• Kultur
  • WOLFRAM ADOLPHI: Chinafieber

Ein Stein im großen Spiel

  • Erhard und Helga Scherner
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.
Auf dem kleinen japanischen Küstenschiff »Saitsu Maru« landet Paul Kleinert, ein junger deutscher Handelskaufmann, im Januar 1930 im vereisten Hafen von Tientsin an. Beim Sondieren, wie der Handel mit China ausgeweitet werden kann, trifft er auf bekannte und lieber ganz im Hintergrund agierende Leute des Chinageschäfts. Er begegnet chinesischen Regierungsvertretern und Wirtschaftsleuten, Diplomaten und Militärs, eingefleischten Antikommunisten und Demokraten. Kleinert avanciert zum Berater in Wirtschaftsfragen bei Marschall Tschiang Kai-schek, in seinen Augen ein honoriger Mann mit höflichem Benehmen. Aber das Reich der Mitte gleitet in eine existenzielle Krise. Von Norden her stoßen die Japaner tief in chinesische Provinzen vor und versuchen, die okkupierten Territorien mit Hilfe willfähriger Marionetten zu konsolidieren. Die Nationalregierung muss mehrfach die Hauptstadt verlegen. Dem Marschall, einem Hitler-Verehrer, ist der Kampf gegen die chinesischen Kommunisten wichtiger als entschlossener Widerstand gegen die Invasoren. Wolfram Adolphi hat seinen Helden geschickt gewählt - ein widersprüchlicher Mann, Enthusiast mit Chinafaible, kulturbegeistert wie sein chinesischer Freund aus Berliner Tagen, gutgläubig, ein Einzelgänger. Auch gefährlicher Fantast. 1940 noch will er auf abenteuerlichem Weg der deutschen Rüstungsindustrie Wolframerz zuschanzen. Welche Chance hat der Deutsche, der Akteur sein will, auf dem sich rasch verändernden Konfliktfeld zwischen China, Japan und Deutschland? Im großen Spiel ein Stein. Der zum Prüfen ausgeschickt ist, steht selbst auf dem Prüfstand. Den sperrigen Stoff den Lesern nahezubringen, rettet sich der Autor in gründliche Dispute. Die treffen Wesentliches. Als Historiker und Sinologe beherrscht er sein Metier. Er kennt China gut, weiß stimmig zu schildern - ob einen lauschigen Sommerabend im Lao-Gebirge, die Lastenträger im glutheißen Tschungking oder den Lebensstil der »Old-China-Hands« in Shanghai, die Not der jüdischen Emigranten im Ghetto ... Genauigkeit in Fakt und Fiktion, auch differenzierende Analyse zeichnet Adolphis Vorgehen aus. In Schicksalen, eng mit dem Zeitgeschehen verknüpft, mausert sich das Buch zum Roman. Auf Seite 153 trifft den Helden Anmut wie ein Blitzstrahl. Mit Tschang Li begegnet er der Frau seines Lebens. Nach dem Überfall der japanischen Truppen auf Nanking im November 37 wird er sie für lange Zeit wieder verlieren. In den Schrecknissen jener Tage, bei der Rettung Hunderter chinesischer Flüchtlinge, ein Amtswalter der Nazipartei ist maßgeblich beteiligt, stehen sie beide an der Seite der Beherzten. Alle Hilferufe nach Berlin verhallen ungehört - Hitler setzt vollends auf die japanische Karte. Der »Antikomintern-Pakt« bietet dem Aggressor Rückendeckung. In Adolphis »Chinafieber« begegnen wir, trotz veränderter Namen erkennbar, Leuten wie Botschafter Trautmann, auch General von Seeckt, Rolf Schenke und Co. Innerhalb eines deutschen Chinaromans ist bisher nie der couragierte Journalist Hans Shippe (Mojzes Grzyb) aufgetaucht, der sich »Asiaticus« nannte. Es gibt hierzulande keine Würdigung für einen, der im weltweiten antifaschistischen Kampf in den Reihen der Achten Marscharmee des Generals Tschu Teh gefallen ist - ein Held des anderen Deutschland. Adolphi danken wir ebenso das unverhoffte Rendezvous mit dem feinsinnigen Vincenz Hundhausen in seiner Pekinger Pappelinsel-Werkstatt, mit dem Theatermann Alfred Dreifuß, der Journalistin Ruth Weiß und anderen, die sich in schwerer Zeit als wirkliche Freunde Chinas erwiesen haben. Berührend eine Szene gegen Ende des Romans: Der Fotograf K., wie alle jüdischen Flüchtlinge aus dem von Japanern bewachten Ghetto befreit, holt den 1945 von USA-Behörden internierten Kleinert aus dem Lager - Begegnung zweier »Schanghaier«, die auf sehr verschiedenen Seiten agiert hatten. Für...

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