• Frauen-Geschichte(n)

Helga Einsele

  • Günter Platzdasch
  • Lesedauer: 2 Min.
Merkwürdig: Da wird landauf, landab heftig über Folter und die Zustände in Gefängnissen diskutiert, aber der Tod einer Frau, deren Lebenswerk sich auf einen humanen Strafvollzug konzentrierte, blieb wenig beachtet. Am 13. Februar ist Helga Einsele verstorben. Die 1910 Geborene war stark beeindruckt und geprägt worden durch ihr Studium beim sozialdemokratischen Heidelberger Juristen Gustav Radbruch, über den sie am 1. Mai 1930 berichtete: »Dann sprach er. Nicht über den allgemeinen Teil des Strafrechts, sondern vom Recht überhaupt, von seiner Funktion in einer politischen Wirklichkeit verschärfter Klassenkämpfe, in der solche Formen des Kampfes widerstreitender Interessen gefunden werden mussten, dass die Klasse der Ausgebeuteten zu ihrem Recht komme. Wo hatte es im Universitätsbetrieb bisher eine solche Parteinahme für eine Wirklichkeit gegeben, die sonst alle zu verbergen trachteten?« Während der NS-Zeit im Exil, wurde Helga Einsele 1947 vom legendären Ministerpräsidenten des »roten Hessens«, Georg August Zinn, zur Leiterin des Frauengefängnisses in Frankfurt-Preungesheim ernannt, wo sie über 28 Jahre lang »Einblick hatte in schlimmes Lebenselend«. Sie führte Therapie- und Selbsthilfegruppen im Gefängnis ein, lange bevor diese Ansätze breite Anerkennung fanden. Zu ihren Reformen gehörte, dass Beamte die Gefangenen nicht duzen, die inhaftierten Frauen normale Kleidung tragen durften sowie jede von ihnen eine Sozialarbeiterin bekam. Durch eine niedrigere Rückfallquote erregte ihr »Regiment« überregional Aufmerksamkeit. Vorbild wurde vor allem das von ihr institutionalisierte Mutter-Kind-Haus. Ab 1976 schließlich regelte der Paragraf 80 des Strafvollzugsgesetzes: Ein noch nicht schulpflichtiges Kind durfte fortan in der Anstalt bei der Mutter untergebracht werden. Neben ihrer Tätigkeit als Dozentin für Kriminologie an der Frankfurter Goethe-Universität war Helga Einsele auch stark in den politischen Auseinandersetzungen der Bundesrepublik engagiert, u.a. als Beiratsmitglied der Humanistischen Union. Sie war Mitstreiterin des hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer, des Initiators des berühmten Frankfurter Auschwitz-Prozesses, und es klang bitter, als sie einmal bemerkte: »Wenn ich mein Büro verlasse, fühle ich mich wie im feindlichen Ausland.« 1959 war auch ihre Stimme unter den wenigen 16 Gegenstimmen, die in der Stadthalle von Bad Godesberg das neue SPD-Programm ablehnten. Mit Abendroth, Flechtheim oder Heydorn gehörte sie zu den Gründern der Sozialistischen Fördergemeinschaften für den SDS, auf welche die SPD mit Parteiausschluss reagierte. Während des Algerienkrieges gewährte sie Deserteuren aus der französischen Armee Unterschlupf. Leidenschaftlich polemisierte sie gegen die Notstandsgesetzgebung. Engagiert trat sie für den Abzug aller Mittelstreckenraketen ein und wurde als bereits Siebzigjährige gar noch bei einer Pershing2-Depotblockade von der Polizei abgeführt. Bis zuletzt war sie geistig rege und aktiv.
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