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Sehnsucht, schöne Ewigkeit

Die Berliner Shakespeare-Company macht farbiges off-Theater

  • Katrin Lange
  • Lesedauer: 5 Min.
Theater liefert Gegenentwürfe zur real existierenden Wirklichkeit: Veränderung wird denkbar - herzliche Grüße aus Niemandsland, woher die Träume kommen und manchmal auch Zündfunken für Rebellion. Weil Staatskunst im Frack unter dieser hoch liegenden Messlatte meist ganz unten durchkriecht, kommt den Bühnen der off-Szene besondere Verantwortung zu.
Seit 1999 hat sich die Shakespeare-Company zu einem wichtigen Mitglied der Berliner off-Szene entwickelt. Gut zwei Hände voll Schauspieler sind zu einem Ensemble zusammengewachsen. In diesem Sommer bezog die Truppe ein »festes Haus«: ein bunt gestreiftes Zirkuszelt im Mauerstreifen hinter der East-Side-Gallery, Kreuzberg im Rücken. Das Haus soll noch viel fester werden; ein »Globe Theatre« ist geplant. Drei Stücke des großen Meisters, der nicht nur Namens-, sondern Lebenspatron ist, stehen mittlerweile auf dem Spielplan. »Ende gut, alles gut« hatte 2002 Premiere, »Wie es euch gefällt« 2003, »Der Sturm« im Sommer dieses Jahres. Drei verschiedene Regisseure inszenierten - der gemeinsame ästhetische Wille der Truppe wird erkennbar.
Freundliche junge Leute heißen den Zuschauer im Zelt willkommen, sorgen sich mit Kissen um die Durchhaltefähigkeit seiner Sitzfläche, verkaufen Programmhefte - und entpuppen sich hernach als die Schauspieler höchst selbst, deren Sache das ganze Theater ist, nicht nur die darstellende Kunst. Drinnen staunt der Zuschauer weiter: kein Vorhang, keine Dekoration, keine Bühnentechnik - ein Holzpodest, von Tribünen umgeben, nichts sonst. Nichts? Alles ist da, was Theater ausmacht: die Rampe - gedachte Linie zwischen denen, die schauen, und denen, die Anzuschauendes darbieten. Die Schauspieler sind auf der Spielfläche allein. Nur sie sind wichtig.
Die fröhliche Kommunikation, in die sie mit dem Publikum getreten sind, noch bevor es richtig losging, dauert den ganzen Abend über an. Jeder Darsteller spielt mehrere, oft extrem unterschiedliche Rollen. Unablässig wird die Fantasie herausgefordert: ein Reiter zugleich sein Pferd, verschlungene Körper ein knorriger Baum, zwei lächelnde Gesichter und eine gesummte Renaissance-Melodie der Liebesakt ...
Die Schauspieler spielen mit uns; und wir überlassen uns ihnen gern. Am konsequentesten ist das selbst gewählte Volkstheater-Konzept wohl in »Ende gut, alles gut« umgesetzt. Das für moderne Zuschauer durchaus schwierige Stück, in dem eine Frau den abgeneigten Gatten mittels einer Intrige ins Bett zerrt, erweist sich als einfache, auch zarte Beziehungskiste: Das Paar, das sich seit Kindesbeinen kennt, hat seine Schwierigkeiten mit dem Erwachsenwerden; sie begreift vor ihm, dass zwischen ihnen mehr ist, dann begreift er's auch - endlich, gut, Zähmung des Widerspenstigen.
Der fröhliche Klamauk, der die Story auffüllt, kommt antimilitaristisch daher; der kriegerische Bramarbas nimmt die Kappe des friedfertigen Narren. Vielleicht haben William und die Seinen so oder ähnlich ihr Theaterspiel betrieben.
Victor Calero, der melancholische Jacques und der Gezähmte in »Ende gut, alles gut« und eine Hand voll Clowns noch dazu, ist ein Schauspieler von der seltenen Art, dem das Publikum »aus der Hand frisst«. Befragt nach Gründen und Absichten des Theaterprojekts, spricht er von der Erkenntnis des Lebens mit Shakespeares Hilfe. Christian Banzhaf, unter anderem ein überaus musikalischer Narr in Ende gut, alles gut«, beschwört die »Ewigkeit« von Gefühlen wie Liebe, Trauer, Eifersucht in Shakespeares Stücken. Und Christian Leonard schließlich, der künstlerische Leiter der Truppe, beschreibt sein Motiv für die Beschäftigung gerade mit Shakespeare: »Sehnsucht. Sehnsucht nach Annäherung, nach Begegnung, nach Gemeinsamkeit.«
Eben darin besteht offensichtlich das Erfolgsgeheimnis der Company: Entschlossen, mit der ganzen Kraft und der nachdrücklichen Lebensfreude einer verschworenen Gruppe bauen die Companions an einer Mauer gegen das Herandringen von Kälte, Vereinzelung, Düsternis - sie nehmen uns, die Zuschauer, mit hinein in den geschützten Raum. Auf dass wir stark und fröhlich werden wie sie. Kälte, Vereinzelung, Düsternis sind damit nicht verschwunden - aber sie bleiben draußen, wir sind drinnen. Und sind kräftiger als zuvor, wenn wir wieder hinaus müssen.
Anderes, das mit Shakespeare auch geht, bleiben sie uns - noch? - schuldig. Denn unter der überquellenden Heiterkeit der Komödien lauern Abgründe. In »Ende gut, alles gut« gibt es eine lustige Szene mit der (angeblichen) Folterung eines (angeblichen) Kriegsgefangenen - deren Assoziationskraft schaudern macht. »Wie es euch gefällt« und »Sturm« spielen vorm wüsten Hintergrund von Machtmissbrauch und Brudermord. Leider gehen derlei ernste Dinge in der allgemeinen Fröhlichkeit ziemlich unter. Wie überhaupt über das freundliche Lebensgefühl der Ermutigung hinaus kaum etwas über die Rampe kommt von einer - im weitesten Sinne des Wortes - politischen Haltung. Mal sehen, welche Potenzen in der offenen, selbstbewussten, fröhlichen Spielweise für die Arbeit an Tragödien stecken: Eins der nächsten Projekte der Truppe soll »Othello« sein.
Zwar hat sich ein Verein (shake hands e.V.) mit ungefähr 40 Mitgliedern die Sorge um die Finanzierung des Theaterprojekts als Ziel gesetzt. Aber die Company erhält keinerlei finanzielle Hilfe von Staats oder Landes wegen. Was eine Schande ist. Vielleicht bekämen sie trotz immer neuer Anträge deshalb nichts, vermutet Christian Leonard und grinst, weil die Verantwortlichen wüssten, dass sie trotzdem und auch ohne Hilfe weiter arbeiten.
Die Künstler gehen nebenher nach Brot, manche von ihnen notgedrungen auch außerhalb des Berufs. Christian Leonard jedenfalls hat sich vorgenommen, das Berliner Globe zu einem mittelständischen Betrieb mit festen Arbeitsplätzen zu entwickeln - so, wie es einst das Londoner Globe war.
Nur: Für ein Volkstheater ähnlich dem des großen Shakespeare, darin die Zuschauer schauen, kommunizieren, essen, trinken, also schlichtweg leben, und wohin sie immer wieder kommen - für ein solches festes Haus sind die Eintrittspreise einfach zu hoch. 12 für Arbeitslose, Rentner, Schüler, für den betuchteren Rest 20 - woher das im Falle der Not nehmen? Aber wie sollten die Preise unter den gegebenen Bedingungen niedriger sein?

Seit Oktober gastiert das Theater in den alten Bundesländern, Österreich und der Schweiz. Informationen unter: www.shake-berlin.de
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