Dresden und das Erinnern
Vor 60 Jahren wurde die Stadt in Trümmer gebombt - Eindrücke und Anmerkungen
Wie liegt die Stadt so wüst, die voll Volks war.
Alle ihre Tore stehen öde.
Wie liegen die Steine
des Heiligtums
vorn auf allen Gassen zerstreut.
Er hat ein Feuer aus der Höhe
in meine Gebeine gesandt
und es lassen walten.
Ist das die Stadt, von der
man sagt,
sie sei die allerschönste, der sich
das ganze Land freuet.
Sie hätte nicht gedacht,
dass es ihr zuletzt
so gehen würde*
Es ist kalt. Noch deckt verharschter Schnee den Rand der steingefassten Rechtecke, in denen man hat die Asche der Toten vergrub. Kiefern filtern Sonnenlicht, nicht jedoch den Lärm der Motoren. Wenn man jetzt die Augen schließt So muss es gewesen sein, das müssen die Menschen gehört haben, damals vor 60 Jahren als die Viermotorigen über Dresden, die Stadt an der Elbe, kamen. Heute kommen die Geräusche von der Autobahn.
Kamen 20000 Menschen um? 40000 oder 200000, wie Goebbels es in einer seiner letzten Propagandaschlachten in die Welt schrie? Starben sie durch anglo-amerikanischen Terror oder kam nach Dresden, was sechs Jahre zuvor von Berlin seinen schrecklichen Ausgang genommen hatte?
Zeitzeugen werden rar. Umso mehr Autoren drängen mit ihren Büchern auf den Markt, der unersättlich scheint. Unweit des Altmarktes, wo vor 60 Jahren aus Menschenleibern Scheiterhaufen gerichtet wurden um Hitlers Endsieg nicht auch noch durch eine Epidemie zu gefährden, steht das Haus des Buches. Natürlich ist es - wie fast alles im Zentrum Dresdens - neu gebaut. Es gibt einen eigens zum Jahrestag der Bombardements hergerichteten Angebotstisch. Er ist umlagert. Stets ist nur ein Exemplar der Neuerscheinungen vom schützenden Umschlag entkleidet. Eine alte Frau wartet, sie scheut sich, »Das rote Leuchten« ein zweites Mal von der Hülle befreien zu lassen. Aber blättern möchte sie darin. »Ich weiß nicht, warum! Ich kann mich doch selbst erinnern, gerade so, als wäre es gestern gewesen. Und das tut mir gar nicht gut!« Dann berichtet sie unaufgefordert. Die Beschreibungen jener Nächte und Tage im Februar sind austauschbar, Zehntausende haben hier plötzlichen Krieg als Grauen erlebt. »Dresden«, so sagt die Frau mit gütigem Gesicht, »wird nie wieder Dresden sein können.« Natürlich freue sie sich über jeden Wiederaufbau. Der Anblick der Frauenkirche, deren Hauptraum am Sonntag zum ersten Mal nach 60 Jahren wieder betreten werden kann, treibt ihren Puls nach oben. Doch es stimmt wohl, was sie als 14-Jährige so wie all die anderen, die sich aus Luftschutzkellern krochen, geahnt hat: »Dresden ist gemordet worden und auferstehen kann es nimmer mehr!« Dann wechselt der Gesichtsausdruck der Frau. Sie spricht vom »schönen Leben« vor dem Grauen. »Drei Kinder waren wir, die Mutter hatte Arbeit, Vater war im Krieg Furier. Aus Holland und Frankreich kamen regelmäßig dicke Fresspakete.« So schnell sich Lächeln auf das Gesicht gelegt hatte, so schnell war es verschwunden. »Ja sicher, wir wussten von den KZ Nicht jedoch, dass man in Auschwitz Juden vergaste, das nicht, das müssen Sie mir glauben!« Früher, nach dem Krieg, so fährt sie fort, »durfte man ja nicht sagen, dass es sich unter Hitler gut leben ließ. Wer das sagte, war ein Nazi. Verstehen Sie, das ist so, als ob heute einer sagt, die DDR hatte auch ihre guten Seiten. Sofort ist man als Kommunist verschrien.« Nun sei sie alt und berichte frei, wie sies erlebt hat: »Bei den Nazis herrschte Ordnung, Sauberkeit und es gab so gut wie keine Kriminalität.«
Das zur Ansicht frei gegebene Wühltischexemplar war plötzlich frei, die Frau griff zu, begann zu blättern.
In der regionalen Zeitung war zu lesen, das Buch sei gut, weil es in Dresden selbst entstanden ist. Das kann spätestens seitdem im Landesparlament Nazis vom »Bomben-Holocaust« zu hetzten begannen, kein Qualitätsnachweis mehr sein. Wollte doch jemand, die Rechtsextremisten hätten das Buch zuvor gelesen. Und verstanden, was darin steht! Sie hätten gefunden, dass der Befehl zum Bomben gegeben wurde knapp zwei Wochen, nachdem das Vernichtungslager Auschwitz befreit worden war. Sie hätten gelesen, dass bis zum März in kurzen Abständen noch immer Hitlers »Wunderwaffen« in britischen Städten einschlugen. Sie hätten - was sie womöglich gefreut hätte - zur Kenntnis genommen, dass die Westalliierten in den Ardennen erfahren haben, dass Nazi-Deutschland noch immer nicht am Boden lag. Und so wahr es ist, das vor allem Zivilisten im technologisch perfekt geplanten Feuersturm umgekommen sind, sie hätten sich fragen können, wer die Hunderttausenden waren, die Jahre zuvor jubelnd mit dem erhobenen rechten Arm am Straßenrand standen, als die 4. Infanteriedivision siegreich aus Frankreich in ihre Garnison heimkehrte. Und wer von denen hat gefragt, wohin die jüdische Nachbarsfamilie »umgesiedelt« wurde? Wer hat mehr getan, als nur die Schulter gezuckt, wenn das Totenglöckchen im Landgericht zur Hinrichtung gerufen hat? Über 2000 Antifaschisten wurden hier auf die Guillotine geschnallt
Gewiss, dass allein erklärt nicht, warum Dresden zum Massengrab werden musste. Zumal all das auch nicht Gegenstand der Einweisung der britischen und amerikanischen Bomberbesatzungen gewesen ist. »Dresden, die siebtgrößte Stadt Deutschlands - und nicht viel kleiner als Manchester - ist auch die größte bebaute Fläche des Feindes, die noch nicht bombardiert wurde«, hieß es im Bomber-Briefing 1945.
Warum Dresden bislang verschont blieb? Eine Unzahl Gerüchte gibt es. Angeblich hätte Churchills Tante ihre schützende Hand über die Stadt gehalten. Auch dass die Stadt in der Welt viel zu bekannt gewesen sei, um sie ungestraft in Schutt und Asche legen zu können, glaubten die Einwohner fest. Einige wollten wissen, dass Dresden in Jalta als Sitz einer Besatzungsmacht bestätigt worden sei. Wer macht schon kaputt, was ihm dienen soll? Doch dann zeigte man eben doch »what Bomber Command can do«! Und in der Tat, Stalin war beeindruckt.
Die alte Frau hat sich in dem Buch festgelesen. Den Gruß zum Abschied nimmt sie kaum wahr, sie durchlebt ihre Jugend.
Und was denken junge Menschen heute über diese Jugend? Holger Lippert ist Sozialarbeiter, soll junge Menschen leiten. Kann er sagen, was die Jugend über die Zeit vor 60 Jahren denkt? Das kann er nicht. Jugend unterscheidet sich Stadtgebieten, danach, wer wie wo welches Leben führen kann. Und so wie die meisten Dresdner kennt er keinen Neu-Nazi so recht von Angesicht. Spricht er über Dresden 1945, so hat er zumeist aufmerksame und fragende Menschen an seiner seite. Die stammen nicht aus Dresden. Es sind zumeist Touristen. Der studierte Kunstwissenschaftler lädt ein zu Führungen durch die Stadt. »Igeltours« nennt sich die Truppe, für die er arbeitet. »Klein, aufmerksam und wehrhaft«. Er kann nur erklären, welche Schrammen im Straßengranit noch von westlichen Bombensplittern stammen und wo welcher sowjetische Major sein »Minen-frei-Testat« an kulturhistorische Wände geritzt hat. Und er versucht zu verdeutlichen, wie wichtig ehrliches Gedenken ist. Doch wo gibt es das schon?
1946 war für die Propaganda der neuen Zeit klar: Die Zerstörung Dresdens war letztlich das Werk der deutschen Faschisten. Die Stadt aus dem Schutt zu graben, war somit ein antifaschistisches Symbol. Doch bald schon folgte dem Krieg ein Kalter Krieg. Beide Deutschlands waren in widerstreitende Systeme gebunden. 1949, dem Geburtsjahr beider deutscher Staaten, hieß es zum ostdeutschen Gedenken: »Dresden klagt an!« Einzig und allein die Kriegstreiber in den USA brachten der Kunst- und Kulturstadt den Tod und Teufel. Es war nur von »Fliegenden Festungen« und »Liberators« die Rede, britische »Lancaster« schienen unbeteiligt. Das änderte sich, bald wurde von oben herab wieder - wie aus Goebbels Mund - von anglo-amerikanischen Terrorangriffen gesprochen. Das war die passende propagandistische Begleitung zum Korea-Krieg und zur Wiederbewaffnung Westdeutschlands. 1955 verschmolz in der Argumentation der Nationalen Front alles Böse zu einer Einheit: »Die Zerstörung Dresdens war ein Glied in dem großen Verbrechen gegen die Menschheit, das von den deutschen Militaristen und Imperialisten 1939 mit dem kriegerischen Überfall auf Polen und der Zerstörung Warschaus eingeleitet wurde.« Es war nur noch ein kleiner Schritt, bis die SS-Verbrecher von Sachsenhausen mit den Bomberpiloten gleichgesetzt werden konnten, die ihre Todeslast über Dresden abluden. Auch der Schritt wurde gegangen.
Zunehmend schwarz-weiß wurde die Geschichte unterm roten Banner. Oberbürgermeister Waldauer schrieb im »Neuen Deutschland« nicht nur, dass 32000 Frauen, Kinder und Greise den Tod fanden, nicht nur, dass 90000 Wohnungen zerstört wurden, dass Kirchen, Krankenhäuser, Schulen, Kinderheime und Kulturgüter von unschätzbarem historischen Wert versanken. Nein, er machte auch deutlich von welch unterschiedlicher moralischer Qualität jene waren, die dem Nazi-Reich ein Ende setzten. Er huldigte der »in der Welt einzig dastehende Kriegführung der Sowjetunion, die trotz der Millionen unschuldiger Toten ihrer Zivilbevölkerung niemals, auch nicht ein einziges Mal in diesem vierjährigen schweren und opferreichen Kämpfen ihre militärische Machtmittel gegen die Zivilbevölkerung Deutschlands, die doch mitschuldig war, anwandte«.
1951 hat man den Opfern der Bombennächte, die auf dem Heidefriedhof begraben liegen, einen Hain gesetzt. Die Inschrift lautet:
»Wieviele starben?
Wer kennt die Zahl?
in deinen Wunden
sieht man die Qual.
Den Namenlosen, die
hier verbrannt
im Höllenfeuer aus
Menschenhand.«
1964 gestaltete man den Zugang zu den Massengräbern neu. Ein Rondell kann hinzu. 14 Stelen hat man aufgestellt, sie erinnern an andere Orte der Barbarei: Coventry, Dresden, Leningrad, Lidice, Oradour, Rotterdam, Warschau, Theresienstadt, Sachsenhausen, Ravensbrück, Dachau, Buchenwald, Bergen-Belsen, Auschwitz.
Umstritten ist, was diese Art der Gestaltung ausdrücken sollte oder jetzt, 40 Jahre später womöglich signalisiert. Kritiker sagen, hier hat die DDR-Führung - entgegen sonstiger Bestrebungen - das Schicksal aller Opfer des Faschismus nachdrücklich und augenscheinlich gleichgesetzt.
Nach und nach verwischte das unmittelbare Grauen. Immer mehr wurde das Gedenken zu einer jeweils noch machtvolleren Kundgebung für Frieden und Sozialismus. Im Osten jedenfalls. Im Westen kündigte sich bereits eine neue Form von Geschichtsrevision an. Vermeintlich wissenschaftlich akribisch schuf man das Klima, in dem Bücher wie »Der Brand« erscheinen konnten, die das Verhältnis zwischen Opfern und Tätern ganz allmählich umkehren. Vor Wochen erst titelte Deutschlands auflagenstärkstes Boulevard-Blatt dann mit forderndem Unterton: »Entschuldigt sich die Queen für Dresden?« Der Aufschrei gegen diese Art Meinungsmache hielt sich in Grenzen, denn angeblich griff »Bild« ja nur auf, was ein vergleichbares Blatt auf der Insel angeregt hatte.
An diesem Samstag wird auf dem Heidefriedhof getragene Musik erklingen. Um elf Uhr werden Repräsentanten von Stadt und Land ihre Häupter verneigen. Die Bilder werden nicht einmal einen Bruchteil der Wirklichkeit beschreiben. Denn zur gleichen Zeit wird die Innenstadt zur Festung verwandelt worden sein. Hinter der Semperoper, die immer mehr Deutsche nur noch als Erkennungsbild für Bier-Reklame wahrnehmen, werden sich Neonazis diesmal vermutlich aus halb Europa zusammenrotten, um auf ihre Art an die Bombennächte vor 60 Jahren zu erinnern. Dagegen sollen sich, so bitte eine Initiative, alle anständigen Dresdner zur Wehr setzten. Mit einer weißen Rose im Knopfloch und einer Kerze in der Hand.
Lippert erinnert sich an andere Zeiten. So schön sie wieder da steht, die Frauenkirche, so intensiv zog sie als Ruine Menschen zur gemeinsamen Besinnung an. »Fernab jedes Propaganda-Rummels, ich fand das war ein ebenso solidarisches wie spontanes Zeichen der Menschlichkeit, an dem nicht Schuld und Sühne sondern Verantwortung für Künftiges im Mittelpunkt standen.« Igeltour-Mann Lippert wird wohl nicht zu Rosenträgern und Kerzenhaltern gehören. Nicht nur, weil er meint, dass gegen diese Art »Zeitgeist« keine weißen Rosen helfen. Und schon gar keine angeblich antinationalen linken Demos, die den »Krauts« keine Träne gönnen. Nein, er wird Menschen durch Dresden führen und an Ort und Stelle zu erklären versuchen, was so oft und so absichtsvoll falsch geschildert wird.
*Die Klagelieder des Propheten Jeremias verwandte der Dresdner Kantor Rudolf Mauersberger, um sie am 4. August 1945 in der zerbombten Kreuzkirche durch seinen Kreuzchor den Überlebenden zu Gehör zu bringenWie liegt die Stadt so wüst, die voll Volks war.
Alle ihre Tore stehen öde.
Wie liegen die Steine
des Heiligtums
vorn auf allen Gassen zerstreut.
Er hat ein Feuer aus der Höhe
in meine Gebeine gesandt
und es lassen walten.
Ist das die Stadt, von der
man sagt,
sie sei die allerschönste, der sich
das ganze Land freuet.
Sie hätte nicht gedacht,
dass es ihr zuletzt
so gehen würde*
Es ist kalt. Noch deckt verharschter Schnee den Rand der steingefassten Rechtecke, in denen man hat die Asche der Toten vergrub. Kiefern filtern Sonnenlicht, nicht jedoch den Lärm der Motoren. Wenn man jetzt die Augen schließt So muss es gewesen sein, das müssen die Menschen gehört haben, damals vor 60 Jahren als die Viermotorigen über Dresden, die Stadt an der Elbe, kamen. Heute kommen die Geräusche von der Autobahn.
Kamen 20000 Menschen um? 40000 oder 200000, wie Goebbels es in einer seiner letzten Propagandaschlachten in die Welt schrie? Starben sie durch anglo-amerikanischen Terror oder kam nach Dresden, was sechs Jahre zuvor von Berlin seinen schrecklichen Ausgang genommen hatte?
Zeitzeugen werden rar. Umso mehr Autoren drängen mit ihren Büchern auf den Markt, der unersättlich scheint. Unweit des Altmarktes, wo vor 60 Jahren aus Menschenleibern Scheiterhaufen gerichtet wurden um Hitlers Endsieg nicht auch noch durch eine Epidemie zu gefährden, steht das Haus des Buches. Natürlich ist es - wie fast alles im Zentrum Dresdens - neu gebaut. Es gibt einen eigens zum Jahrestag der Bombardements hergerichteten Angebotstisch. Er ist umlagert. Stets ist nur ein Exemplar der Neuerscheinungen vom schützenden Umschlag entkleidet. Eine alte Frau wartet, sie scheut sich, »Das rote Leuchten« ein zweites Mal von der Hülle befreien zu lassen. Aber blättern möchte sie darin. »Ich weiß nicht, warum! Ich kann mich doch selbst erinnern, gerade so, als wäre es gestern gewesen. Und das tut mir gar nicht gut!« Dann berichtet sie unaufgefordert. Die Beschreibungen jener Nächte und Tage im Februar sind austauschbar, Zehntausende haben hier plötzlichen Krieg als Grauen erlebt. »Dresden«, so sagt die Frau mit gütigem Gesicht, »wird nie wieder Dresden sein können.« Natürlich freue sie sich über jeden Wiederaufbau. Der Anblick der Frauenkirche, deren Hauptraum am Sonntag zum ersten Mal nach 60 Jahren wieder betreten werden kann, treibt ihren Puls nach oben. Doch es stimmt wohl, was sie als 14-Jährige so wie all die anderen, die sich aus Luftschutzkellern krochen, geahnt hat: »Dresden ist gemordet worden und auferstehen kann es nimmer mehr!« Dann wechselt der Gesichtsausdruck der Frau. Sie spricht vom »schönen Leben« vor dem Grauen. »Drei Kinder waren wir, die Mutter hatte Arbeit, Vater war im Krieg Furier. Aus Holland und Frankreich kamen regelmäßig dicke Fresspakete.« So schnell sich Lächeln auf das Gesicht gelegt hatte, so schnell war es verschwunden. »Ja sicher, wir wussten von den KZ Nicht jedoch, dass man in Auschwitz Juden vergaste, das nicht, das müssen Sie mir glauben!« Früher, nach dem Krieg, so fährt sie fort, »durfte man ja nicht sagen, dass es sich unter Hitler gut leben ließ. Wer das sagte, war ein Nazi. Verstehen Sie, das ist so, als ob heute einer sagt, die DDR hatte auch ihre guten Seiten. Sofort ist man als Kommunist verschrien.« Nun sei sie alt und berichte frei, wie sies erlebt hat: »Bei den Nazis herrschte Ordnung, Sauberkeit und es gab so gut wie keine Kriminalität.«
Das zur Ansicht frei gegebene Wühltischexemplar war plötzlich frei, die Frau griff zu, begann zu blättern.
In der regionalen Zeitung war zu lesen, das Buch sei gut, weil es in Dresden selbst entstanden ist. Das kann spätestens seitdem im Landesparlament Nazis vom »Bomben-Holocaust« zu hetzten begannen, kein Qualitätsnachweis mehr sein. Wollte doch jemand, die Rechtsextremisten hätten das Buch zuvor gelesen. Und verstanden, was darin steht! Sie hätten gefunden, dass der Befehl zum Bomben gegeben wurde knapp zwei Wochen, nachdem das Vernichtungslager Auschwitz befreit worden war. Sie hätten gelesen, dass bis zum März in kurzen Abständen noch immer Hitlers »Wunderwaffen« in britischen Städten einschlugen. Sie hätten - was sie womöglich gefreut hätte - zur Kenntnis genommen, dass die Westalliierten in den Ardennen erfahren haben, dass Nazi-Deutschland noch immer nicht am Boden lag. Und so wahr es ist, das vor allem Zivilisten im technologisch perfekt geplanten Feuersturm umgekommen sind, sie hätten sich fragen können, wer die Hunderttausenden waren, die Jahre zuvor jubelnd mit dem erhobenen rechten Arm am Straßenrand standen, als die 4. Infanteriedivision siegreich aus Frankreich in ihre Garnison heimkehrte. Und wer von denen hat gefragt, wohin die jüdische Nachbarsfamilie »umgesiedelt« wurde? Wer hat mehr getan, als nur die Schulter gezuckt, wenn das Totenglöckchen im Landgericht zur Hinrichtung gerufen hat? Über 2000 Antifaschisten wurden hier auf die Guillotine geschnallt
Gewiss, dass allein erklärt nicht, warum Dresden zum Massengrab werden musste. Zumal all das auch nicht Gegenstand der Einweisung der britischen und amerikanischen Bomberbesatzungen gewesen ist. »Dresden, die siebtgrößte Stadt Deutschlands - und nicht viel kleiner als Manchester - ist auch die größte bebaute Fläche des Feindes, die noch nicht bombardiert wurde«, hieß es im Bomber-Briefing 1945.
Warum Dresden bislang verschont blieb? Eine Unzahl Gerüchte gibt es. Angeblich hätte Churchills Tante ihre schützende Hand über die Stadt gehalten. Auch dass die Stadt in der Welt viel zu bekannt gewesen sei, um sie ungestraft in Schutt und Asche legen zu können, glaubten die Einwohner fest. Einige wollten wissen, dass Dresden in Jalta als Sitz einer Besatzungsmacht bestätigt worden sei. Wer macht schon kaputt, was ihm dienen soll? Doch dann zeigte man eben doch »what Bomber Command can do«! Und in der Tat, Stalin war beeindruckt.
Die alte Frau hat sich in dem Buch festgelesen. Den Gruß zum Abschied nimmt sie kaum wahr, sie durchlebt ihre Jugend.
Und was denken junge Menschen heute über diese Jugend? Holger Lippert ist Sozialarbeiter, soll junge Menschen leiten. Kann er sagen, was die Jugend über die Zeit vor 60 Jahren denkt? Das kann er nicht. Jugend unterscheidet sich Stadtgebieten, danach, wer wie wo welches Leben führen kann. Und so wie die meisten Dresdner kennt er keinen Neu-Nazi so recht von Angesicht. Spricht er über Dresden 1945, so hat er zumeist aufmerksame und fragende Menschen an seiner seite. Die stammen nicht aus Dresden. Es sind zumeist Touristen. Der studierte Kunstwissenschaftler lädt ein zu Führungen durch die Stadt. »Igeltours« nennt sich die Truppe, für die er arbeitet. »Klein, aufmerksam und wehrhaft«. Er kann nur erklären, welche Schrammen im Straßengranit noch von westlichen Bombensplittern stammen und wo welcher sowjetische Major sein »Minen-frei-Testat« an kulturhistorische Wände geritzt hat. Und er versucht zu verdeutlichen, wie wichtig ehrliches Gedenken ist. Doch wo gibt es das schon?
1946 war für die Propaganda der neuen Zeit klar: Die Zerstörung Dresdens war letztlich das Werk der deutschen Faschisten. Die Stadt aus dem Schutt zu graben, war somit ein antifaschistisches Symbol. Doch bald schon folgte dem Krieg ein Kalter Krieg. Beide Deutschlands waren in widerstreitende Systeme gebunden. 1949, dem Geburtsjahr beider deutscher Staaten, hieß es zum ostdeutschen Gedenken: »Dresden klagt an!« Einzig und allein die Kriegstreiber in den USA brachten der Kunst- und Kulturstadt den Tod und Teufel. Es war nur von »Fliegenden Festungen« und »Liberators« die Rede, britische »Lancaster« schienen unbeteiligt. Das änderte sich, bald wurde von oben herab wieder - wie aus Goebbels Mund - von anglo-amerikanischen Terrorangriffen gesprochen. Das war die passende propagandistische Begleitung zum Korea-Krieg und zur Wiederbewaffnung Westdeutschlands. 1955 verschmolz in der Argumentation der Nationalen Front alles Böse zu einer Einheit: »Die Zerstörung Dresdens war ein Glied in dem großen Verbrechen gegen die Menschheit, das von den deutschen Militaristen und Imperialisten 1939 mit dem kriegerischen Überfall auf Polen und der Zerstörung Warschaus eingeleitet wurde.« Es war nur noch ein kleiner Schritt, bis die SS-Verbrecher von Sachsenhausen mit den Bomberpiloten gleichgesetzt werden konnten, die ihre Todeslast über Dresden abluden. Auch der Schritt wurde gegangen.
Zunehmend schwarz-weiß wurde die Geschichte unterm roten Banner. Oberbürgermeister Waldauer schrieb im »Neuen Deutschland« nicht nur, dass 32000 Frauen, Kinder und Greise den Tod fanden, nicht nur, dass 90000 Wohnungen zerstört wurden, dass Kirchen, Krankenhäuser, Schulen, Kinderheime und Kulturgüter von unschätzbarem historischen Wert versanken. Nein, er machte auch deutlich von welch unterschiedlicher moralischer Qualität jene waren, die dem Nazi-Reich ein Ende setzten. Er huldigte der »in der Welt einzig dastehende Kriegführung der Sowjetunion, die trotz der Millionen unschuldiger Toten ihrer Zivilbevölkerung niemals, auch nicht ein einziges Mal in diesem vierjährigen schweren und opferreichen Kämpfen ihre militärische Machtmittel gegen die Zivilbevölkerung Deutschlands, die doch mitschuldig war, anwandte«.
1951 hat man den Opfern der Bombennächte, die auf dem Heidefriedhof begraben liegen, einen Hain gesetzt. Die Inschrift lautet:
»Wieviele starben?
Wer kennt die Zahl?
in deinen Wunden
sieht man die Qual.
Den Namenlosen, die
hier verbrannt
im Höllenfeuer aus
Menschenhand.«
1964 gestaltete man den Zugang zu den Massengräbern neu. Ein Rondell kann hinzu. 14 Stelen hat man aufgestellt, sie erinnern an andere Orte der Barbarei: Coventry, Dresden, Leningrad, Lidice, Oradour, Rotterdam, Warschau, Theresienstadt, Sachsenhausen, Ravensbrück, Dachau, Buchenwald, Bergen-Belsen, Auschwitz.
Umstritten ist, was diese Art der Gestaltung ausdrücken sollte oder jetzt, 40 Jahre später womöglich signalisiert. Kritiker sagen, hier hat die DDR-Führung - entgegen sonstiger Bestrebungen - das Schicksal aller Opfer des Faschismus nachdrücklich und augenscheinlich gleichgesetzt.
Nach und nach verwischte das unmittelbare Grauen. Immer mehr wurde das Gedenken zu einer jeweils noch machtvolleren Kundgebung für Frieden und Sozialismus. Im Osten jedenfalls. Im Westen kündigte sich bereits eine neue Form von Geschichtsrevision an. Vermeintlich wissenschaftlich akribisch schuf man das Klima, in dem Bücher wie »Der Brand« erscheinen konnten, die das Verhältnis zwischen Opfern und Tätern ganz allmählich umkehren. Vor Wochen erst titelte Deutschlands auflagenstärkstes Boulevard-Blatt dann mit forderndem Unterton: »Entschuldigt sich die Queen für Dresden?« Der Aufschrei gegen diese Art Meinungsmache hielt sich in Grenzen, denn angeblich griff »Bild« ja nur auf, was ein vergleichbares Blatt auf der Insel angeregt hatte.
An diesem Samstag wird auf dem Heidefriedhof getragene Musik erklingen. Um elf Uhr werden Repräsentanten von Stadt und Land ihre Häupter verneigen. Die Bilder werden nicht einmal einen Bruchteil der Wirklichkeit beschreiben. Denn zur gleichen Zeit wird die Innenstadt zur Festung verwandelt worden sein. Hinter der Semperoper, die immer mehr Deutsche nur noch als Erkennungsbild für Bier-Reklame wahrnehmen, werden sich Neonazis diesmal vermutlich aus halb Europa zusammenrotten, um auf ihre Art an die Bombennächte vor 60 Jahren zu erinnern. Dagegen sollen sich, so bitte eine Initiative, alle anständigen Dresdner zur Wehr setzten. Mit einer weißen Rose im Knopfloch und einer Kerze in der Hand.
Lippert erinnert sich an andere Zeiten. So schön sie wieder da steht, die Frauenkirche, so intensiv zog sie als Ruine Menschen zur gemeinsamen Besinnung an. »Fernab jedes Propaganda-Rummels, ich fand das war ein ebenso solidarisches wie spontanes Zeichen der Menschlichkeit, an dem nicht Schuld und Sühne sondern Verantwortung für Künftiges im Mittelpunkt standen.« Igeltour-Mann Lippert wird wohl nicht zu Rosenträgern und Kerzenhaltern gehören. Nicht nur, weil er meint, dass gegen diese Art »Zeitgeist« keine weißen Rosen helfen. Und schon gar keine angeblich antinationalen linken Demos, die den »Krauts« keine Träne gönnen. Nein, er wird Menschen durch Dresden führen und an Ort und Stelle zu erklären versuchen, was so oft und so absichtsvoll falsch geschildert wird.
*Die Klagelieder des Propheten Jeremias verwandte der Dresdner Kantor Rudolf Mauersberger, um sie am 4. August 1945 in der zerbombten Kreuzkirche durch seinen Kreuzchor den Überlebenden zu Gehör zu bringen
Alle ihre Tore stehen öde.
Wie liegen die Steine
des Heiligtums
vorn auf allen Gassen zerstreut.
Er hat ein Feuer aus der Höhe
in meine Gebeine gesandt
und es lassen walten.
Ist das die Stadt, von der
man sagt,
sie sei die allerschönste, der sich
das ganze Land freuet.
Sie hätte nicht gedacht,
dass es ihr zuletzt
so gehen würde*
Es ist kalt. Noch deckt verharschter Schnee den Rand der steingefassten Rechtecke, in denen man hat die Asche der Toten vergrub. Kiefern filtern Sonnenlicht, nicht jedoch den Lärm der Motoren. Wenn man jetzt die Augen schließt So muss es gewesen sein, das müssen die Menschen gehört haben, damals vor 60 Jahren als die Viermotorigen über Dresden, die Stadt an der Elbe, kamen. Heute kommen die Geräusche von der Autobahn.
Kamen 20000 Menschen um? 40000 oder 200000, wie Goebbels es in einer seiner letzten Propagandaschlachten in die Welt schrie? Starben sie durch anglo-amerikanischen Terror oder kam nach Dresden, was sechs Jahre zuvor von Berlin seinen schrecklichen Ausgang genommen hatte?
Zeitzeugen werden rar. Umso mehr Autoren drängen mit ihren Büchern auf den Markt, der unersättlich scheint. Unweit des Altmarktes, wo vor 60 Jahren aus Menschenleibern Scheiterhaufen gerichtet wurden um Hitlers Endsieg nicht auch noch durch eine Epidemie zu gefährden, steht das Haus des Buches. Natürlich ist es - wie fast alles im Zentrum Dresdens - neu gebaut. Es gibt einen eigens zum Jahrestag der Bombardements hergerichteten Angebotstisch. Er ist umlagert. Stets ist nur ein Exemplar der Neuerscheinungen vom schützenden Umschlag entkleidet. Eine alte Frau wartet, sie scheut sich, »Das rote Leuchten« ein zweites Mal von der Hülle befreien zu lassen. Aber blättern möchte sie darin. »Ich weiß nicht, warum! Ich kann mich doch selbst erinnern, gerade so, als wäre es gestern gewesen. Und das tut mir gar nicht gut!« Dann berichtet sie unaufgefordert. Die Beschreibungen jener Nächte und Tage im Februar sind austauschbar, Zehntausende haben hier plötzlichen Krieg als Grauen erlebt. »Dresden«, so sagt die Frau mit gütigem Gesicht, »wird nie wieder Dresden sein können.« Natürlich freue sie sich über jeden Wiederaufbau. Der Anblick der Frauenkirche, deren Hauptraum am Sonntag zum ersten Mal nach 60 Jahren wieder betreten werden kann, treibt ihren Puls nach oben. Doch es stimmt wohl, was sie als 14-Jährige so wie all die anderen, die sich aus Luftschutzkellern krochen, geahnt hat: »Dresden ist gemordet worden und auferstehen kann es nimmer mehr!« Dann wechselt der Gesichtsausdruck der Frau. Sie spricht vom »schönen Leben« vor dem Grauen. »Drei Kinder waren wir, die Mutter hatte Arbeit, Vater war im Krieg Furier. Aus Holland und Frankreich kamen regelmäßig dicke Fresspakete.« So schnell sich Lächeln auf das Gesicht gelegt hatte, so schnell war es verschwunden. »Ja sicher, wir wussten von den KZ Nicht jedoch, dass man in Auschwitz Juden vergaste, das nicht, das müssen Sie mir glauben!« Früher, nach dem Krieg, so fährt sie fort, »durfte man ja nicht sagen, dass es sich unter Hitler gut leben ließ. Wer das sagte, war ein Nazi. Verstehen Sie, das ist so, als ob heute einer sagt, die DDR hatte auch ihre guten Seiten. Sofort ist man als Kommunist verschrien.« Nun sei sie alt und berichte frei, wie sies erlebt hat: »Bei den Nazis herrschte Ordnung, Sauberkeit und es gab so gut wie keine Kriminalität.«
Das zur Ansicht frei gegebene Wühltischexemplar war plötzlich frei, die Frau griff zu, begann zu blättern.
In der regionalen Zeitung war zu lesen, das Buch sei gut, weil es in Dresden selbst entstanden ist. Das kann spätestens seitdem im Landesparlament Nazis vom »Bomben-Holocaust« zu hetzten begannen, kein Qualitätsnachweis mehr sein. Wollte doch jemand, die Rechtsextremisten hätten das Buch zuvor gelesen. Und verstanden, was darin steht! Sie hätten gefunden, dass der Befehl zum Bomben gegeben wurde knapp zwei Wochen, nachdem das Vernichtungslager Auschwitz befreit worden war. Sie hätten gelesen, dass bis zum März in kurzen Abständen noch immer Hitlers »Wunderwaffen« in britischen Städten einschlugen. Sie hätten - was sie womöglich gefreut hätte - zur Kenntnis genommen, dass die Westalliierten in den Ardennen erfahren haben, dass Nazi-Deutschland noch immer nicht am Boden lag. Und so wahr es ist, das vor allem Zivilisten im technologisch perfekt geplanten Feuersturm umgekommen sind, sie hätten sich fragen können, wer die Hunderttausenden waren, die Jahre zuvor jubelnd mit dem erhobenen rechten Arm am Straßenrand standen, als die 4. Infanteriedivision siegreich aus Frankreich in ihre Garnison heimkehrte. Und wer von denen hat gefragt, wohin die jüdische Nachbarsfamilie »umgesiedelt« wurde? Wer hat mehr getan, als nur die Schulter gezuckt, wenn das Totenglöckchen im Landgericht zur Hinrichtung gerufen hat? Über 2000 Antifaschisten wurden hier auf die Guillotine geschnallt
Gewiss, dass allein erklärt nicht, warum Dresden zum Massengrab werden musste. Zumal all das auch nicht Gegenstand der Einweisung der britischen und amerikanischen Bomberbesatzungen gewesen ist. »Dresden, die siebtgrößte Stadt Deutschlands - und nicht viel kleiner als Manchester - ist auch die größte bebaute Fläche des Feindes, die noch nicht bombardiert wurde«, hieß es im Bomber-Briefing 1945.
Warum Dresden bislang verschont blieb? Eine Unzahl Gerüchte gibt es. Angeblich hätte Churchills Tante ihre schützende Hand über die Stadt gehalten. Auch dass die Stadt in der Welt viel zu bekannt gewesen sei, um sie ungestraft in Schutt und Asche legen zu können, glaubten die Einwohner fest. Einige wollten wissen, dass Dresden in Jalta als Sitz einer Besatzungsmacht bestätigt worden sei. Wer macht schon kaputt, was ihm dienen soll? Doch dann zeigte man eben doch »what Bomber Command can do«! Und in der Tat, Stalin war beeindruckt.
Die alte Frau hat sich in dem Buch festgelesen. Den Gruß zum Abschied nimmt sie kaum wahr, sie durchlebt ihre Jugend.
Und was denken junge Menschen heute über diese Jugend? Holger Lippert ist Sozialarbeiter, soll junge Menschen leiten. Kann er sagen, was die Jugend über die Zeit vor 60 Jahren denkt? Das kann er nicht. Jugend unterscheidet sich Stadtgebieten, danach, wer wie wo welches Leben führen kann. Und so wie die meisten Dresdner kennt er keinen Neu-Nazi so recht von Angesicht. Spricht er über Dresden 1945, so hat er zumeist aufmerksame und fragende Menschen an seiner seite. Die stammen nicht aus Dresden. Es sind zumeist Touristen. Der studierte Kunstwissenschaftler lädt ein zu Führungen durch die Stadt. »Igeltours« nennt sich die Truppe, für die er arbeitet. »Klein, aufmerksam und wehrhaft«. Er kann nur erklären, welche Schrammen im Straßengranit noch von westlichen Bombensplittern stammen und wo welcher sowjetische Major sein »Minen-frei-Testat« an kulturhistorische Wände geritzt hat. Und er versucht zu verdeutlichen, wie wichtig ehrliches Gedenken ist. Doch wo gibt es das schon?
1946 war für die Propaganda der neuen Zeit klar: Die Zerstörung Dresdens war letztlich das Werk der deutschen Faschisten. Die Stadt aus dem Schutt zu graben, war somit ein antifaschistisches Symbol. Doch bald schon folgte dem Krieg ein Kalter Krieg. Beide Deutschlands waren in widerstreitende Systeme gebunden. 1949, dem Geburtsjahr beider deutscher Staaten, hieß es zum ostdeutschen Gedenken: »Dresden klagt an!« Einzig und allein die Kriegstreiber in den USA brachten der Kunst- und Kulturstadt den Tod und Teufel. Es war nur von »Fliegenden Festungen« und »Liberators« die Rede, britische »Lancaster« schienen unbeteiligt. Das änderte sich, bald wurde von oben herab wieder - wie aus Goebbels Mund - von anglo-amerikanischen Terrorangriffen gesprochen. Das war die passende propagandistische Begleitung zum Korea-Krieg und zur Wiederbewaffnung Westdeutschlands. 1955 verschmolz in der Argumentation der Nationalen Front alles Böse zu einer Einheit: »Die Zerstörung Dresdens war ein Glied in dem großen Verbrechen gegen die Menschheit, das von den deutschen Militaristen und Imperialisten 1939 mit dem kriegerischen Überfall auf Polen und der Zerstörung Warschaus eingeleitet wurde.« Es war nur noch ein kleiner Schritt, bis die SS-Verbrecher von Sachsenhausen mit den Bomberpiloten gleichgesetzt werden konnten, die ihre Todeslast über Dresden abluden. Auch der Schritt wurde gegangen.
Zunehmend schwarz-weiß wurde die Geschichte unterm roten Banner. Oberbürgermeister Waldauer schrieb im »Neuen Deutschland« nicht nur, dass 32000 Frauen, Kinder und Greise den Tod fanden, nicht nur, dass 90000 Wohnungen zerstört wurden, dass Kirchen, Krankenhäuser, Schulen, Kinderheime und Kulturgüter von unschätzbarem historischen Wert versanken. Nein, er machte auch deutlich von welch unterschiedlicher moralischer Qualität jene waren, die dem Nazi-Reich ein Ende setzten. Er huldigte der »in der Welt einzig dastehende Kriegführung der Sowjetunion, die trotz der Millionen unschuldiger Toten ihrer Zivilbevölkerung niemals, auch nicht ein einziges Mal in diesem vierjährigen schweren und opferreichen Kämpfen ihre militärische Machtmittel gegen die Zivilbevölkerung Deutschlands, die doch mitschuldig war, anwandte«.
1951 hat man den Opfern der Bombennächte, die auf dem Heidefriedhof begraben liegen, einen Hain gesetzt. Die Inschrift lautet:
»Wieviele starben?
Wer kennt die Zahl?
in deinen Wunden
sieht man die Qual.
Den Namenlosen, die
hier verbrannt
im Höllenfeuer aus
Menschenhand.«
1964 gestaltete man den Zugang zu den Massengräbern neu. Ein Rondell kann hinzu. 14 Stelen hat man aufgestellt, sie erinnern an andere Orte der Barbarei: Coventry, Dresden, Leningrad, Lidice, Oradour, Rotterdam, Warschau, Theresienstadt, Sachsenhausen, Ravensbrück, Dachau, Buchenwald, Bergen-Belsen, Auschwitz.
Umstritten ist, was diese Art der Gestaltung ausdrücken sollte oder jetzt, 40 Jahre später womöglich signalisiert. Kritiker sagen, hier hat die DDR-Führung - entgegen sonstiger Bestrebungen - das Schicksal aller Opfer des Faschismus nachdrücklich und augenscheinlich gleichgesetzt.
Nach und nach verwischte das unmittelbare Grauen. Immer mehr wurde das Gedenken zu einer jeweils noch machtvolleren Kundgebung für Frieden und Sozialismus. Im Osten jedenfalls. Im Westen kündigte sich bereits eine neue Form von Geschichtsrevision an. Vermeintlich wissenschaftlich akribisch schuf man das Klima, in dem Bücher wie »Der Brand« erscheinen konnten, die das Verhältnis zwischen Opfern und Tätern ganz allmählich umkehren. Vor Wochen erst titelte Deutschlands auflagenstärkstes Boulevard-Blatt dann mit forderndem Unterton: »Entschuldigt sich die Queen für Dresden?« Der Aufschrei gegen diese Art Meinungsmache hielt sich in Grenzen, denn angeblich griff »Bild« ja nur auf, was ein vergleichbares Blatt auf der Insel angeregt hatte.
An diesem Samstag wird auf dem Heidefriedhof getragene Musik erklingen. Um elf Uhr werden Repräsentanten von Stadt und Land ihre Häupter verneigen. Die Bilder werden nicht einmal einen Bruchteil der Wirklichkeit beschreiben. Denn zur gleichen Zeit wird die Innenstadt zur Festung verwandelt worden sein. Hinter der Semperoper, die immer mehr Deutsche nur noch als Erkennungsbild für Bier-Reklame wahrnehmen, werden sich Neonazis diesmal vermutlich aus halb Europa zusammenrotten, um auf ihre Art an die Bombennächte vor 60 Jahren zu erinnern. Dagegen sollen sich, so bitte eine Initiative, alle anständigen Dresdner zur Wehr setzten. Mit einer weißen Rose im Knopfloch und einer Kerze in der Hand.
Lippert erinnert sich an andere Zeiten. So schön sie wieder da steht, die Frauenkirche, so intensiv zog sie als Ruine Menschen zur gemeinsamen Besinnung an. »Fernab jedes Propaganda-Rummels, ich fand das war ein ebenso solidarisches wie spontanes Zeichen der Menschlichkeit, an dem nicht Schuld und Sühne sondern Verantwortung für Künftiges im Mittelpunkt standen.« Igeltour-Mann Lippert wird wohl nicht zu Rosenträgern und Kerzenhaltern gehören. Nicht nur, weil er meint, dass gegen diese Art »Zeitgeist« keine weißen Rosen helfen. Und schon gar keine angeblich antinationalen linken Demos, die den »Krauts« keine Träne gönnen. Nein, er wird Menschen durch Dresden führen und an Ort und Stelle zu erklären versuchen, was so oft und so absichtsvoll falsch geschildert wird.
*Die Klagelieder des Propheten Jeremias verwandte der Dresdner Kantor Rudolf Mauersberger, um sie am 4. August 1945 in der zerbombten Kreuzkirche durch seinen Kreuzchor den Überlebenden zu Gehör zu bringenWie liegt die Stadt so wüst, die voll Volks war.
Alle ihre Tore stehen öde.
Wie liegen die Steine
des Heiligtums
vorn auf allen Gassen zerstreut.
Er hat ein Feuer aus der Höhe
in meine Gebeine gesandt
und es lassen walten.
Ist das die Stadt, von der
man sagt,
sie sei die allerschönste, der sich
das ganze Land freuet.
Sie hätte nicht gedacht,
dass es ihr zuletzt
so gehen würde*
Es ist kalt. Noch deckt verharschter Schnee den Rand der steingefassten Rechtecke, in denen man hat die Asche der Toten vergrub. Kiefern filtern Sonnenlicht, nicht jedoch den Lärm der Motoren. Wenn man jetzt die Augen schließt So muss es gewesen sein, das müssen die Menschen gehört haben, damals vor 60 Jahren als die Viermotorigen über Dresden, die Stadt an der Elbe, kamen. Heute kommen die Geräusche von der Autobahn.
Kamen 20000 Menschen um? 40000 oder 200000, wie Goebbels es in einer seiner letzten Propagandaschlachten in die Welt schrie? Starben sie durch anglo-amerikanischen Terror oder kam nach Dresden, was sechs Jahre zuvor von Berlin seinen schrecklichen Ausgang genommen hatte?
Zeitzeugen werden rar. Umso mehr Autoren drängen mit ihren Büchern auf den Markt, der unersättlich scheint. Unweit des Altmarktes, wo vor 60 Jahren aus Menschenleibern Scheiterhaufen gerichtet wurden um Hitlers Endsieg nicht auch noch durch eine Epidemie zu gefährden, steht das Haus des Buches. Natürlich ist es - wie fast alles im Zentrum Dresdens - neu gebaut. Es gibt einen eigens zum Jahrestag der Bombardements hergerichteten Angebotstisch. Er ist umlagert. Stets ist nur ein Exemplar der Neuerscheinungen vom schützenden Umschlag entkleidet. Eine alte Frau wartet, sie scheut sich, »Das rote Leuchten« ein zweites Mal von der Hülle befreien zu lassen. Aber blättern möchte sie darin. »Ich weiß nicht, warum! Ich kann mich doch selbst erinnern, gerade so, als wäre es gestern gewesen. Und das tut mir gar nicht gut!« Dann berichtet sie unaufgefordert. Die Beschreibungen jener Nächte und Tage im Februar sind austauschbar, Zehntausende haben hier plötzlichen Krieg als Grauen erlebt. »Dresden«, so sagt die Frau mit gütigem Gesicht, »wird nie wieder Dresden sein können.« Natürlich freue sie sich über jeden Wiederaufbau. Der Anblick der Frauenkirche, deren Hauptraum am Sonntag zum ersten Mal nach 60 Jahren wieder betreten werden kann, treibt ihren Puls nach oben. Doch es stimmt wohl, was sie als 14-Jährige so wie all die anderen, die sich aus Luftschutzkellern krochen, geahnt hat: »Dresden ist gemordet worden und auferstehen kann es nimmer mehr!« Dann wechselt der Gesichtsausdruck der Frau. Sie spricht vom »schönen Leben« vor dem Grauen. »Drei Kinder waren wir, die Mutter hatte Arbeit, Vater war im Krieg Furier. Aus Holland und Frankreich kamen regelmäßig dicke Fresspakete.« So schnell sich Lächeln auf das Gesicht gelegt hatte, so schnell war es verschwunden. »Ja sicher, wir wussten von den KZ Nicht jedoch, dass man in Auschwitz Juden vergaste, das nicht, das müssen Sie mir glauben!« Früher, nach dem Krieg, so fährt sie fort, »durfte man ja nicht sagen, dass es sich unter Hitler gut leben ließ. Wer das sagte, war ein Nazi. Verstehen Sie, das ist so, als ob heute einer sagt, die DDR hatte auch ihre guten Seiten. Sofort ist man als Kommunist verschrien.« Nun sei sie alt und berichte frei, wie sies erlebt hat: »Bei den Nazis herrschte Ordnung, Sauberkeit und es gab so gut wie keine Kriminalität.«
Das zur Ansicht frei gegebene Wühltischexemplar war plötzlich frei, die Frau griff zu, begann zu blättern.
In der regionalen Zeitung war zu lesen, das Buch sei gut, weil es in Dresden selbst entstanden ist. Das kann spätestens seitdem im Landesparlament Nazis vom »Bomben-Holocaust« zu hetzten begannen, kein Qualitätsnachweis mehr sein. Wollte doch jemand, die Rechtsextremisten hätten das Buch zuvor gelesen. Und verstanden, was darin steht! Sie hätten gefunden, dass der Befehl zum Bomben gegeben wurde knapp zwei Wochen, nachdem das Vernichtungslager Auschwitz befreit worden war. Sie hätten gelesen, dass bis zum März in kurzen Abständen noch immer Hitlers »Wunderwaffen« in britischen Städten einschlugen. Sie hätten - was sie womöglich gefreut hätte - zur Kenntnis genommen, dass die Westalliierten in den Ardennen erfahren haben, dass Nazi-Deutschland noch immer nicht am Boden lag. Und so wahr es ist, das vor allem Zivilisten im technologisch perfekt geplanten Feuersturm umgekommen sind, sie hätten sich fragen können, wer die Hunderttausenden waren, die Jahre zuvor jubelnd mit dem erhobenen rechten Arm am Straßenrand standen, als die 4. Infanteriedivision siegreich aus Frankreich in ihre Garnison heimkehrte. Und wer von denen hat gefragt, wohin die jüdische Nachbarsfamilie »umgesiedelt« wurde? Wer hat mehr getan, als nur die Schulter gezuckt, wenn das Totenglöckchen im Landgericht zur Hinrichtung gerufen hat? Über 2000 Antifaschisten wurden hier auf die Guillotine geschnallt
Gewiss, dass allein erklärt nicht, warum Dresden zum Massengrab werden musste. Zumal all das auch nicht Gegenstand der Einweisung der britischen und amerikanischen Bomberbesatzungen gewesen ist. »Dresden, die siebtgrößte Stadt Deutschlands - und nicht viel kleiner als Manchester - ist auch die größte bebaute Fläche des Feindes, die noch nicht bombardiert wurde«, hieß es im Bomber-Briefing 1945.
Warum Dresden bislang verschont blieb? Eine Unzahl Gerüchte gibt es. Angeblich hätte Churchills Tante ihre schützende Hand über die Stadt gehalten. Auch dass die Stadt in der Welt viel zu bekannt gewesen sei, um sie ungestraft in Schutt und Asche legen zu können, glaubten die Einwohner fest. Einige wollten wissen, dass Dresden in Jalta als Sitz einer Besatzungsmacht bestätigt worden sei. Wer macht schon kaputt, was ihm dienen soll? Doch dann zeigte man eben doch »what Bomber Command can do«! Und in der Tat, Stalin war beeindruckt.
Die alte Frau hat sich in dem Buch festgelesen. Den Gruß zum Abschied nimmt sie kaum wahr, sie durchlebt ihre Jugend.
Und was denken junge Menschen heute über diese Jugend? Holger Lippert ist Sozialarbeiter, soll junge Menschen leiten. Kann er sagen, was die Jugend über die Zeit vor 60 Jahren denkt? Das kann er nicht. Jugend unterscheidet sich Stadtgebieten, danach, wer wie wo welches Leben führen kann. Und so wie die meisten Dresdner kennt er keinen Neu-Nazi so recht von Angesicht. Spricht er über Dresden 1945, so hat er zumeist aufmerksame und fragende Menschen an seiner seite. Die stammen nicht aus Dresden. Es sind zumeist Touristen. Der studierte Kunstwissenschaftler lädt ein zu Führungen durch die Stadt. »Igeltours« nennt sich die Truppe, für die er arbeitet. »Klein, aufmerksam und wehrhaft«. Er kann nur erklären, welche Schrammen im Straßengranit noch von westlichen Bombensplittern stammen und wo welcher sowjetische Major sein »Minen-frei-Testat« an kulturhistorische Wände geritzt hat. Und er versucht zu verdeutlichen, wie wichtig ehrliches Gedenken ist. Doch wo gibt es das schon?
1946 war für die Propaganda der neuen Zeit klar: Die Zerstörung Dresdens war letztlich das Werk der deutschen Faschisten. Die Stadt aus dem Schutt zu graben, war somit ein antifaschistisches Symbol. Doch bald schon folgte dem Krieg ein Kalter Krieg. Beide Deutschlands waren in widerstreitende Systeme gebunden. 1949, dem Geburtsjahr beider deutscher Staaten, hieß es zum ostdeutschen Gedenken: »Dresden klagt an!« Einzig und allein die Kriegstreiber in den USA brachten der Kunst- und Kulturstadt den Tod und Teufel. Es war nur von »Fliegenden Festungen« und »Liberators« die Rede, britische »Lancaster« schienen unbeteiligt. Das änderte sich, bald wurde von oben herab wieder - wie aus Goebbels Mund - von anglo-amerikanischen Terrorangriffen gesprochen. Das war die passende propagandistische Begleitung zum Korea-Krieg und zur Wiederbewaffnung Westdeutschlands. 1955 verschmolz in der Argumentation der Nationalen Front alles Böse zu einer Einheit: »Die Zerstörung Dresdens war ein Glied in dem großen Verbrechen gegen die Menschheit, das von den deutschen Militaristen und Imperialisten 1939 mit dem kriegerischen Überfall auf Polen und der Zerstörung Warschaus eingeleitet wurde.« Es war nur noch ein kleiner Schritt, bis die SS-Verbrecher von Sachsenhausen mit den Bomberpiloten gleichgesetzt werden konnten, die ihre Todeslast über Dresden abluden. Auch der Schritt wurde gegangen.
Zunehmend schwarz-weiß wurde die Geschichte unterm roten Banner. Oberbürgermeister Waldauer schrieb im »Neuen Deutschland« nicht nur, dass 32000 Frauen, Kinder und Greise den Tod fanden, nicht nur, dass 90000 Wohnungen zerstört wurden, dass Kirchen, Krankenhäuser, Schulen, Kinderheime und Kulturgüter von unschätzbarem historischen Wert versanken. Nein, er machte auch deutlich von welch unterschiedlicher moralischer Qualität jene waren, die dem Nazi-Reich ein Ende setzten. Er huldigte der »in der Welt einzig dastehende Kriegführung der Sowjetunion, die trotz der Millionen unschuldiger Toten ihrer Zivilbevölkerung niemals, auch nicht ein einziges Mal in diesem vierjährigen schweren und opferreichen Kämpfen ihre militärische Machtmittel gegen die Zivilbevölkerung Deutschlands, die doch mitschuldig war, anwandte«.
1951 hat man den Opfern der Bombennächte, die auf dem Heidefriedhof begraben liegen, einen Hain gesetzt. Die Inschrift lautet:
»Wieviele starben?
Wer kennt die Zahl?
in deinen Wunden
sieht man die Qual.
Den Namenlosen, die
hier verbrannt
im Höllenfeuer aus
Menschenhand.«
1964 gestaltete man den Zugang zu den Massengräbern neu. Ein Rondell kann hinzu. 14 Stelen hat man aufgestellt, sie erinnern an andere Orte der Barbarei: Coventry, Dresden, Leningrad, Lidice, Oradour, Rotterdam, Warschau, Theresienstadt, Sachsenhausen, Ravensbrück, Dachau, Buchenwald, Bergen-Belsen, Auschwitz.
Umstritten ist, was diese Art der Gestaltung ausdrücken sollte oder jetzt, 40 Jahre später womöglich signalisiert. Kritiker sagen, hier hat die DDR-Führung - entgegen sonstiger Bestrebungen - das Schicksal aller Opfer des Faschismus nachdrücklich und augenscheinlich gleichgesetzt.
Nach und nach verwischte das unmittelbare Grauen. Immer mehr wurde das Gedenken zu einer jeweils noch machtvolleren Kundgebung für Frieden und Sozialismus. Im Osten jedenfalls. Im Westen kündigte sich bereits eine neue Form von Geschichtsrevision an. Vermeintlich wissenschaftlich akribisch schuf man das Klima, in dem Bücher wie »Der Brand« erscheinen konnten, die das Verhältnis zwischen Opfern und Tätern ganz allmählich umkehren. Vor Wochen erst titelte Deutschlands auflagenstärkstes Boulevard-Blatt dann mit forderndem Unterton: »Entschuldigt sich die Queen für Dresden?« Der Aufschrei gegen diese Art Meinungsmache hielt sich in Grenzen, denn angeblich griff »Bild« ja nur auf, was ein vergleichbares Blatt auf der Insel angeregt hatte.
An diesem Samstag wird auf dem Heidefriedhof getragene Musik erklingen. Um elf Uhr werden Repräsentanten von Stadt und Land ihre Häupter verneigen. Die Bilder werden nicht einmal einen Bruchteil der Wirklichkeit beschreiben. Denn zur gleichen Zeit wird die Innenstadt zur Festung verwandelt worden sein. Hinter der Semperoper, die immer mehr Deutsche nur noch als Erkennungsbild für Bier-Reklame wahrnehmen, werden sich Neonazis diesmal vermutlich aus halb Europa zusammenrotten, um auf ihre Art an die Bombennächte vor 60 Jahren zu erinnern. Dagegen sollen sich, so bitte eine Initiative, alle anständigen Dresdner zur Wehr setzten. Mit einer weißen Rose im Knopfloch und einer Kerze in der Hand.
Lippert erinnert sich an andere Zeiten. So schön sie wieder da steht, die Frauenkirche, so intensiv zog sie als Ruine Menschen zur gemeinsamen Besinnung an. »Fernab jedes Propaganda-Rummels, ich fand das war ein ebenso solidarisches wie spontanes Zeichen der Menschlichkeit, an dem nicht Schuld und Sühne sondern Verantwortung für Künftiges im Mittelpunkt standen.« Igeltour-Mann Lippert wird wohl nicht zu Rosenträgern und Kerzenhaltern gehören. Nicht nur, weil er meint, dass gegen diese Art »Zeitgeist« keine weißen Rosen helfen. Und schon gar keine angeblich antinationalen linken Demos, die den »Krauts« keine Träne gönnen. Nein, er wird Menschen durch Dresden führen und an Ort und Stelle zu erklären versuchen, was so oft und so absichtsvoll falsch geschildert wird.
*Die Klagelieder des Propheten Jeremias verwandte der Dresdner Kantor Rudolf Mauersberger, um sie am 4. August 1945 in der zerbombten Kreuzkirche durch seinen Kreuzchor den Überlebenden zu Gehör zu bringen
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