Töten mit technischer Perfektion

Auch Afghanistan wird zum Testfeld moderner US-amerikanischer Waffen

  • Gerhard Piper
  • Lesedauer: ca. 4.5 Min.

Seit über einer Woche wird die afghanische Trümmerlandschaft durch USA-Kampfflugzeuge bombardiert. Das Pentagon hatte uns einen »neuen Krieg« versprochen, aber präsentiert wurden bekannte Bilder: Marschflugkörper, die mit ihrem Antriebsstrahl den Nachthimmel beleuchten, und explodierende Bomben, die ihr Ziel angeblich punktgenau treffen.

Es ist die alte Verlogenheit von »chirurgischen Schlägen«, die erneut propagiert wird, weil die Militärs von der Gutgläubigkeit der Zivilisten überzeugt sind. Auf den ersten Blick scheint die Propaganda zu funktionieren. Journalisten, die ansonsten eine Haubitze nicht von einer Kanone unterscheiden können, müssen nun sich und ihren Lesern die modernsten Tötungstechnologien erläutern. Dabei gelingt es den Autoren nicht immer, sich der Technikbegeisterung für die perfide Perfektion der Mordmaschinen zu entziehen.
Da Militärs ordnungsliebende Leute sind, haben sie sich für ihre Waffensysteme präzise Bezeichnungen ausgedacht. Alte Gravitationsbomben, die gemäß der Schwerkraft nur auf die Erde fallen, heißen einfach »Bombs«. Lenkbomben mit einer Zielsteuerung sind »Guided Bombs Units« (GBUs), dazu gehören beispielsweise die Bomben mit Lasersteuerung, die folglich »Laser Guided Bombs« (LGBs) genannt werden. Zu nennen ist hier die US-amerikanische Paveway-Serie, zu der die GBU-10 mit einem Sprengkopf aus 428 kg Tritonal gehört. Ein Laserstrahl wird vom Flugzeug ausgesendet und »beleuchtet« das Ziel. Wird dann eine Bombe ausgeklinkt, erfasst ein Sensor in der Bombe den reflektierten Laserstrahl und die Bombe »reitet« auf dem Licht in ihr Ziel. Geht es um lenkraketen- oder raketen- getriebene Bomben, spricht man von »Air Guided Munition« (AGM).
Alle verschiedenen Systeme werden unter dem Begriff »Präzisionsgesteuerte Munition« (Precision Guided Munitions - PGMs) zusammengefasst. Lasergesteuerte Bomben sind zwar punktgenau, können aber nur bei »schönem« Wetter eingesetzt werden. Daher gibt es mittlerweile auch satellitengesteuerte All-Wetter-Bomben wie die kleinen GBU-32 Joint Direct Attack Munitions (JDAMs) oder die größeren AGM-154 Joint Stand-Off Weapon (JSOW). Diese empfangen Navigationsdaten von drei Navstar-Satelliten, mit denen sie im freien Fall sekundenschnell eine genaue Ortsbestimmung vornehmen, bei Bedarf können sie selbst Kurskorrekturen veranlassen. Weil diese Gleitbomben schon
75 km vor dem Ziel ausgeklinkt werden, ist jeder Angriff für den Kampfpiloten selbst risikoarm. Diese High-Tech-Bomben wurden erstmals im Jugoslawienkrieg 1999 von B-2B-Bombern abgeworfen.
Die größten Lenkwaffen im Einsatz sind die konventionellen Marschflugkörper vom Typ AGM-86C/D, die aus einer Entfernung von 1200 km im Tiefstflug angreifen können. Ihr Sprengkopf hat ein Gewicht von maximal 1360 kg. Ergänzt werden sie durch Marschflugkörper vom Typ Tomahawk an Bord von Kriegschiffen. Wird PGM in einem Hochleistungs-Stahlbehälter untergebracht, der sich vor der Detonation erst ein paar Meter in den Erdboden rammt, spricht man von einem »Bunkerknacker« (Bunker Buster). Zur Zerstörung der alten Anlagen in Afghanistan werden GBU-28 Deep Throat eingesetzt. Diese können Betonwände von einer Stärke von 3 - 5 m durchbrechen.
Weil die Militärs nicht nur gehärtete Punktziele zerstören wollen, sondern auch noch Massen von Weichzielen vernichten möchten, haben Rüstungsingenieure die Streubomben (Cluster Bomb Unit - CBU) erfunden. Statt auf das Zielgebiet hunderte von Bomben abzuwerfen, ist es billiger, nur ein paar »Mutterbomben« einzusetzen, die während ihres Falls »Bomblets« freisetzen und das ganze Gebiet bestreuen. Das Destruktionspotenzial der im Vietnamkrieg entwickelten Kugelbomben, die beim Aufschlag in zahllose Metallkügelchen zerplatzten, wurde durch perfiden Erfindergeist später noch gesteigert. Die Bomblets sind heute kleine Sprengkörper, die sich durch Sensoren selbst ins Ziel steuern und durch Aufschlagzünder ausgelöst werden. Sie dienen der Personen- oder der Panzerbekämpfung. Eine CBU-63/B etwa setzt über 2000 Bomblets frei. Eine ungesteuerte Streubombe wirkt immer flächendeckend - womit automatisch eine größere Zahl von Personen gefährdet ist. Der Streuradius bei einer CBU-87 beträgt z.B. 400 m. Da nach UN-Angaben 10 bis 20 Prozent der Bomblets nicht explodieren, bleiben bei Kriegsende viele Blindgänger zurück, die die in Afghanistan schon vorhandene Gefahr durch rund 10 Mio Minen noch vergrößern werden.
Flächenziele sind Weichziele. Während die Rüstungstechniker die Vernichtungskapazitäten ihrer Produkte kontinuierlich erhöht haben, sind die Haut und der Körper des Menschen immer gleich verwundbar geblieben. So kann ein Weichziel eine Kompanie von Soldaten sein, die sich unter Bäumen getarnt haben. Stellt sich nach dem Angriff heraus, dass die vermeintlichen Soldaten in Wirklichkeit eine Gruppe spielender Kinder waren, gelten die zerfetzten Körper als »Kollateralschäden« (collateral damages). Zu den ersten »Kollateralschäden« im Afghanistankrieg gehörten vier Minenräumer der Vereinten Nationen.
Mittlerweile soll die USA-Luftwaffe auch ein Bauerndorf bombardiert haben, was bis zu 200 Menschen das Leben gekostet haben könnte. Zwar werden die modernen Präzisionsbomben als »intelligente Waffen« tituliert, dennoch werden mit ihnen immer wieder Massaker unter Zivilisten verursacht: Zivile Objekte werden durch Aufklärungsfehler zu militärischen Zielen, da sind Tippfehler bei der Eingabe der Zielkoordinaten in den Bordcomputer, der Zerstörungsradius des Sprengkopfes ist so groß, dass im Umkreis auch alle zivilen Gebäude beschädigt werden, durch fehlerhafte Bombenelektronik kommt die Waffe vom programmierten Kurs ab usw.
Neben den genannten Gravitations-, Lenk- und Streubomben könnten in Afghanistan in der nächsten Kriegsphase nun auch spezielle Bomben zum Einsatz kommen, etwa die BLU-82 Daisy Cutter (Gänseblümchen Killer), die die größten konventionellen Hochdruck-Bomben der Welt sind. Bei einem Eigengewicht von 6800 kg enthalten sie 5715 kg hochexplosiven Sprengstoff. Sie können nur von Spezialflugzeugen MC-130H Combat Talon und deren entsprechend ausgebildeten Piloten abgeworfen werden. Denn wenn das Flugzeug durch den Bombenabwurf in Sekundenbruchteilen fast sieben Tonnen an Gewicht verliert, versetzt es der Maschine einen Schub, als wäre sie von einem Dinosaurier getreten worden. Diese Bomben haben eine verheerende Wirkung: Als die US-Luftwaffe im Golfkrieg 1991 Daisy Cutter auf die irakischen Stellungen in Kuwait abwarf, wurde dies aus der Ferne von einem SAS-Sonderkommando beobachtet, das daraufhin an das alliierte Hauptquartier die Falschmeldung absetzte, der Irak hätte soeben Kuwait mit einer Nuklearwaffe atomisiert.

Unser Autor ist Mitarbeiter des Berliner Informationsze...

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