Nachbarschaftsstreit mit einem Skinhead

Zum zweiten Mal wird der Tod des Rentners Helmut Sackers verhandelt. Heute werden in Halle die Plädoyers erwartet

  • Hendrik Lasch, Halle
  • Lesedauer: ca. 3.0 Min.

Helmut Sackers wurde ein Opfer seiner Zivilcourage. Weil ein Nachbar das Horst-Wessel-Lied spielte, rief er die Polizei. Kurz darauf war er tot. Der Täter wurde freigesprochen. Jetzt steht ein zweites Urteil bevor.


»Als er einzog«, erinnert sich Heidrun Dannenberg, »hieß es: Jetzt wohnt ein Rechter im Haus.« Andreas S. war in der Nachbarschaft als Skinhead bekannt. Er ließ seine Nachbarn in einem Halberstädter Mietshaus auch akustisch an seiner Vorliebe für stramm rechte Ideen teilhaben - durch Musik von Bands, auf deren CD-Hüllen sich Bilder von KZ-Häftlingen finden oder Springerstiefel, die auf Köpfe von Schwarzen treten. Am 29. April 2000, während er sich mit einem Kumpan betrank, hörte er indes keinen Nazirock, sondern quasi klassisches Szene-Liedgut: Was Heidrun Dannenberg als »alte Marschmusik« wahrnahm, erkannte Helmut Sackers, ihr Lebensgefährte, als das Horst-Wessel-Lied. Weil das Lied nicht nur zu laut gespielt wurde, sondern auch verboten ist, rief er die Polizei.
Was dann passierte, beschäftigt schon zum zweiten Mal ein Landgericht in Sachsen-Anhalt. Denn eine Stunde, nachdem einer der herbeigerufenen Polizisten den jungen Mann ermahnt und Sackers ihm für den Fall einer Wiederholung mit einer Anzeige gedroht hatte, lag der Rentner tot im Hausflur. Der gebürtige Westdeutsche, der einige Jahre zuvor aus Liebe nach Halberstadt gezogen war und kurz vorher im großen Familienkreis seinen 60. Geburtstag gefeiert hatte, verblutete nach mehreren Messerstichen, die ihm S. zufügte, nachdem Sackers den Hund ausgeführt hatte.
Ein erstes Verfahren vor dem Landgericht Magdeburg endete im Dezember 2000 mit einer bösen Überraschung für Sackers Angehörige. Der Messerstecher Andreas S. wurde freigesprochen - weil er in Notwehr gehandelt haben sollte: Der Rentner, so die Darstellung, sollte zunächst den stämmigen Skinhead angegriffen und seinen Hund auf ihn gehetzt haben. Die Richter stützten sich bei ihrem Urteil vor allem auf Aussagen der Frau von S. Diese hatte sich als Augenzeugin des Kampfes präsentiert - obwohl sie zunächst sowohl der Polizei als auch einem Richter erklärt hatte, zum Tatzeitpunkt in der Wohnung und nicht am Tatort gewesen zu sein. Bei diesen Aussagen, erklärte die zierliche Frau, die vor Gericht in edlen Pelzjacken erscheint, habe sie jedoch unter Einwirkung von Medikamenten gestanden.

Bundesgericht hatte früheres Urteil aufgehoben

Ob zwei Tabletten des Anti-Depressivums »Insidon« tatsächlich eine solche Bewusstseinstrübung verursachen können; ob der Jagdhund-Mischling von Sackers in der Lage ist, auf Menschen loszugehen; ob die Lonsdale-Jacke von Andreas S. die Spuren eines Kampfes im Treppenhaus trägt - diese Fragen beschäftigen nun noch einmal ein Gericht. Den tödlichen Nachbarschaftsstreit zwischen dem Rentner und dem Skinhead untersuchen jetzt Richter des Landgerichts Halle. Dorthin war der Fall vom Bundesgerichtshof verwiesen worden, als dieses im Sommer 2001 das Magdeburger Urteil aufhob. Bemängelt wurde zwar vordergründig die fehlerhafte Belehrung einer Zeugin; der Umstand, dass ein anderes Gericht mit der Angelegenheit betraut wurde, gilt Beobachtern aber auch als inhaltliche Kritik an dem Verfahren, das Dannenberg als »erstaunlich oberflächlich« in Erinnerung hat.
Seit August 2004 muss sie sich nun noch einmal alle Details des Abends in Erinnerung rufen. Der Prozess werde aber wesentlich gründlicher geführt als der erste, sagt die Frau, die den Tod ihres Freundes klipp und klar einen »Mord« nennt. Die Anklage in Halle lautet zwar nur auf Körperverletzung mit Todesfolge; immerhin hegt aber auch Wolfgang Kaleck, der als Anwalt der Nebenklage drei Kinder von Sackers aus erster Ehe und seine Schwester vertritt, die Hoffnung auf ein angemesseneres Urteil. Erschüttert ist ein medizinisches Gutachten aus dem ersten Prozess, das sich auf eine Reihenfolge der Messerstiche festgelegt und damit die Notwehrthese gestützt hatte. Durch Fragen hätten die Richter zudem Zweifel an den entlastenden Aussagen der Ehefrau von S. durchblicken lassen, sagen Beobachter.

Verteidigung offenbar um Verzögerung bemüht

Die Verteidigung ist angesichts dessen offenbar nurmehr bemüht, den Prozess in die Länge zu ziehen: Richter werden für befangen, ihre Fragen für unzulässig erklärt. Am heutigen 21. Verhandlungstag sollen nun die Plädoyers verlesen werden. Noch im März könnte dann zum zweiten Mal über den Tod von Helmut Sackers geurteilt werden. Einen Tod, der allzu offenbar nicht nur einem Nachbarschaftsstreit um zu laute Musik geschuldet ist.
»Als er einzog«, erinnert sich Heidrun Dannenberg, »hieß es: Jetzt wohnt ein Rechter im Haus.« Andreas S. war in der Nachbarschaft als Skinhead bekannt. Er ließ seine Nachbarn in einem Halberstädter Mietshaus auch akustisch an seiner Vorliebe für stramm rechte Ideen teilhaben - durch Musik von Bands, auf deren CD-Hüllen sich Bilder von KZ-Häftlingen finden oder Springerstiefel, die auf Köpfe von Schwarzen treten. Am 29. April 2000, während er sich mit einem Kumpan betrank, hörte er indes keinen Nazirock, sondern quasi klassisches Szene-Liedgut: Was Heidrun Dannenberg als »alte Marschmusik« wahrnahm, erkannte Helmut Sackers, ihr Lebensgefährte, als das Horst-Wessel-Lied. Weil das Lied nicht nur zu laut gespielt wurde, sondern auch verboten ist, rief er die Polizei.
Was dann passierte, beschäftigt schon zum zweiten Mal ein Landgericht in Sachsen-Anhalt. Denn eine Stunde, nachdem einer der herbeigerufenen Polizisten den jungen Mann ermahnt und Sackers ihm für den Fall einer Wiederholung mit einer Anzeige gedroht hatte, lag der Rentner tot im Hausflur. Der gebürtige Westdeutsche, der einige Jahre zuvor aus Liebe nach Halberstadt gezogen war und kurz vorher im großen Familienkreis seinen 60. Geburtstag gefeiert hatte, verblutete nach mehreren Messerstichen, die ihm S. zufügte, nachdem Sackers den Hund ausgeführt hatte.
Ein erstes Verfahren vor dem Landgericht Magdeburg endete im Dezember 2000 mit einer bösen Überraschung für Sackers Angehörige. Der Messerstecher Andreas S. wurde freigesprochen - weil er in Notwehr gehandelt haben sollte: Der Rentner, so die Darstellung, sollte zunächst den stämmigen Skinhead angegriffen und seinen Hund auf ihn gehetzt haben. Die Richter stützten sich bei ihrem Urteil vor allem auf Aussagen der Frau von S. Diese hatte sich als Augenzeugin des Kampfes präsentiert - obwohl sie zunächst sowohl der Polizei als auch einem Richter erklärt hatte, zum Tatzeitpunkt in der Wohnung und nicht am Tatort gewesen zu sein. Bei diesen Aussagen, erklärte die zierliche Frau, die vor Gericht in edlen Pelzjacken erscheint, habe sie jedoch unter Einwirkung von Medikamenten gestanden.

Bundesgericht hatte früheres Urteil aufgehoben

Ob zwei Tabletten des Anti-Depressivums »Insidon« tatsächlich eine solche Bewusstseinstrübung verursachen können; ob der Jagdhund-Mischling von Sackers in der Lage ist, auf Menschen loszugehen; ob die Lonsdale-Jacke von Andreas S. die Spuren eines Kampfes im Treppenhaus trägt - diese Fragen beschäftigen nun noch einmal ein Gericht. Den tödlichen Nachbarschaftsstreit zwischen dem Rentner und dem Skinhead untersuchen jetzt Richter des Landgerichts Halle. Dorthin war der Fall vom Bundesgerichtshof verwiesen worden, als dieses im Sommer 2001 das Magdeburger Urteil aufhob. Bemängelt wurde zwar vordergründig die fehlerhafte Belehrung einer Zeugin; der Umstand, dass ein anderes Gericht mit der Angelegenheit betraut wurde, gilt Beobachtern aber auch als inhaltliche Kritik an dem Verfahren, das Dannenberg als »erstaunlich oberflächlich« in Erinnerung hat.
Seit August 2004 muss sie sich nun noch einmal alle Details des Abends in Erinnerung rufen. Der Prozess werde aber wesentlich gründlicher geführt als der erste, sagt die Frau, die den Tod ihres Freundes klipp und klar einen »Mord« nennt. Die Anklage in Halle lautet zwar nur auf Körperverletzung mit Todesfolge; immerhin hegt aber auch Wolfgang Kaleck, der als Anwalt der Nebenklage drei Kinder von Sackers aus erster Ehe und seine Schwester vertritt, die Hoffnung auf ein angemesseneres Urteil. Erschüttert ist ein medizinisches Gutachten aus dem ersten Prozess, das sich auf eine Reihenfolge der Messerstiche festgelegt und damit die Notwehrthese gestützt hatte. Durch Fragen hätten die Richter zudem Zweifel an den entlastenden Aussagen der Ehefrau von S. durchblicken lassen, sagen Beobachter.

Verteidigung offenbar um Verzögerung bemüht

Die Verteidigung ist angesichts dessen offenbar nurmehr bemüht, den Prozess in die Länge zu ziehen: Richter werden für befangen, ihre Fragen für unzulässig erklärt. Am heutigen 21. Verhandlungstag sollen nun die Plädoyers verlesen werden. Noch im März könnte dann zum zweiten Mal über den Tod von Helmut Sackers geurteilt werden. Einen Tod, der allzu offenbar nicht nur einem Nachbarschaftsstreit um zu laute Musik geschuldet ist.

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