In Prora ist so manches fischig
Mensch Meyer oder die Zehn-Minuten-vor Ort-Demokratie des Deutschen Bundestages
Auch das noch! Graupelschauer Die Kälte kriecht durch alle Textilien. Auf NDR 2 haben sie etwas von Orkan und der Rückkehr des Winters erzählt. Den möchte man überall erleben - nur nicht in Prora! Prora, das sind viereinhalb Kilometer in Beton gegossene und gemauerte Hinterlassenschaft der Nazis. Ehemaliges KdF-Seebad, steht auf den braunen Hinweisschildern. Braun, wie sinnig. KdF - Kraft durch Freude Von wegen! Doch halt - warum nicht ins Museum gehen? »Beheizt« steht auf knalligen Hinweistafeln. Das Argument ist nicht zu toppen!
Doch verdammt, welches Museum ist das, welches mich nicht nur wärmt, sondern auch informiert? Vorn ist »Museum Tierreich«. Sicher interessant für die kommenden Enkel. Also ins »Museum zum Anfassen«? Oder in die »Wasserwelten«? Wie wäre es mit der Ausstellung, die ein schon zu DDR-Zeiten gefeuerter NVA-Fallschirmjäger anpreist? Doch neben dem kitschig-geschnitzten NVA-Türwächter mag man eigentlich nicht einkehren. Dann gibt es noch das Prora-Museum. Das bietet alles, Natur, Historie - von braun bis rot. Und ein Café ist gleich nebendran.
Fast ein Dutzend Museen und Ausstellungen warten auf Gäste. Teufel, sollen sie mir doch alle gestohlen bleiben! Die kleine Töpferei fast am Ende des Blocks kommt dagegen so bescheiden daher, dass man sich einfach angezogen fühlt.
Wie schön, Rudi Kern, der Inhaber, hat Zeit. Freundlich ist er auch. Nicht dass er viel redet. Dafür ist es warm bei ihm. Die Brennöfen haben es in sich: 1200 Grad, die brauchts, damit die aus Erde gezauberten Fischlein - vor allem solche brennt der Meister auf Vorrat für die touristische Sommerzeit - auch gelingen. Der Großteil der 250000 alljährlichen Prora-Besucher kommt in Monaten, in denen die Sonne scheint.
Kern, der auf die Sechzig zugeht, erkennt den Journalisten lange noch, bevor der sich als solcher vorstellt. »Fragen Sie ruhig, wie es wird nach dem Verkauf«, sagt er. Doch dann enttäuscht Kern. »Ich reg mich nicht mehr auf«, sagt er. Über niemanden. Alle hat er hier schon gesehen: Engagierte, Spinner, Spekulanten, Scharlatane. Zu welcher Gruppe Kurt Meyer gehört, der jetzt den Block 3 so gut wie sicher zu haben scheint, sagt Kern nicht. Kurt Meyer betreibt eine Ausstellung auf der so genannten Museumsmeile im Block 3. Zudem ist er Geschäftsführer der Inselbogen-Gesellschaft. Und die hat die 500 Meter Haus und damit die 68000 Quadratmeter Nutzfläche für 340 000 Euro vom Bundesvermögensamt, das am 1. Januar zur Bundesanstalt für Immobilienaufgabe, kurz BImA, mutierte, erworben. Na ja, fast jedenfalls. Denn der Bundestag muss dem Deal, von dem manche sagen, er rieche wie ein toter Fisch nach zehn Tagen, noch zustimmen. Also: Wer Verkauf sagt, muss auch Meyer sagen. Kern berichtet, wie seltsam bisher »Verkäufe« gelaufen sind, die letztlich immer nur zu nichts geführt haben. Und so stehen eben 4,5 Kilometer lange Bettenburgen, die vom Kölner Architekten Clements Klotz ab 1935 für die »Deutsche Arbeitsfront« hingeklotzt wurden, als ein Mahnmal bundesdeutscher Unfähigkeit. Und unter Denkmalschutz. An einem herrlichen Stück Rügenküste. Was nicht vor Vergammeln schützt.
Über Meyers Absichten weiß man vor Ort nicht viel. Aber man hört immer wieder, dass keiner mit ihm klar kommt - es sei denn, man kommt vom Bundesvermögensamt. Aber das alles sind Gerüchte, wer will schon Investoren Unlauterkeit unterstellen. Das tun zumeist dieselben Leute, die immer wieder fragen, wie jüngst ein anderer Verkauf gelaufen ist. Dabei handelt es sich um knapp 80 Hektar naturgeschützten Wald mit Ruinen, der für 625000 Euro über den Tisch ging. An wen? Wieder Gerüchte, nichts als Gerüchte. Sogar die Idee, dass Neonazis aus Übersee sich ein Stück »Erinnerungskultur« unter den Nagel gerissen haben, kursierte. Man weiß inzwischen nur, dass irgendwie die Liechtensteiner Uniconsulta - Anstalt für Marktforschung mit Sitz im Vaduz - offenbar Lust an dem Stück ostdeutschen Küstenland entwickelte. Das - zumindest bislang - nicht bebaut werden darf.
Meyer ist anders. Doch auch clever, sagt man. Denn sonst würde der Mann, der bereits mit dem NVA-Museum und der »KulturKunstStatt« in Prora ansässig ist, mehr über seine Visionen sagen. Für das Bundesvermögensamt, das den Block 3 für einen Apfel ohne Ei verschleudert hat, reicht es zu wissen, dass - Zitat - »die Inselbogen GmbH beabsichtigt, im Rahmen ihres Projektes Einrichtungen für Jugend, Sport, Kultur und Soziales sowie besondere Beherbergungseinrichtungen für Alleinerziehende, Behinderte und ältere Menschen zu schaffen«. Behinderte, Ältere - super! All jene, die so schon am Rande unserer Gesellschaft leben, sollen in die endlosen Blocks im Niemandsland verbannt werden, an dem es nicht die geringste hilfreiche Infrastruktur gibt.
Völlig falscher Blick, wirft Museumsnachbar Professor Joachim Wernicke ein. Auf das Schlüsselwort »Behinderte« komme es an. »So steigen die Fördermittel, die der Herr abkassieren kann, auf 75 Prozent des Investitionsbedarfs«, mosert Wernicke. Der wohnt eigentlich im Westen Berlins, ist eigentlich Physiker, doch das »Museum Prora« gleich neben Meyers NVA-Show ist irgendwie zu seinem Lebensinhalt geworden. Seitdem er als junger Kerl gegen die Stationierung von Pershing-Raketen demonstrierte, fühlt er sich als »Teil jenes Reparatur-Mechanismus, der unsere Demokratie ein wenig nach Demokratie ausschauen lässt«. Und auch in Prora gehört er wieder zur »notwendigen Gegenströmung«. Denn: Er argumentiert laut gegen den Verkauf an Meyer.
Auch die anderen Mitglieder der Mietergemeinschaft haben so eine Ahnung, als sollten sie und damit Vielfalt und Toleranz aus den einstigen Nazi-Gemäuern vertrieben werden. Der über 80-jährige Hamburger Kunstprofessor Carl Vogel, der seine Grafiksammlung des 20. Jahrhunderts im Block 3 ausstellt, bäumt sich, so gut er es noch vermag, dagegen auf. Der Leiter des »Dokumentationszentrums Prora«, Jürgen Rostock, verlangt Vernunft vom Eigentümer Bundesrepublik, der alles zum »historischen Disney-Land« verkümmern ließ. Wenn Meyer, der Mann aus Westfalen, Besitzer wird, würde das »eine ungeheuerliche Verwurstung von Geschichte« zur Folge haben.
Eine Reisegruppe fährt vor. Die Dialoge der zumeist betagten Besucher zeigen Bewunderung für den Architekten. Und sicher war unter den Nazis vieles sehr schlimm, doch Hitler habe ja auch - siehe KdF - was Positives gewollt. Zudem sei das mit der Arbeitsverpflichtung ja wohl so verkehrt nicht gewesen. Ein Besucher erklärt seinem Freund: »Warum sonst führt Rot-Grün jetzt Ein-Euro-Jobs wieder ein?!«
In Wernickes »Prora-Museum« läuft eine Videodokumentation, die sich - wie die gesamte Ausstellung - bemüht, solche seltsam verklärte Sicht auf die schrecklichsten »Tausend Jahre« nicht aufkommen zu lassen. Gerade darum wird ans Ende der Erklärungen eine Vision gestellt. Die ist der Besuchergruppe allerdings »zu politisch«. Inhalt: Der Bund als Eigentümer sollte quasi als Schirmherr aus der einstigen Nazi-Immobilie eine internationale Jugendbegegnungsstätte machen. Jahr um Jahr könnten hier in einem One World Camp bis zu 30000 Jugendlichen aus aller Welt zusammen leben, arbeiten, Spaß haben. Die Kosten, so heißt es im Video, wären im Vergleich zu dem, was ein Euro-Fighter kostet, gering.
Wer wüsste das besser als die Mitglieder des Bundestag-Haushaltsausschusses. Und weil die das scheibchenweise Verhökern von Prora »absegnen« müssen, war jüngst eine Delegation vor Ort. Genau zehn Minuten - unterbrochen von enorm wichtigem Handy-Geplapper - hielt es sie in den Räumen von Wernickes Museum. Nachbarn berichten gleichfalls von unverständlicher Eile. »Wir Mieter hatten gar nicht die Gelegenheit, unsere Argumente gegen den Verkauf an Meyer anzubringen«, sagt Geschäftsführer Uwe Schwarz. Nach der Hatz dann die Geduld. Die Abgeordneten und der Gemeinderat machten die Türen zu, als sie sich ungestört von Öffentlichkeit anhörten, was Meyer zu bieten hat. Ob das wirklich so verlockend ist, wird sich am 26. Januar erweisen. Dann will der Haushaltsausschuss sich dem Thema nähern - um sich wieder ganz mutig zu vertagen.
Auf die Frage, ob er sich eine abschlägige Parlamentsnachricht an Investor Meyer vorstellen kann, lächelt Keramik-Meister Kern still in sich hinein: Dann wickelt er eines seiner kleinen blauen 3-Euro-Fischlein in Zeitungspapier.
Draußen ist es derweil Nacht geworden. Die Graupelschauer haben aufgehört. Ein kalter Wind pfeift um die en...
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