Die Sprayer reisen mit dem Billigflieger

Beim ersten Anti-Graffiti-Kongress treffen sich Experten zum internationalen Erfahrungsaustausch

  • Andreas Heinz
  • Lesedauer: 3 Min.
Ist ein Graffiti schön oder nicht? Das ist für die Mitglieder von »Nofitti« nicht die Frage. »Es geht vielmehr darum, dass die Sprüherei Sachbeschädigung ist und auf Dauer zum Beispiel steinerne Denkmale zerstört«, stellte der »Nofitti«-Vorsitzende Karl Hennig gestern klar. Dazu kämen Reinigungskosten in Millionenhöhe. Die Bevölkerung habe den Vandalismus satt. Wie aber den Sprayern die Lust am Sprühen nehmen? Das wollen Experten im April beim ersten internationalen Anti-Graffiti-Kongress in Berlin klären. Etwa 200 Gäste aus Belgien, Dänemark, Großbritannien, Finnland, Norwegen, Schweden, den USA und Deutschland haben zugesagt. Vor allem auf die Erfahrungen der Teilnehmer aus Finnland, Dänemark, Norwegen und Schweden setzen die Berliner. Bei der skandinavischen »Null-Toleranz-Praxis« erscheine innerhalb von 24 Stunden ein Reinigungstrupp und entferne die »Pieces« genannten Bilder wieder. In Kopenhagen seien die »Putzteufel« rund um die Uhr im Einsatz. Graffiti-Sprayer wollen gesehen werden, ihre »tags« bringen ihnen Anerkennung - und die Sprüherei muss illegal sein - legale Sprayer sind in der Szene »unten durch«. Hennig weiß von einem dänischen Kollegen: »Wenn die Graffiti immer wieder verschwinden, verlieren die Sprayer die Lust und hören nach einiger Zeit auf.« In Dänemark und Finnland seien die Hausbesitzer verpflichtet, die Sprühwerke innerhalb von 48 Stunden zu entfernen. In Kopenhagen gebe es stadteigene Reinigungsbetriebe, die Verträge mit den Hauseigentümern abschließen. Die Reinigung könne auf die Betriebskosten umgelegt werden. Die Sprayer erwarte hohe Geldstrafen, Wiederholungstäter müssten mit Haftstrafen rechnen. Auch hier kann Sprühen teuer kommen, warnt die »Gemeinsame Ermittlungsgruppe Graffiti in Berlin«: Schadensersatzforderungen sind 30 Jahre einklagbar. Allein der BVG entsteht nach Darstellung von »Nofitti« ein jährlicher Schaden von rund neun Millionen Euro durch die rund 9000 Sprayer. Zum »harten Kern« würden etwa 400 Personen gezählt. Berlin koste die Beseitigung der Schäden jährlich um die 50 Millionen Euro. Inzwischen habe sich ein regelrechter Sprayer-Tourismus entwickelt. Berlin stehe dabei ganz oben. »Die Sprayer können heute schnell und preiswert per Billigflieger von einer Großstadt in die andere reisen, um dort ihre Pieces zu setzen«, so die Erfahrung der 1994 gegründeten Bürgerinitiative. »Ein Hin- und Rückflug Berlin - Kopenhagen ist schon für 46 Euro zu haben«, berichtete Hennig. In Skandinavien befasst man sich laut »Nofitti« schon in Kindergärten und Schulen mit dem Thema »Graffiti«, denn durch die austretenden Treibgase können dauerhafte gesundheitliche Schäden entstehen. Spraydosen-Verkäufer bieten im Internet inzwischen gleich Atemschutzmasken mit an, hat Hennig recherchiert. »Nofitti« kümmert sich derzeit ehrenamtlich um die Pflege und Reinigung von 14 Denkmälern und zehn Parkanlagen, darunter Weltzeituhr und Brunnen auf dem Alex, das Schinkel-Denkmal und die Hansa-Bibliothek in Tiergarten. Anlässlich des Kongresses am 7.April wurde der Wettbewerb »Graffitifreie Schule« ausgeschrieben. Der Begriff »Graffiti« leitet sich vom griechischen graphein ab. Im italienischen Sprachraum entwickelte sich aus sgraffiare (kratzen) Sgraffiti bzw. Graffiti. Beide Bezeichnungen standen für eine Fassadengestaltung mittels Kratzputztechnik. Verschiedenfarbige Putzschichten wurden aufgetragen und durch Wegkratzen der oberen Schicht reliefartige Motive gestaltet.

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