Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

  • Politik
  • ? Landesverteidigung oder Militarisierung?

Kontra Veräppelmänner

  • Siegfried Prokop
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Interesse an den Arbeitsresultaten der Alternativen Enquete-Kommission »Deutsche Zeitgeschichte« (AEK) ist ungebrochen, obwohl diese mit dem Kolloquium aus Anlaß des Todestages von Wolfgang Harich im März 1996 ihre Tätigkeit beendete und ihre Kräfte seither auf das Ostdeutsche Geschichtsforum konzentriert. Die sich in der Gegenwart häufenden Nachfragen nach Materialien der AEK müssen leider oft negativ beschieden werden, weil die Kommission aus Mangel an finanzieller Förderung viele ihrer Arbeitsresultate nicht publizieren konnte. Um so höher ist anzuerkennen, daß VerTegör Wolfgang Weist innerhalb der von ihm publizierten Reihe »Gesellschaft-Geschichte-Gegenwart« des Gesellschaftswissenschaftlichen Forums e.V. Ergebnisse von Kolloquien der interessierten Öffentlichkeit zugänglich macht, wie jüngst die zweier Ta-' gungen der Arbeitsgruppe Militärgeschichte/Militärpolitik der AEK in Potsdam und Rostock.

Bereits die Formulierung des Themas »Landesverteidigung und /oder Militarisierung der Gesellschaft der DDR« für das Potsdamer Kolloquium deutete die Streitproblematik an. Die Berechtigung, selbstbewußt jeglicher Art von Verfälschung der Geschichte entgegenzutreten, leiteten die Veranstalter aus der Tatsache ab, daß die DDR im Jahr des Aufbruchs 1989/90 auf dem Wege zur Gestaltung einer neuen Art von Landesverteidigung weiter vorangekommen war, als der heutige Zeitgeist anerkennen will. Vor allem die Beiträge von Reinhard Brühl, Günther Glaser und Werner Knoll belegen, daß schmerzhafte Eingeständnisse nicht identisch mit einer Selbstkasteiung sein müssen.

Eine heftige Kontroverse entspann sich um die Auffassung, daß es in der DDR eine Militarisierung gegeben habe. Einmütigkeit bestand darin, daß die Militärpolitik der 80er Jahre eine immens hohe

Belastung für die Volkswirtschaft darstellte und die Bedrohungswahrnehmung in der Zeit des abklingenden Kalten Krieges spätestens ab Mitte der 80er Jahre völlig überzogen war. Die Verteidigung hatte sich zu einer erstrangigen innenund wirtschaftspolitischen Aufgabe entwickelt. Einmütigkeit auch, daß die DDR über keinen relevanten militärisch-industriellen Komplex verfügte und keine aggressiven Ziele verfolgte. Dennoch: Der Aufwand für das Militär widersprach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit, was durch Zahlenmaterial von mehreren Autoren überzeugend belegt wurde. Es war dann Großmann, der bemerkte, daß es in der DDR viele Erscheinungen gab, die durchaus Tendenzen zur Militarisierung begünstigten: der zentralistische Staatsaufbau, die zentrale Planwirtschaft, der demokratische Zentralismus und eine sich aufblähende Bürokratie- mit einem Wort: fehlende Demokratie.

Die zweite, die Rostocker Veranstaltung zum Thema »Zur Sicherung der Seegrenze der DDR« - vom Mitbegründer der AEK, dem in Rostock 1991 abgewikkelten und 1995 verstorbenen Historiker Lothar Eisner moderiert - hatte den Charakter einer Anhörung kompetenter Experten. Es referierten u.a. Theodor Hoffmann, Friedrich Echlepp, Herbert Städtke und Christian Pahlig. Auch hier gab es viel Stoff für die Sichten der »Veräppelmänner« (Helga Hahnemann). Brühl betonte weiteren Forschungsbedarf. Es ist zu hoffen, daß das historisch-kritische Herangehen der Veranstalter auf die deutsche Forschungslandschaft ausstrahlt und das Bemühen um kritisches Messen der DDR-Realität an objektiven Maßstäben Schule macht.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal