Adhäsionsverfahren: Schadenersatz und Schmerzensgeld im Strafrecht

Im Ratgeber vom 20. Oktober 2004 wurde die Stärkung der Rechte von Verletzten, von Opfern, im Strafverfahren auf der Grundlage des am 1. September 2004 in Kraft getretenen Opferreformgesetzes (»Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Verletzten im Strafverfahren« - OpferRRG) erläutert.
Auch wurde mitgeteilt, dass das Adhäsionsverfahren - also die Möglichkeit, bereits im Strafverfahren zivilrechtliche Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüche geltend zu machen - so gestaltet wurde, dass es auf Wunsch des Verletzten obligatorisch wird. Bis dahin hatten die Strafrichter es weitgehend vermieden, bereits im Strafverfahren über solche Ansprüche zu entscheiden.

Wenn der Antrag unbegründet ist
Von einer beantragten Entscheidung über einen Anspruch auf Schmerzensgeld im Adhäsionsverfahren kann das Gericht seit dem 1.9.2004 nur dann absehen, wenn der Antrag unzulässig ist oder unbegründet erscheint. Damit nähert sich die jetzige bundesdeutsche Rechtslage der in der DDR über Jahrzehnte geltend gewesenen Rechtslage. Die Neuregelung bewirkte eine »Umkehrung des bisherigen Verhältnisses«; bisher war das Absehen von einer Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch die Regel und eine Entscheidung über den Anspruch die Ausnahme.
Nach den bis jetzt vorliegenden Erfahrungen ist das Adhäsionsverfahren aber nach wie vor »ein ziemlich ungeliebtes und vernachlässigtes Kind des Opferschutzes«. Nach wie vor möchten Strafrichter sich dem entziehen. Allerdings scheint es, dass auch Rechtsanwälte die Bedeutung dieses Verfahrens für die Verletzten unterschätzen und viele Verletzte, Opfer, wissen zu wenig von ihren diesbezüglichen Rechten. Deshalb soll in diesem Ratgeber auf die Möglichkeiten des Adhäsionsverfahrens etwas ausführlicher eingegangen werden.
Um es ganz praktisch zu erklären: Wer durch eine Straftat verletzt wurde (durch eine Körperverletzung, eine Vergewaltigung, oder auch durch einen Diebstahl, eine Sachbeschädigung, einen Betrug oder eine andere Straftat), sollte diese sofort bei der Polizei anzeigen und vorsorglich auch Strafantrag stellen. Der Verletzte wird dann regelmäßig sofort als Zeuge vernommen. Bei dieser Gelegenheit sollte er sogleich den Antrag stellen, dass der Täter dazu verurteilt wird, den ihm durch die Straftat zugefügten Schaden und auch ein ihm zustehendes Schmerzensgeld im Wege des Adhäsionsverfahrens zu erstatten. Die Polizei übergibt ihre Ermittlungsergebnisse, die Ermittlungsakten, mit diesem Antrag der Staatsanwaltschaft. Sie erhebt Anklage und benennt den bzw. die Zeugen. Sie wird das Gericht auf den Adhäsionsantrag hinweisen. Wenn das Gericht den Termin zur Hauptverhandlung anberaumt, wird es den bzw. die Zeugen dazu laden.
Jetzt ist darauf zu achten, dass man auch als derjenige vom Termin unterrichtet wird, der den Schadenersatzantrag gestellt hat. Spätestens in der Hauptverhandlung, wenn das Gericht zu Beginn die Zeugen aufruft, sollte der Verletzte betonen, dass er einen solchen Antrag gestellt hat und deshalb das Recht hat, während der ganzen Hauptverhandlung anwesend zu sein. Notfalls müsste der o.g. Antrag jetzt noch einmal mündlich wiederholt werden.

Arbeitsgerichte keine »ordentlichen Gerichte«
Nicht nur der Verletzte ist antragsberechtigt; nach dessen Tode kann auch sein Erbe einen solchen Antrag auf Geltendmachung vermögensrechtlicher Ansprüche im Strafverfahren gegen den Beschuldigten bzw. Angeklagten stellen. Anzuraten ist, dass der Verletzte sich auch als Nebenkläger der öffentlichen Klage anschließt. Zu beachten ist, dass nach bundesdeutschem Recht vermögensrechtliche Ansprüche aus einer Straftat, die im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses begangen wurde und aus diesem Grunde vor die Arbeitsgerichte gehört, nicht im Rahmen eins Adhäsionsverfahrens geltend gemacht werden können; denn die Arbeitsgerichte gelten nach bundesdeutschem Recht nicht zu den »ordentlichen Gerichten«.
Waren mehrere Personen an der Straftat beteiligt, die als Beschuldigte verfolgt werden oder als Angeklagte vor Gericht stehen, muss sich der Antrag auf Durchführung des Adhäsionsverfahrens auf alle an der Straftat Beteiligten erstrecken, um einen Titel gegen sie alle als Gesamtschuldner zu erlangen.

Antrag bereits im Ermittlungsverfahren
Der Antrag auf Durchführung des Adhäsionsverfahrens kann - wie erwähnt - bereits im Ermittlungsverfahren am besten gleichzeitig mit der Strafanzeige bzw. einem Strafantrag gestellt werden, aber auch noch mündlich in der Hauptverhandlung bis zum Beginn der Schlussvorträge, der Plädoyers. Die Erfolgsaussichten einer schriftlichen Beantragung vor der Hauptverhandlung sind größer. Richter lieben es nicht, in der Hauptverhandlung mit neuen Anträgen überrascht zu werden.
Bei einem Strafbefehlsverfahren kommt ein Adhäsionsverfahren nicht in Betracht. Bedeutsam ist, dass ein solcher Antrag dieselbe prozessuale Wirkung hat wie die Erhebung einer Zivilklage. Insbesondere wird dadurch die Verjährung gehemmt. Der Antrag kann ohne Zustimmung des Angeklagten bis zur Urteilsverkündung zurückgenommen werden, was eine erneute Antragstellung im selben Verfahren nicht ausschließt.
Da das Adhäsionsverfahren innerhalb des Strafverfahrens läuft, gelten vorrangig die strafprozessualen Grundsätze und nicht die des Zivilverfahrens. Im Strafverfahren hat das Gericht von sich aus den Sachverhalt aufzuklären. Dagegen entscheidet es im Zivilverfahren nur über das, was von den Parteien des Rechtsstreits beantragt und vorgetragen wird. Es empfiehlt sich, einen bestimmten, im Geldbetrag bezifferten Antrag zu stellen.
Der Antragsteller hat im Adhäsionsverfahren eine Reihe von Rechten, besonders wenn er einen Rechtsanwalt beauftragt hat. Dieser kann Akteneinsicht nehmen. Der Antragsteller hat einen Anspruch auf Benachrichtigung von Ort und Zeit der Hauptverhandlung. Er hat das Recht, in der Hauptverhandlung von Anfang bis zum Ende anwesend zu sein, auch als noch nicht selbst vernommener Zeuge während der Vernehmung des oder der Angeklagten und der anderen Zeugen. Er darf an zu vernehmende Personen Fragen stellen, sich zu deren Erklärungen äußern und die Erhebung bestimmter Beweise beantragen. Wie ein Nebenkläger darf er Sachverständige und Richter wegen Befangenheit ablehnen.
Ein nicht bemittelter Verletzter kann Prozesskostenhilfe beantragen; dabei sollte er die Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragen.
Wenn das Gericht einen zivilrechtlichen Anspruch nicht oder nicht in vollem Umfang für begründet ansieht und in der Strafsache den Angeklagten freispricht, sieht das Gericht lediglich von einer Entscheidung über den Antrag des Verletzten ab. Der Antrag wird also nicht abgelehnt; es kommt nicht - wie im Zivilprozess - zu einer rechtskräftig werdenden Klageabweisung. Daher kann der Verletzte in dem Fall, in dem das Strafgericht von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag absieht, seinen Anspruch ohne weiteres vor dem Zivilgericht geltend machen, weshalb man mit der Rücknahme eines Schadenersatzantrages - wenn das Gericht solches anrät - sehr zurückhaltend sein sollte.

Zivilgerichte an Urteil gebunden
Über den Schadenersatz- bzw. Schmerzensgeldantrag wird im Adhäsionsverfahren nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung in der Strafsache entschieden. Der Angeklagte muss - jedenfalls auch wegen der Straftat, auf welche sich der geltend gemachte Anspruch gründet - schuldig gesprochen oder zumindest muss gegen ihn eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden sein.
Das Gericht kann den Anspruch dem Grunde nach zuerkennen. Dann wird der Verletzte vor dem Zivilgericht über die Höhe des Anspruchs einen Prozess anzustrengen haben. Allerdings geht es dann nur noch über die Höhe; die - rechtskräftig gewordene - Entscheidung dem Grunde nach ist für das Zivilgericht bindend. Insbesondere bei Quotierung unter Berücksichtigung eines etwaigen Mitverschuldens des Verletzten kann ein so genanntes Teilurteil ergehen. Auch kommt nunmehr ein Anerkenntnisurteil in Betracht, wenn der Angeklagte den Schadenersatzanspruch anerkennt - womöglich auch um dadurch ein günstigeres Strafurteil zu erlangen. Dann wird das Urteil sofort rechtskräftig; der Angeklagte wird eher auf ein Rechtsmittel verzichten als in anderen Fällen und der Verletzte ganz gewiss, damit er den vollstreckbaren Titel hat.

Vergleich auf Vorschlag des Gerichts
Auch kann der Abschluss eines Vergleichs vor Gericht sinnvoll sein, weil er dem Verletzten sofort den Schadenersatz- bzw. Schmerzensgeldanspruch zuspricht, der Angeklagte dürfte im Strafverfahren nicht selten eher zu einem solchen Vergleich geneigt sein, weil er sich durch diese Bereitschaft gegenüber dem Gericht in einem positiven Licht darstellt und womöglich eine mildere Strafe erhält.
Die Entscheidung über den Schadenersatzanspruch findet sich im Strafurteil und nicht in einer besonderen Entscheidung. Legt der verurteilte Angeklagte kein Rechtsmittel ein oder bleibt dieses erfolglos, wird das Strafurteil rechtskräftig, dann hat der Verletzte mit diesem Urteil einen vollstreckbaren Titel.
Die Vorteile für den Verletzten bestehen zusammengefasst hauptsächlich in Folgendem: Es bedarf keines zusätzlichen Zivilprozesses, auch keiner umfassenden Klageschrift. Die Entscheidung dürfte in der Regel schneller zu Stande kommen als im Zivilprozess.
Die Zeugen werden von Amts wegen geladen und werden, so die Erfahrung, im Strafprozess freimütiger Aussagen machen als in einem Zivilprozess. Es muss kein Gerichtskostenvorschuss und auch kein Auslagenvorschuss für Zeugen und Sachverständige gezahlt werden. Insgesamt ist das »Kostenrisiko« gegenüber einem Zivilprozess erheblich geringer.
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