- Politik
- Peter Konwitschny inszenierte den Tannhäuser in Dresden
Der Venusberg als Horrorvision
Tannhäuser windet sich in schweren Träumen: Er sieht sich gespalten in 20 mal sich selbst, er sieht sich als winzige Schlenkerpuppe und überdimensionalen Plumpsack, er sieht, wie man ihm den Kopf vom Rumpfe reißt, er sieht sich umwimmelt von Frauen mit roten Haaren und grüner Haut. Er sieht sich gefangen. Er muß hinaus aus dieser lustbringenden Todesfalle. Im Tonfall seines früheren Lebens als Minnesänger auf der Wartburg verkündet er Frau Venus seinen Entschluß. Sie protestiert und argumentiert, aber er verläßt sie blutenden Herzens. Im kahlen Niemandsland angekommen, trifft er eine muntere Gesellschaft von alten Bekannten auf dem Jagdausflug. Sein Freund Wolfram überredet ihn, wieder auf die Wartburg zurückzukehren. Tannhäuser stimmt zu, als Wolfram die allen bekannte Geschichte von Elisabeths Verliebtheit in Heinrich Tannhäuser zum besten gibt. Daß Wagner an dieser Stelle ziemlich ordinäre Schunkelmusik schrieb, ist kaum je schonungsloser musiziert und inszeniert worden. Wie die sieben Schwaben ziehen die singenden Thüringer gutgelaunt von hinnen.
Dieser erste Akt der »Tannhäuser«-Inszenierung von Peter Konwitschny an der Dresdner Semperoper löste erwartungsgemäß Irritationen aus: der Venusberg ohne Ballett und als Horrorvision, die Minnesänger im Lodenmantel.
Die alten Tugenden des sensiblen Sänger-Darstellers feierten bei dieser Produktion Triumphe. Das gilt für den Chor keinen Deut weniger als für die Solisten. Andreas Scheibner als Wolfram hatte die vielschichtigste, zerrissenste Persönlich-
keit singend zu gestalten und tat das so traumwandlerisch wohllautend sicher und männlich schön, daß man weder Auge noch Ohr von ihm losreißen mochte. Heinz Kruse bestätigte mit hellem Metallklang, blitzsauberer Intonation und nicht nachlassender stimmlicher Intensität seinen Platz in der ersten Reihe der raren Heldentöne. Dazu spielte er seinen Außenseiter- und Ausnahmekünstler Tannhäuser mit faszinierender Lust. Venus und Elisabeth, Ulla Sippola und Eva Johansson, waren beide aus ihrer halben Weiblichkeit als Sexkönigin und Hallenheilige erlöst, was beiden Sängerinnen stimmlich offenkundig wohltat. Sinnlichkeit, Glanz und Leidenschaft verströmten sie gleich verschwenderisch. Christoph Prick hielt die Staatskapelle auf Normalmaß, Wagnersche Exaltationen waren seine Sache nicht: Der Gewinn dieser Auffassung: ein sehr agil der Szene folgendes Musizieren, wahres Opernspiel nicht ohne Härten; der Verlust: klangliche Raffinesse; Inseln der puren Schönheit und Sensibilität leuchteten jedoch immer wieder auf.
Der Sängerkrieg ist ein ritualisiertes Mittelalterspiel, der Saal wirkt wie das Allerheiligste im Tempel oder das Auge des Taifuns; Hartmut Meyer baute den Saal in den Mittelpunkt einer Rund-Architektur, an den Grund einer ins Dunkle hinaufführenden Treppe. Elisabeth, anfangs ganz die gutgelaunte Prinzessin Landgraf, die zwei Männern, Wolfram und Tannhäuser, spielerisch den Kopf verdreht, verteilt Spitzhüte mit Schleier für die Damen und Blechhelme für die Herren. Jeder Minnesänger darf einer Dame huldigen und bekommt die traditionelle Harfe, wenn er dran ist. Alle Beteiligten lieben dieses bunte Fest. Die
leichte Stimmung schwindet, als das Thema des Gesangswettbewerbs bekanntgegeben ist. Man soll vom Wesen der Liebe singen.
Hier läßt Konwitschny die Zuschauer erstmals wissen, wie sehr Wolfram von Eschenbach Elisabeth liebt - nach allen Regeln reiner christlicher Moral, versteht sich. Tannhäuser - in der etwas auffallenden Attitüde des ungezähmten Alt-Rockers - will und kann sich nicht an solche Vorschriften, Regeln halten und gesteht entnervt seinen Aufenthalt im Venusberg. Sofort verwandelt sich die Szene, alle Frauen sind verschwunden, alle Verkleidungen abgelegt, drohend malen sich die Schatten des Kreuzes an die
Wand. Als die empörte Herrenriege Tannhäuser zuleibe rücken will, schützt ihn die schwertschwingende Elisabeth. Kreuz und Schwert ist übrigens ein und dasselbe gleißende Werkzeug. Der dritte Akt, Elisabeth und Wolfram im schattenhaften Rest des Festsaales, begann mit einem jener theatralischen Momente, die man magisch nennen könnte, weil »zum Raum hier die Zeit wird«. Wolfram, der Elisabeth immer verzweifelter liebt, je hoffnungsloser er sie an Tannhäuser verliert, schützt und umfängt sie, tröstet sie und singt sein Lied an den fernen Abendstern, während sie in seinen Armen, in seinem Schoß kauernd stirbt. Er neigt sich zärtlich über sie; mitten im Lied hat
Fotos: dpa, Reuters
er alles verstanden und alle Hoffnung aufgegeben. Dann kriecht Tannhäuser bäuchlings herbei, kaputt und voller demonstrativen Trotzes. Nach seiner - exzellent gesungenen - Rom-Erzählung ist Wolfram fest entschlossen, mit ihm in den Venusberg zu gehen. Frau Venus aber, erwachsen und mütterlich geworden (in der Hand eine sehr entbehrliche Schnapsflasche), hat die Höhle verlassen, streichelt die tote Elisabeth, hält Tannhäuser beim Sterben die Hand und entläßt Wolfram. Mit dem blechdröhnenden Chortriumph hat er sowenig zu tun, wie mit dem hübschen Blütenwunder am Hirtenstab der höchsten Autorität. Vielleicht kauft er sich ein Haus in der Einsamkeit.
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