Das Objekt: Albert Einstein. Der Informant: Adolf Sauter.

Die Quelle, die selbst FBI-Chef Hoover nicht kannte, ist jetzt enttarnt

  • Siegfried Grundmann
  • Lesedauer: 7 Min.
Die Nazis haben Albert Einstein 1934 ausgebürgert. Begründung: Er habe sich kommunistisch betätigt. 15 Jahre später wurde in den USA ebenfalls erwogen, den berühmten Physiker und Nobelpreisträger des Landes zu verweisen. Und das mit der gleichen Begründung.
Das nach mehrjähriger harter Arbeit im August 1953 fertig gestellte Sündenregister des FBI umfasst 142 Seiten - eine wahre Fleißarbeit (heute eine hilfreiche Materialsammlung für die Einstein-Forschung). Zu den Sünden des berühmten Physikers zählte das US-Geheimdienstdossier, dass dieser in Deutschland Mitglied des Kuratoriums der Kinderheime der Roten Hilfe, des Präsidiums der Gesellschaft der Freunde des neuen Russland, des Ehrenkomitees der Internationalen Arbeiterhilfe, des Deutschen Kampfkomitees gegen den imperialistischen Krieg, des Weltkomitees gegen den imperialistischen Krieg sowie des Initiativkomitees Freies Wort war. Jene Organisationen waren auch in den Akten der Nazis zum »Fall Einstein« aufgeführt worden. Man könnte meinen, dass das FBI bei den Nazis abgeschrieben hat. Gewiss: Manche der genannten Organisationen waren kommunistisch beeinflusst, aber nicht alle. Und dass der Wissenschaftler oft im Gegensatz zur KPD, ebenso aber auch zur SPD gestanden hat, war keiner Erwähnung wert. Bei gewissenhafter Recherche wäre auch bekannt gewesen, dass er kein Freund Ernst Thälmanns war. Neben der Stigmatisierung Einsteins als »Kommunistenfreund« waren für das FBI darüber hinaus und in besonderem Maße verdächtig dessen Engagement für Abrüstung, seine Warnung vor einem drohenden Atomkrieg und einer möglichen Vernichtung der Menschheit, sein Vergleich der USA mit dem Deutschland vor Hitlers Machtantritt und seine öffentliche Aufforderung zu zivilem Widerstand gegen die Praktiken des McCarthy-Untersuchungsausschuss gegen »unamerikanische Tätigkeit«. Mit allgemein gehaltenen Vorwürfen begnügte man sich freilich nicht. Detailreich wurde bereits in den Berichten des militärischen Geheimdienstes der USA, CIC, vom 13. März 1950 und vom 25. Januar 1951 beschrieben, wie Einstein in Deutschland vor seiner Emigration mit den Kommunisten zusammengearbeitet und konspiriert habe. Sein »Büro« in Berlin sei ein Umschlagplatz geheimer Nachrichten und seine Sekretärin Verbindungsperson zum illegalen Apparat der Kommunistischen Internationale gewesen. Seine »Telegrammadresse« hätte unter der Oberaufsicht von Richard Großkopf gestanden, »gegenwärtig Chef der Kriminalpolizei im Sowjetsektor von Berlin und damals Chef der Passfälscher-Organisation der KPD«, heißt es im Dossier. Einsteins Freunde Houtermans, Bobek, Kromrey und andere stammten aus dem »kommunistischen Klub der Geistesarbeiter«, wurde des weiteren berichtet. Wer war der Informant? Auch FBI-Chef J. Edgar Hoover hatte dies wissen wollen, aber vom CIC keine Auskunft erhalten; ihm wurde nur mitgeteilt, dass der Mann ehemals zum »kommunistischen Untergrund« gehört habe. Das FBI hat sich revanchiert und dafür dem CIC den Namen von Einsteins damaliger »Sekretärin« verschwiegen. Die Rivalität von Geheimdiensten ist kein Phänomen der neuesten Zeit. Nach Durchsicht von etwa 1700 Akten glaube ich, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Identität der »Source« (Quelle) entschlüsselt zu haben. Der Name: Adolf Sauter. Dieser war tatsächlich ehemals ein Mann aus dem kommunistischen Untergrund. Ein »Insider«. Eben darum waren auch die Angaben in den Berichten über die Beschaffenheit der illegalen Apparate der KPD und der Kommunistischen Internationale stimmig. Einstmals war Sauter ein mutiger und verdienstvoller KP-Funktionär - im Ressort »Abwehr«. 1933/34 war er Chef der Passfälscherorganisation der Partei. Er war wagehalsig und einfallsreich. Als die Wirtsleute des damals illegal in Deutschland lebenden Georgi Dimitroff einen hohen Betrag gestohlen hatten (von 10000 Dollar ist die Rede), schlüpften Sauter und Genossen in Polizeiuniformen und sorgten dafür, dass der bulgarische KP- und KI-Funktionär sein Geld zurückbekam. Ein weiteres Beispiel seiner Fantasie und Kühnheit: Fünf Koffer mit wichtigem Material der Passfälscher versteckte er im Riesenfernrohr der Sternwarte Treptow. Er gehörte zu jenen, die am 7. Februar 1933 für die organisatorische Absicherung der Funktionärstagung des ZK der KPD in Ziegenhals bei Berlin verantwortlich waren. Sauter war ein kenntnisreicher und erfolgreicher Apparatschik, der bereit war, sich unterzuordnen, als Parteisoldat seine Pflicht zu tun. Aber er war auch sehr selbstbewusst und ehrgeizig - und im Zustand der Verärgerung oder Demütigung konnte er jähzornig, hemmungslos und unberechenbar werden. Im Ergebnis erbitterter Auseinandersetzungen mit Walter Ulbricht und Funktionären des Geheimapparates der KPD (insbesondere Leo Roth) hat Sauter schließlich die Fronten gewechselt. Sein Kommentar hierzu rückblickend, Anfang der 50er Jahre: »Vieles, was als Hass uns entgegentritt, ist nichts als enttäuschte und pervertierte Liebe. Vieles zwingt uns die Angst vor dem eigenen Mut auf, vieles die Furcht vor den nicht übersehbaren Konsequenzen eines solchen Schrittes. Man wird verschlossen und beginnt, mit einer Maske herumzurennen. Manchmal dringt dann die zur Schau getragene Haltung in die Bereiche der Psyche ein und wandelt dann die ursprüngliche Zuneigung in echten und tödlichen Hass um.« Am 15. Mai 1935 hatte sich Sauter zum Columbia-Haus in Berlin begeben, um der Gestapo sein Wissen und seine Dienste anzubieten. Und noch am gleichen Tag sein »Gesellenstück« zu offerieren. Mit Hilfe seines Freundes Rudolf Schüllenbach aus dem »BB-Ressort« der KPD (Betriebsspionage-Ressort) lockte er Felix Bobek und Ewald Jahnen zu einem Treff, wo die beiden in die Fänge der Gestapo gerieten. Mit Sauters Hilfe konnte die Gestapo bis Ende des Jahres 1935 das gesamte BB-Ressort der KPD liquidieren. Weitere Brechen wurden in andere Ressorts geschlagen. Aus dem KP-Apparatschik Sauter mit den Decknamen »Hugo« und »Ferrie« wurde der Gestapo-V-Mann »Ra. 2« bzw. »Gi. 22«. Sauter betätigte sich aber nicht nur als Informant, sondern auch als Analytiker. Er brauchte keine Aufträge, um zu wissen, was zu tun ist. Im April 1937 berichtete der V-Mann »Ra. 2« über die »Stimmung in den Reihen der im Auslande lebenden deutschen Kommunisten und eine sich daraus ergebende Lehre«. Die Angst der KPD- Führung, »ein jeder aus dem Lande kommende Mann könnte kurz zuvor umgefallen« sein, schrieb Sauter, grenze an Hysterie. Jeder »nicht legitimierte Ankömmling« sei »für die draußen aufhältlichen Kommunisten entweder ein Gestapomann oder ein Trotzkist«. »Ra. 2« erteilte der Gestapo zwei sich daraus ergebende »Lehren«: »Die eine ist, dass es heute mit größter Leichtigkeit möglich ist, irgendeinen beliebigen Mann in Konflikt mit der KPD zu bringen, wenn auf geschickte Weise ein Verdacht gegen ihn lanciert wird... In größerem Maße angewendet, heißt dies die Ausnützung einer vorhandenen, von der Partei geduldeten und noch genährten Psychose zum Zwecke der Weitertreibung dieser Hysterie, die unzweifelhaft ein Element der Zersetzung darstellt.« » Die andere Lehre ist die, dass draußen, insbesondere an den wichtigeren Stellen, kaum Leute lanciert werden können, die ungenügend oder gar nicht legitimiert sind. Fast aussichtslos aber erscheint der Versuch, einen Mann zu lancieren, gegen den auch nur das geringste an Vorwürfen erhoben werden kann... Es ergibt sich also die Tatsache, dass die hier vorhandenen Kräfte wirklich im Lande von unten angesetzt werden müssen, und zwar ohne Rücksicht darauf, dass man mit einer gewissen Zeitperiode rechnen muss, die für ihr hinaufklettern erforderlich werden wird.« Der »Weg zum Ziel«, heißt es abschließend, geht »offenbar über den Anschluss unten.« Die Gestapo hat getan, wozu Sauter riet. Und entsprechend dieser Lehren hat Sauter dann selbst gehandelt: Namen Oppositioneller sammeln und zu gegebener Zeit der Gestapo ausliefern. Mit von der Partie war Rambow - der Verräter der Widerstandsgruppe um Anton Saefkow. Nach dem Krieg beantragte Rambow beim Magistrat von Berlin die Anerkennung als Opfer des Faschismus. Wenig später wurde er verhaftet und am 25. September 1945 durch das Militärtribunal der sowjetischen Garnison von Berlin zum Tode durch Erschießen verurteilt. Die Urteilsvollstreckung erfolgte am 12. November 1945. Zuvor hatte er, in Verhören am 31. Juli und am 1. August 1945, noch Angaben zu Sauter gemacht: »Von der Gestapo hatte er den Auftrag, Kommunisten unter den Arbeitern großer Werke aufzuspüren und zu versuchen, in die illegale Kommunistische Partei einzudringen...« Sauter war klüger als Rambow. Er hat sich zu Kriegsende sofort in Richtung Westen abgesetzt. Dort wurde er zunächst Mitarbeiter des amerikanischen Geheimdienstes CIC, später der Organisation Gehlen (Vorläuferorganisation des BND) sowie des »Befreiungskomitees für die Opfer totalitärer Diktatur«. In eben dieser Eigenschaft hat er - jetzt alias »Kramer«, später alias »Springer« - die »Akte Einstein« des CIC und des FBI gefüllt. Was dort über den kommunistischen Untergrund zu lesen ist, zeugt von Kenntnis und gutem Gedächtnis. Aber alles, was über Einsteins Jahre in Berlin berichtet wird, stimmt nicht. Dieser hatte keine »Telegrammadresse«, auch kein »Büro«, sondern nur bescheidene Arbeitsräume im Dachgeschoss seines Wohnhauses in der Haberlandstraße 5 (noch nicht einmal diese Adresse hatte Sauter angeben können). Ebenso hatte Einstein nicht »Sekretärinnen«, sondern seit April 1928 nur die eine: Helene Dukas. Und diese war ihm nicht vom »kommunistischen Klub der Geistesarbeiter« empfohlen worden, sondern von der mit Elsa Einstein bekannten Rosa Dukas. Mit den in Sauters Berichten genannten Apparatschiks der KPD stand Einstein in keinerlei Kontakt. Wenn überhaupt, so haben CIC und FBI die von Sauter gelieferten Berichte nur oberflächlich geprüft und den ganzen Schwindel nicht bemerkt - und dabei auch vieles übersehen, was Einstein und dessen Sekretärin in der McCarthy-Zeit wirklich zum Verhängnis hätte werden können. Der FBI-Chef war nur an einem interessiert: Er brauchte Argumente für den erklärten Endzweck, für die Aberkennung der US-Staatsbürgerschaft und Ausbürgerung Albert Einsteins. Von unserem Autor erschien im Springer-Verlag das Buch »Einsteins Akte«, in dem einige seiner neuen Rechercheergebnisse nachzulesen sind.

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