Fachwerk gegen Erdbeben
Deutsch-iranisches Projekt entwickelt Bauweise mit Stahlskelett
Die Naturkatastrophen zeigen immer wieder: Hauptleidtragende sind die Armen. Ob die vom Tsunami weggefegten Fischerdörfer am Indischen Ozean oder kürzlich die von Erdbeben niedergewalzten Dörfer im Südosten des Iran. Das Beben am 22. Februar 2005 mit der Stärke 6,4 forderte ungleich mehr Todesopfer als vergleichbar starke Beben im dicht besiedelten Japan oder in Kalifornien. Der Grund: in den reichen Ländern wird ein recht großer Teil der Gebäude seit Jahren in erdbebensicherer Bauweise errichtet. Dagegen wohnten die Menschen in den iranischen Dörfern oder in der im Jahre 2003 heimgesuchten Stadt Bam meist in Häusern mit billigen Lehmwänden, auf denen nicht selten schwere Betondecken ruhen. Bei Erdbeben sind solche Konstruktionen Todesfallen.
Genau diesem Problem widmet sich ein gemeinsames Projekt der Universität Wuppertal und der Isfahan University of Technology. Die deutsch-iranische Gruppe von Bauingenieuren hatte sich nach der Katastrophe von Bam im Rahmen des »Mondialogo Engineering Award« zusammengefunden, um erdbebensichere Häuser für die Iraner zu konstruieren. Den »Ingenieurspreis« hatte DaimlerChrysler mit der UNESCO 2003 initiiert, um Ingenieuren und Technikern aus der ganzen Welt einen Anreiz zu geben, nachhaltige Lösungen für technische Probleme in Entwicklungsländern zu finden.
Professor Georg Pegels vom Fachbereich Bauingenieurwesen der Universität Wuppertal beschreibt das ehrgeizige Ziel des Projekts: »Unsere Projektidee zielt auf zwei Hauptprobleme der Entwicklungsländer: den Mangel an adäquaten Behausungen und fehlende Jobs.« So hat die Arbeitsgruppe sich nicht damit begnügt, technische Lösungen für eine sichere Bauweise in Erdbebenregionen zu finden. Gleichzeitig haben die engagierten Ingenieure über die Umsetzungsmöglichkeiten unter den Bedingungen im Iran nachgedacht sowie ein vorausschauendes Konzept entwickelt, um die Akzeptanz für die ungewohnten Behausungen zu erhöhen und so den Absatz ihrer Neuentwicklung zu sichern.
Die Bautechnik, die Bewohner im Falle eines Erdbebens vor der Gefahr einstürzender Häuser bewahren soll, ist dem klassischen deutschen Fachwerkbau nachempfunden. »Das Besondere am Fachwerk sind die diagonalen Bauteile. Sie verhindern das parallelogrammartige Zusammenfallen der Häuser«, erklärt Georg Pegels. Viele werden das Prinzip vom Diagonalkreuz bei Ikea-Regalen kennen.
Da der Rohstoff Holz im Iran rar ist, will man Stahl verwenden. Stahl besitzt zudem weitere Vorteile: Man kann U-förmige Profile verwenden, die die luftgetrockneten Ziegel sicher umschließen, mit denen das Stahlfachwerk ausgemauert werden soll. So fallen diese bei einem Erdbeben weniger leicht heraus. Um Baufehler aus Unkenntnis - es gibt kaum Facharbeiter auf Baustellen - zu vermeiden, »ist die industrielle Vorfertigung der Stahlteile ganz wichtig«, betont Professor Pegels. So sind auf der Baustelle nur noch Schraubverbindungen nötig, keine Schweißarbeiten. Verbindungen aus Schrauben oder Nieten sind zudem verformbarer als Schweißnähte und können Stoßwellen von Erdbeben besser abfedern. In besonders gefährdeten Gebieten sollen die Häuser auch noch mit einer »Rutschkupplung« ausgestattet werden. Das heißt, unter das Haus kommt eine Stahlunterlage, auf der das Fachwerkhaus bei einem Erdbeben wie ein in sich stabiler Kasten verrutschen kann.
Die Fachwerkidee hat noch eine zweite Seite. Wenn die Konstruktion von außen sichtbar bleibt, lässt sich jederzeit kontrollieren, ob alles richtig zusammengebaut ist.
Nahe Isfahan befindet sich eine Eisenerzmine. Die Projektgruppe möchte dort eine Fabrik errichten, in der die Bauteile vorgefertigt werden können. Zwei Millionen Euro stünden bereits für die Stahlfabrik zur Verfügung, so Professor Pegels. Über das Doppelte würde noch benötigt. Pegels zeigt sich zuversichtlich: Bis zu seiner Pensionierung in wenigen Jahren soll das Projekt »Stahlfabrik« in trockenen Tüchern sein.
Per TV-Spots mit iranischen Fußballern als Werbeträger sollen die Iraner über die Vorteile der neuen Häuser, die nur rund 10 bis 15 Prozent teurer als herkömmliche iranische Behausungen sind, informiert werden. Iranische Entscheidungsträger will man davon überzeugen, ein Wohnungsbauprogramm zu starten, denn die Iraner benötigen rund eine Million neue Wohnungen jährlich.
Schöner Nebeneffekt des Projekts ist der interkulturelle Austausch zwischen Iranern und Deutschen. 65 iranische Studenten des Bauingenieurwesens sollen ihr letztes Studienjahr in Wuppertal verbringen und anschließend die Konstruktion und Errichtung der erdbebensich...
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