20, So. 19 Uhr; zusätzlich Mi., Sa., So. 15 Uhr (auch feiertags); am 24.12. nur 14 Uhr; Silvester 16.30 und 20 Uhr: Galakonzert des DSO mit Roncalli-Artisten. Tempodrom, Möckernstraße 10, Kreuzberg. Karten am Telefon 01805170517.

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