Ein Lied aus Stille

Eva Strittmatter zum 75. Geburtstag

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: ca. 4.5 Min.
Etwas ist in uns, das altert nicht. Die durch nichts begründete Hoffnung auf einen Anfang, der nicht hinter, sondern vor uns liegt. Was weckt die Sinne wieder auf, durchbricht die Vergleichgültigung, die der Wiederholung des Immer-Gleichen doch unweigerlich folgt?
Eva Strittmatter stellt solche Fragen, in unmittelbarster Direktheit, ganz ungeschützt. Ihre Verse sind Berührungen, die irritieren. Sie liefert sich aus, schreibt, um zu bekennen. Ihr Liebesleid ruft sie heraus in eine Welt, die davon nichts hören will. Schon gar nicht von einer alternden Frau. Die Unbedingtheit ihres Sprechens aber macht sie unangreifbar noch in der letzten Entblößung ihres Innern. Das unmittelbare Ansprechen des Lesers, bei ihr ist es keine bloße Anleihe beim 19.Jahrhundert, sondern eine Vitalitätsdemonstration: ein großes Trotzdem. Erst der Rhythmus macht aus Stille ein Lied. Die Melodie entdeckt in Worten den lang verborgenen Ausdruck. Gedicht ist Sprache, die uns Bilder hören lässt. Das Paradox in eine Form gebracht, die lange nachklingt.
Man hört die Verwunderung geradezu, aus der heraus Eva Strittmatter schreibt - trotz aller Verwundungen, die andere stumm gemacht hätten. Das immer gewusste, dann aber doch überfallsartig ins Bewusstsein stürzende Zugleich von Liebestraum, Krankheitsängsten und Todesgedanken lässt sie sich von niemandem abhandeln. Sie will auch diese höchste Gefährdung noch mit allen Sinnen erleben, in Gedichten dem eine Kontur geben, was sie am meisten beunruhigt. - Am meisten beunruhigt sie, dass sich in ihr nichts beruhigt hat, trotz des Alters.
Vielleicht sind es immer nur wenige Verszeilen, die über Nähe oder Ferne des Lesers zu einem Gedicht entscheiden. Für mich war es der »Nachsatz« zu »Mondschnee liegt auf den Feldern«, der vor etwa einem Vierteljahrhundert zu mir sprach: »Das Wirkliche, was bleibt, ist Sprache. / Verfestigt wird, was flüchtig ist. / Noch aus der trübsten Lebenslache / Erglänzt das Wort. Wenn man vergisst, / Was ging und kam - selbst die Berührung / Der Liebe wird man einst vergessen - /Das Wort lebt weiter als Verführung.«
Natürlich hat sie die Liebe dann doch nicht vergessen. In ihrem soeben erschienenen Gedichtband »Der Winter nach der schlimmen Liebe« bricht sie sich Bahn. Heiß strömen die Worte. Bereits in »Der Schöne«, dieser Geschichte einer Obsession, konnten wir davon lesen. Nun folgen weitere Texte aus den Jahren 1996/97. Auch darin schaut sie sich verwundert selbst an: Bin ich das?
Dieses Gefühl demütigt: Nicht mehr sich selbst anzugehören, ganz dem schönen Fremden ausgeliefert zu sein. Eine große Peinlichkeit, bürgerlich betrachtet. Darüber schreiben wird ihr zur Tortur, aber zugleich auch zur Probe auf vorhandene Überlebenskraft: »Dichtung ist Selbstmord. Ich erdrossele mich. / Mit jedem Vers, den ich niederschreibe, / Ersticke ich mein atmendes Ich./ Daß ich am Leben bleibe, / Kommt wiederum nur davon her, / Daß ich den Mord begehe. / Denn sonst ertrage ich nicht mehr, / Daß ich mich nicht verstehe.«
Liebe ist eine Krankheit, von der allzu gründlich geheilt, nur eine unheilvolle Gesundheit bliebe. Also dann lieber so, inmitten der Poesie des Ansprechens den Weg vom Ich zum Du hin- und wieder zurückgehen. So allein bekommt Leben eine Kontur. Die Worte: ein Prisma, das Leben gleichzeitig bricht und bündelt.
Eva Strittmatter, die mädchenhafte immer noch. Aber dabei etwas Schweres, Bäuerliches mit sich tragend. Heimlich träumt sie sich so feenhaft durchscheinend wie ihre Freundin, die ungarische Malerin Marianne Gabor, die mit ihren Bildern dem Gedichtband »Unterm wechselnden Licht« die zartesten Pastelltöne beigab.
Eva Strittmatter wollte immer in großen Städten, am liebsten in Berlin, leben. Aber als Erwin Strittmatter sie 1954 nach Schulzenhof rief, weil doch seine Tiere versorgt werden mussten - zeitweilig hatten sie hier 26 Pferde - und er selbst mit Brecht nach Amsterdam und Paris wollte, da ahnte sie, dass Schulzenhof ihr eine Heimat mit vielen Fragezeichen werden würde.
1994 starben kurz hintereinander Erwin Strittmatter, ihr Sohn Matti und ihre Mutter. Da überlegte sie noch einmal kurz, das Landleben hinter sich zu lassen. Und blieb doch. Erwin Strittmatter liegt nur einen Steinwurf entfernt von Schulzenhof begraben, auf dem Grabstein stehen ihre Verse, die er sich gewünscht hatte: »Löscht meine Worte aus und seht: der Nebel geht über die Wiesen ...« Erwin Strittmatter tat sich lange schwer, in seiner Frau die Dichterin (ein konkurrierendes Wortuniversum) zu sehen, viel nötiger brauchte er auf Schulzenhof eine Hausfrau. Dennoch wäre beider Werk ohne einander kaum vorstellbar gewesen.
Gefragt, warum sie über ihre späte Obsession schreibt, jenen »schönen Mann aus Jüterbog« antwortete sie: »Ich wollte ein glattes Bild von mir zerstören.« Immer schon nahm sie die Verwundungen, den Schmerz, fortwährende Um- und Abbrüche mit ins Bild hinein, um dann zu sagen: Trotzdem ist es schön.
Erst mit dreiundvierzig Jahren debütierte sie mit dem Band »Ich mach ein Lied aus Stille«. Aber weil man sie durch Veröffentlichungen in der »Neuen Deutschen Literatur« kannte (so etwas vermochte damals eine Literaturzeitschrift!) wurde gleich ihr erster Gedichtband zum Verkaufserfolg. Der hält an, bis heute. Inzwischen dürfte die Auflage ihrer Bücher die Millionengrenze erreicht haben.
Eva Strittmatter liefert den lebendigen Beweis: Auch für Lyrik gibt es Leser. Und diese sind hier nie gleichgültig distanziert, sondern von einer solch innigen Zustimmung, die erstaunen lässt. Dabei erspart Eva Strittmatter sich schreibend nichts. Vielleicht aber lieben ihre Leser ja gerade an ihr, dass sie sich ihnen zumutet. Am Schluss vom »Nachsatz« lesen wir: »Den Wortpreis zahlen wir. Seis Leid, /Seis, was wir Dafür halten: Glück. /Bleibt nur von unserer Wirklichkeit/ Das Wirkliche als Wort zurück.« Worte bei sich tragen, die man noch nicht in die Welt entlassen will, weil der Augenblick, von dem sie vielleicht einmal sprechen werden, noch andauert - was anderes ist Glück?

Eva Strittmatter: Der Winter nach der schlimmen Liebe. Gedichte...

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