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  • Politik
  • Siegfried Reiprich und sein »verhinderter Dialog«

Damals in Jena

  • Lutz Rathenow
  • Lesedauer: 4 Min.

Nicht jedes Buch müßte ein Buch sein. Oft reichte ein Zeitschriftenbeitrag. Das von Siegfried Reiprich ausgebreitete Material eignete sich gut für eine CD-ROM. Jeder könnte entscheiden, ob er sich erst die notierten Gespräche vornimmt. Oder sich gleich den Schilderungen des Autors zuwendet. Er kann kopierte Aktenteile betrachten oder sich zu den Randbemerkungen durchzappen. Reiprich hätte da als experimentierfreudiger Wissenschaftler schon etwas zusammengemixt, was die behandelte Zeit im Jena der 70er Jahre anschaulich macht. Töne, Fotos, da und dort private Grüße versteckt - aber wer nutzt das dann? Seine Freunde und Bekannten lesen immer noch Bücher So schrieb Siegfried Reiprich eines über einen pfiffigen jungen Mann in Jena, der sein Philosophiestudium abbrechen muß, Bahros »Alternative« nach Rundfunkmitschnitt in die Schreibmaschine tippt, konspirativen Kontakt zum Frankfurter (am Main!) Sozialistischen Büro hält (den die Stasi nicht mitbekommt), mit Freunden und algerischen Gastarbeitern Fußballspiele organisiert. Zu der Zeit ist Reiprich schon als Arbeiter in der Glasherstellung tätig und spürt erste gesundheitliche Schäden durch extreme Arbeitsbedingungen. Die guten Kontakte zu den Ausländern werden staatlicherseits mißtrauisch beäugt. Unterleutnant Eidner meldet 1978 Unklarheiten, ob der Reiprich die Algerier »zu negativen Verhaltensweisen (z. B. massive Forderungen gegenüber der Werksleitung) beeinflußt«. Mehr kann er nicht melden, denn kein(!) Arbeiter läßt sich von der Staatssicherheit anwerben. Der Brigadier liefert geschönte Berichte.

Als Buch liest sich das ein wenig verwirrend für den, der rasch den politischen Extrakt konsumieren will. Aber gerade die Störungen, Sprünge und aktuellen Anspielungen machen es reizvoll, raffiniert. Die Fülle der verwendeten Textarten könnten den Band auch der literarischen Postmoderne zuordnen. Kann das alles wahr gewesen sein, was dieser Mensch in Jena erlebt haben will? Wolf Biermann, Jürgen Fuchs, Robert Havemann als ganz normale Bezugspersonen. Zwei Jahre existiert ein agiler, DDR-weit wirkender »Arbeitskreis Literatur«. Dann ein konspirativer Lesekreis, der sich um eine konsequente politische Opposition kümmert. Das führt zu Verhaftungsplänen staatlicherseits. Und Siegfried Reiprich reist doch aus nach Westberlin. Vorher versucht er mit seiner Freundin, einen Freund über Polen in den Westen zu schleusen, damit der nicht als Wehrdienstverweigerer in den DDR-Knast muß. In unserer Mediengesellschaft fällt es zunehmend schwer, sich vorzustellen, daß es auch Wirklichkeiten gibt, die die Medien nicht wahrnehmen. Können oder wollen. Siegfried Reiprichs Leben vollzog sich in so einem Bereich. Insofern ist das kleine Buch eine Ergänzung zum Wälzer von Tina Rosenberg, der jüngst kontroverse Debatten herausforderte. Es ermöglicht eine Expedition in das unbekannte Land: Sozialismus mit Jenaer Antlitz. Stoff für Diskussionen, zeitgeschichtliche Forschungen - oder eben für ein paar Stunden anregende Lektüre.

Entdeckungsreisen mit einem Kafka-Kenner- »Prag. Literarische Spaziergänge durch die Goldene Stadt« -

Hartmut Binder führt durch das historische und das moderne Prag (Klett-Cotta, 318 S., geb., 36 DM).

Wenn einer eine Reise tut: »Up and away« - der Reigen dieser »Fernwehgeschichten« beginnt mit Homer (Aufbau Taschenbuch Verlag, 284 S., brosch., 14 DM).

Ein Mann, von der Sehnsucht getrieben, etwas nachzuholen, wozu ihm lange der Mut fehlte: »Erotische Begegnungen« - ein Report der Emotionen, verfaßt von einem Münchner Autor, der hier das Pseudonym Pepin wählte (Edition Hans Erpf, 392 S., geb., 38 DM).

Mord aus sozialer Not oder aus Leidenschaft, aus politischen Gründen oder aus Raubgier- »Hexen, Räuber und Magister« - ein spannender Pitaval aus dem 19 Jahrhundert von Willibald Alexis und Julius Eduard Hitzig, neu herausgegeben von Werner Liersch (Das Neue Berlin, 254 S., Pappbd., 29,80 DM).

Frauen in der Geschichte - mutig, gedemütigt, eigensinnig: »Ich schreibe Ihnen aus einem fernen Land« - sensible, einfühlsame Erzählungen von Anna Banti (List, 407 S., geb., 44 DM).

Das gewaltigste Bilderrätsel der Menschheit steht vor seiner Lösung: Das verspricht jedenfalls Erich von Däniken in seinem neuen Band »Zeichen für die Ewigkeit« (C. Bertelsmann, 240 S., geb., 49,90 DM).

A uthentisch: »Erzähl ihm nicht von jTxden Bergen« - der Anthropologe und Schriftsteller Michael Dorris berichtet über seinen eigenen Adoptivsohn Adam, einen Indianerjungen (Knaur, 383 S., brosch., 15,90 DM).

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