Lob des Galilei

Brief Albert Einsteins an Bertolt Brecht entdeckt

Im Jahr 1930 hielt Albert Einstein an der Marxistischen Arbeiterschule (MASCH) in Berlin einen Vortrag über Kausalität. Unter seinen Zuhörern war auch Bertolt Brecht, der den Schöpfer der Relativitätstheorie seinerzeit vorbehaltlos bewunderte. Damit nicht genug stellte er sich New Yorker Theaterleuten 1935 mit den Worten vor: »Ich bin der Einstein der neuen Bühnenform.« Einstein hingegen hatte von Brecht zunächst »eine furchtbar schlechte Meinung«, wie Konrad Wachsmann, Architekt und Freund des Physikers, in seinen Erinnerungen festhielt. Als er auf Drängen seiner Stieftochter Margot einmal in Berlin die »Dreigroschenoper« besuchte, zeigte sich Einstein hinterher wenig begeistert, am allerwenigsten von der Musik Kurt Weills. Später freilich änderte der berühmte Physiker seine Meinung. So fügte er einem Schreiben an Alice K. Orlan 1946 die Bemerkung hinzu: »Grüßen Sie auch Bert Brecht, dessen Kunst ich aufrichtig verehre, am meisten von den mir bekannten, die heute Deutsch schreiben.« Wie ist diese erstaunliche Wandlung zu erklären? Im November 1938 hatte Brecht im dänischen Exil sein Stück »Leben des Galilei« abgeschlossen und wenig später eine Textkopie an Einstein gesandt, der am 4. Mai 1939 mit einem kurzen Antwortbrief reagierte. Obwohl dieser Brief seit Jahrzehnten im Albert-Einstein-Archiv der Jewish National and University Library in Jerusalem lagert, wurde er von Erdmut Wizisla, dem Leiter des Berliner Brecht-Archivs, kürzlich durch Zufall aufgespürt und in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« erstmals veröffentlicht. »Sie haben mir mit Ihrem "Galilei" eine große Freude gemacht«, schrieb Einstein an Brecht. »Nicht nur scheinen Sie mir die Persönlichkeit Galilei's tief erfasst zu haben, sondern auch die Bedeutung seiner Erscheinung in der Entwicklung der Geistesgeschichte und damit der Geschichte überhaupt. Auch gibt Ihre Darstellung einen tiefen Einblick in die Problemstellungen, wie sie Galilei vorlagen und in die Einstellung der vor-galileiischen Wissenschaft zur Erfahrung.« 1933 von den Nazis aus Deutschland vertrieben, würdigte Einstein namentlich die Aktualität des Werkes: »Sie haben es verstanden, einen dramatischen Rahmen zu schaffen, der ungemein fesselnd ist und uns auch durch die starken Beziehungen zu den politischen Problemen der Gegenwart besonders interessieren muss.« Hoffentlich, so endet der Brief, werden es die verbildeten Zeitgenossen zu schätzen wissen, »was Sie da Vortreffliches hingestellt haben«. Ob Brecht diese Zeilen jemals in den Händen hielt, ist bis heute ungeklärt. »In seinem Nachlass im Archiv deutet nichts darauf hin«, sagt Wizisla. Hinzu kommt, dass der Dramatiker sich nach dem Zweiten Weltkrieg zunehmend von Einstein distanzierte und nach den Atombomben-Abwürfen über Hiroshima und Nagasaki sogleich daran ging, seinen »Galilei« umzuschreiben. In der amerikanischen Fassung des Stücks, die er in den Jahren 1945/46 gemeinsam mit dem englischen Schauspieler Charles Laughton erarbeitete, hat Brechts Urteil deutlich an Schärfe gewonnen. Der Widerruf des Titelhelden ist nun keine verzeihliche List mehr, sondern steht gleichsam für den Sündenfall der modernen Naturforschung. Nicht ohne Bitterkeit ließ Brecht sich später zu der Bemerkung hinreißen, dass die Wissenschaftler im Grunde nichts weiter seien als »ein Geschlecht erfinderischer Zwerge, die für alles gemietet werden können«. Ähnlich harsche und bisweilen verunglimpfende Töne schlug er auch gegenüber Einstein an, den er gelegentlich so charakterisierte: »Das brillante Fachgehirn, eingesetzt in einen schlechten Violinspieler und ewigen Gymnasiasten mit einer Schwäche für Generalisierungen über Politik.« Hätte doch der berühmte Physiker frühzeitig wissen können, dass andere seine Forschungsergebnisse bei Gelegenheit militärisch missbrauchen und somit seinen Triumph in eine Niederlage verwandeln würden. 1955 war Brecht sogar versucht, ein Stück über das »Leben des Einstein« zu schreiben, von dem leider nur acht holprige Verszeilen überliefert sind. Die dazugehörige Materialsammlung hingegen sei beträchtlich, meint Wizisla: »Sie umfasst eine Handbibliothek sowie mehrere Mappen mit Artikeln und Ü...

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