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  • Politik
  • Arbeiten von Hans Hendrik Grimmling im Museum Junge Kunst in Frankfurt (Oder)

Unter der Trikolore von Liebe, Freiheit und Tod

  • Henry-Martin Klemt
  • Lesedauer: 3 Min.

Dia-Log

Foto: Schech

Salto Vitale« hat Hans Hendrik Grimmling die Ausstellung im Festsaal des historischen Frankfurter Rathauses nach einem seiner Werke genannt. »Jedes Bild«, so der Künstler, »ist ein Sprung ins Leben.« Die großformatigen Arbeiten Grimmlings zumal, kraftstrotzend und explosiv, eher wütend als melancholisch, lauthalse Traktate eher als feinnervige Essays. Jedes von ihnen hat sich gegen den Maler durchgesetzt und er hat ihnen dabei geholfen: »Die Bilder kämpfen gegen mich. Sie wehren sich dagegen, durch mich geboren zu werden, sie wehren sich gegen den Rahmen, den Winkel, das Quadrat, gegen ihre eigene Hermetik«, beschreibt der 1947 in Zwenkau geborene Mattheuer- und Kettnerschüler die Spannung einer Schöpfungsgeschichte, die selbst als Sujet in nahezu jedem Bild anwesend ist.

Vielleicht hatte Grimmling deshalb ursprünglich einen anderen Ausstellungstitel im Sinn, unter dem er Malereien, Zeichnungen und Objekte aus den Jahren 1984 bis 1996 versammeln wollte: Zwischen mir und draußen. »Dieses Pendel schwingt immer mit, der Versuch, die Romantik zu behalten in dieser Welt und zugleich aufrecht in ihr zu stehen, die Poesie zu bewahren und sich trotzdem nicht mit einem Lyrismus zu begnügen.«

Daß dies nicht nur ein künstlerisches Credo ist, dafür spricht die Biographie des Malers, der mit 17 Jahren sein erstes Atelier einrichtete, an der Hochschule für

Grafik und Buchkunst in Leipzig studierte und später zu den Mitbegründern des Kunstkreises »Tangente« gehörte. Jahrelang arbeitete er gestalterisch mit Kindern und Erwachsenen. Da er sich gegen jede Art von Bevormundung wehrte, wurden ihm Reisen ins westliche Ausland verwehrt. Manches seiner Bilder verdankt die öffentliche Ausstellung einem medial ausgebreiteten Mißverständnis. So malte Grimmling einen Mann, der sich an einer Stange festklammert, während rechts und links auf weißen Blöcken leblose Gestalten lagen. »Weiterrudern« hieß dieses Triptychon. »Ich glaube schon, daß es als Mauerbild erkennbar war, aber gefeiert wurde es, weil endlich wieder jemand den Sport als Bildthema aufgriff«, erinnert sich Grimmling.

Die Verfänglichkeit einer im Grunde klaren Symbolsprache wurde, die kulturpolitischen Reaktionen zeigten es, wohl wahrgenommen, aber zugleich verdrängt. 1986 verließ Grimmling die DDR und siedelte sich im Westteil Berlins an. »Diesen Ausbruch habe ich nie bereut, er bedeutete eine vorläufige Befreiung. Aber der Käfig bleibt bestehen«, setzt er hinzu. »Er ist wie eine Matrjoschka-Puppe. Ist man dem kleinen Gehäuse entkommen, findet man sich im nächstgrö-ßeren wieder Und im eigenen Ich bleibt der Künstler immer eingesperrt.«

Im letzten Jahrzehnt hat sich Grimmling allmählich vom Figürlichen entfernt, ohne es völlig aufzugeben. Farben und Formen sind selbst zu Akteuren geworden. Die deutsche Trikolore bestimmt die Palette des Malers. Nicht nur Symbol einer sich durchaus gesellschaftspolitisch

verstehenden Hiesigkeit, sondern auch philosophisches Programm zwischen Freiheit, Liebe und Tod. Es sind zerstörerische Energien, die Grimmling freisetzt, etwa wenn sich die Phrasenmühle durch Münder und Zungen bohrt, es sind nicht Kräfte schlechthin, sondern zur Entladung drängende Gewalten, in deren Lichtbogen ein Dialog entstehen kann und soll, es ist die Wucht des Aufpralls, die Macht der Pression, die Grimmling sichtbar macht, um nicht nur das Maß

der Erschütterung und Bedrängnis, sondern auch des Widersetzlichen im Bild auszuschreiten. Das Draußen ist besetzt durch Zeichen und Symbole wie Vogel und Kreuz - und im offenkundig Aggressiven schwingt immer auch das latent Erotische mit - so es nicht selbst zum Bildthema wird in »kleinen vaginösen Traumata«, wie Grimmling sie nennt.

Für das Frankfurter Museum Junge Kunst ist diese Exposition, mit der sich so Grimmling - auch drei Häuser hätten

füllen lassen, die erste Personalausstellung im Festsaal des Rathauses. Sie soll den Anfang einer jährlichen Ausstellungsreihe bilden, die mit einem Künstler der Nachkriegsgeneration vertraut macht.

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