An der Wiege der Chipko-Bewegung
Hiltrud Rüstaus Erkundungen in Uttaranchal, einem der jüngsten Unionsstaaten Indiens
Goa, Rajasthan oder Westbengalen - die Namen dieser indischen Unionsstaaten sind weithin bekannt. Über Uttaranchal wissen nur wenige Bescheid. Das Buch der Indologin Hiltrud Rüstau schafft Abhilfe.
Uttaranchal erblickte erst im November 2000 das Licht der Welt, als 27. der nunmehr 28 indischen Bundesstaaten. Bis dahin war die an Tibet und Nepal grenzende Gebirgsregion mit rund sieben Millionen Einwohnern Teil des großen nordindischen Unionsstaates Uttar Pradesh. Wie aber konnte sich Uttaranchal abspalten? Welche wirtschaftlichen und kulturellen Besonderheiten sind dort vorhanden? Fragen, denen die Berliner Indologin Hiltrud Rüstau auf einer ausgedehnten Reise im Frühsommer 2002 nachging. In ihrem unlängst erschienenen Buch »Uttaranchal - dem Himmel ein Stück näher« liefert die auch als ND-Autorin bekannte Indologin ein detailreiches Bild der neuen politischen Entität in den Himalaja-Vorbergen. Ihre Entstehung verdankt sie nicht zuletzt einer gandhianischen Volksbewegung, die unter dem Namen Chipko Andolan international bekannt wurde. An traditionelle gewaltfreie Protestformen (Dhandak) gegen einheimische Fürsten oder britische Kolonialherren anknüpfend, verhinderten Frauengruppen immer wieder durch »Umarmen« von Bäumen den rabiaten Raubbau an dem wichtigsten Rohstoff der Region, dem Holz. Diese spontanen Proteste mündeten in eine breite soziale Bewegung gegen die Einschränkung der Rechte der Bergbewohner und ihres Lebensraumes. Die Anfang der 70er Jahre unter der Führung von Sunderlal Bahaguna entstandene Chipko-Bewegung, so Rüstau, spielte nicht nur eine wesentliche Rolle beim allmählichen Zustandekommen eines Umweltbewusstseins in ganz Indien, sondern wurde eine wichtige Grundlage für die Forderung nach einem eigenen Unionsstaat in der Region. Eine Forderung, die allerdings erst nach schweren politischen Auseinandersetzungen, bei denen wiederum die Frauen im Vordergrund standen, Wirklichkeit wurde. Nach der gediegenen politischen Einleitung führt Rüstau den Leser in die beiden Hauptregionen des neuen Unionsstaates, nach Garhwal, das Land der Asketen, und Kumaon, das Land der Götter. Voller Entdeckerfreude begibt sie sich zu den verschiedenen Stätten des hinduistischen Pantheons, beschreibt die Riten in Pilgerorten wie Haridwar oder Rishikesh, erkundet heilige Orte wie Deoprayag, die Geburtsstätte des Ganges, oder Triyuginarayan, wo der Überlieferung nach die Götter Shiva und Parvati heirateten. In mehreren dem Leben zugewandten Ashrams trifft sie sozial engagierte Frauen aus der Chipko-Bewegung, die heute Mädchen aus den Gebirgsdörfern unterrichten oder den Aufbau einer dörflichen Kleinindustrie fördern. Eingehend widmet sie sich der Motivation des Missionsgründers Swami Vivekananda, dem großen hinduistischen Denker und Sozialreformer, und dem Phänomen der in Indien allgegenwärtigen heiligen Männer (Sadhus). Vivekananda, der bei seinem ersten Besuch in Almora kurz vor dem Ziel zusammenbrach, wurde hier von einem muslimischen Fakir gerettet - eine humanistische Tat über die Religionsgrenzen hinweg, die Vivekananda in seinen Toleranzaufrufen später häufig erwähnte. Deshalb wundert sich Rüstau, dass hindunationalistische Kreise in Indien heute in ihren verbalen wie gewaltsamen Attacken gegen Muslime und andere religiöse Minderheiten ausgerechnet auf Vivekananda verweisen. Die Autorin entdeckt im Erbe des indischen Reformators noch manches andere Diesseitig-Konstruktive. So die Mahnung an eine US-amerikanische Jüngerin, wahre Entwicklung könne nicht von außen, sondern müsse von innen kommen. Rüstau dazu: »Das scheint uns ein sehr vernünftiger, auch für die heutigen Entwicklu...Zum Weiterlesen gibt es folgende Möglichkeiten:
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