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»Bildung muss uns etwas wert sein«

Im kleinen Harz-Städtchen Ballenstedt unterstützt der Unternehmer und FDP-Politiker Ekkehard Heilemann mit einem Stipendium Studenten aus dem Ort. Eine Idee, die Nachahmer gefunden hat - in den Reihen der PDS

Ekkehard Heilemann ist Ur-Ballenstedter und Unternehmer zugleich. In Personalunion tat er kürzlich etwas, was in Deutschland selten ist - der geschäftsführende Gesellschafter der Keunecke Feinkost GmbH rief ein Uni-Stipendium für Schüler des Wolterstorff-Gymnasiums in Ballenstedt ins Leben. Auf acht Semester verteilt erhalten die Stipendiaten künftig 5000 Euro.
»Das Geld ist nicht an eine bestimmte Studienrichtung gebunden«, erläutert der 50-jährige Firmenchef. Wer zur Abiturfeier mit dem Stipendium geehrt wird, beraten Firma und Gymnasium gemeinsam. »Wichtiger als die letzte Stelle hinter dem Komma des Einserabiturs sind uns dabei Charakter, Engagement und Ideenreichtum. Wir brauchen originelle Denker und energische, von selbst gesetzten Zielen getriebene Arbeiter.« Sein Unternehmen will neben seiner aktiven Berufsausbildung - jährlich stellt es drei Lehrlinge ein - auch ein Zeichen »gesamtgesellschaftlicher Verantwortung für die Verbesserung der Bildung in unserem Land setzen«.

Fünf Generationen Abiturienten
Auch wenn solche Sätze nach Plattitüde klingen - der Firmeninhaber weiß, wovon er redet. »Wer in unsrem Unternehmen eine Ausbildung beginnen will, den unterziehe ich einem Test im Allgemeinwissen. Manchmal denke ich, wie viel haben die Bewerber doch in zehn Jahren nicht gelernt.« Das werde tragische Folgen haben, ist sich Ekkehard Heilemann sicher. Schlichte, stupide Handarbeit würde zunehmend durch Maschinenarbeitsplätze ersetzt. Die übrig gebliebenen Jobs erforderten immer mehr eine immer bessere Qualifikation. »Es wird zunehmend schwer, in der Welt des Wissens mit Halb- und Wenigwissen einen Platz zu finden«, sieht Ekkehard Heilemann voraus. »Den Jugendlichen muss durch die Gesellschaft mehr aufgezeigt werden, dass Wissen und Leistung zählen und ihr Horizont weiter reichen muss als zu wissen, wo man sich die neuesten Handyklingeltöne herunterlädt.«
Dass die Wahl ausgerechnet auf das örtliche Gymnasium fiel, ist kein Zufall. Ekkehard Heilemanns Familie ist dem Wolterstorff-Gymnasium in Ballenstedt seit fünf Generationen verbunden. Der Unternehmensgründer August Keunecke, Heilemanns Urgroßvater, sein Großvater Alwin, seine Mutter Helga, sein Bruder und seine Kinder besuchten es. Das Bild seiner Tochter Anne hängt heute in der »Ahnengalerie« des Gymnasiums. Vor fünf Jahren »baute« sie das beste Abitur der ganzen Schule.
Ihr Vater selbst absolvierte eine Berufsausbildung zum Agrotechniker mit Abitur, studierte an der Berliner Humboldt-Universität Lebensmitteltechnologie und arbeitete später in der Zuckerindustrie. Nach der Wende übernahm er den elterlichen Betrieb, der schon zu DDR-Zeiten für seine Canito-Nudelsoße über die Grenzen Ballenstedts hinaus bekannt war.
Der Schulleiter des Wolterstorff-Gymnasiums in Ballenstedt, Wilfried Reimann, kann dem Engagement des Feinkost-Unternehmers nur Positives abgewinnen. Er freut sich darüber, dass der Mittelständler es sich leistet, nicht nur in Technik, sondern ebenso in die Bildung zu investieren. Seine Stellvertreterin Christa Weber, die schon vor 36 Jahren mit Ekkehard Heilemann im Stadtorchester spielte, der eine Oboe, die andere Cello, sieht in der Initiative einen Beweis dafür, »dass Bildung wieder etwas wert wird und Anstrengung sich lohnt.« Sie kennt die Region und die dort ansässigen Firmen. »Nicht jeder kann uns so kontinuierlich unter die Arme greifen, aber es ist bewundernswert, wie sich die lokale Wirtschaft für Projekte an unserer Schule einsetzt.«
Nicht umsonst hat sich die 1850 gegründete Bildungseinrichtung das Motto »MUT« auf die Fahnen geschrieben. Das stehe auch für »Multimedia, Umwelt und Technik«, erläutert Christa Weber. Ob »Jugend forscht«, die Auszeichnung als Solarschule oder die Teilnahme an einer Reihe Umweltwettbewerben, zahlreiche Urkunden und Preise sind Beleg dafür. »Unterricht, Wirtschaft und Forschung sind nicht mehr denkbar ohne die Partner rund um Ballenstedt«, erklärt Christa Weber. So pendeln Schüler nach Harzgerode, wo sie sich mit Aluminium-Guss und Silithiumbeimischungen befassen. Jeden Mittwoch kommt eine Entwicklungsingenieurin von der Firma Rautenbach-Guss in Wernigerode, um die Technikprojekte der 12. und 13. Klassen zu betreuen. Christa Weber ist sichtlich stolz: »Unsere Gymnasiasten werden in die Entwicklung einbezogen. Kürzlich stellten sie auf einer Strategietagung des Unternehmens ihre Ergebnisse vor Wissenschaftlern aus der Schweiz, Österreich und Deutschland vor.«
Als den 12. und 13. Klassen das Stipendienprojekt vorgestellt wurde, stachelte das den Ehrgeiz der Gymnasiasten durchaus an. Der Schulsprecherrat fand die Idee des Unternehmers prima. Doch die Schülersprecher fragen auch, wie die Auswahl erfolgen solle. Die Entscheidung sei nicht justiziabel, aber sollte doch auf die Akzeptanz der Abiturienten stoßen, beruhigt Mäzen Heilemann. Schnell geraten Stifter und Lehrer in die Gefahr, die Falschen herauszugucken. »Das sehen wir aber als pädagogische Herausforderung und Verpflichtung für uns«, meint Christa Weber. »Die Tutoren müssen sich noch stärker bemühen, die Schüler auch über den Kurs hinaus kennen zu lernen. Es darf sich nicht um die maximalpositiven Leistungen drehen, sondern ebenso muss geschaut werden, was der Kandidat für Schule und Gesellschaft tut. Zwar haben wir 650 Schüler aus 25 Orten von Alexisbad über Königerode bis Falkenstein und Gernrode, aber wir wissen schon, wer sich um sozial schwache Schüler bemüht, in der Jugendarbeit oder im Sport und als Arbeitsgemeinschaftsleiter aktiv ist.«

Büchergeld von PDS-Stiftung
Die Initiative des FDP-Kreisvorsitzenden Ekkehard Heilemann fiel bei der politischen Konkurrenz durchaus auf fruchtbaren Boden. Ada Ahrens, ihres Zeichens PDS-Kreisvorsitzende, und ihr Mann Wolfgang, zwei pensionierte Lehrer, gründeten im März die »Schulbücherstiftung AWA«. »Wir verfolgen das deutsche Bildungschaos recht intensiv. Es muss doch möglich sein, soziale Benachteiligungen abzumildern«, denkt die 75-Jährige.
An der Grundschule, an der sie Förderunterricht geben, lernte das Lehrerehepaar Gordon Schmidt kennen. »Ein aufgeweckter Junge, sagten uns die Lehrer. Der Zehnjährige träumt davon, aufs Gymnasium zu wechseln.« Die hohen Schulbuchkosten ließen seine allein erziehende Mutter und ALG2-Empfängerin Birgit Schmidt davor zurückschrecken, ihrem Jungen trotz sehr guter Noten diesen Weg zu empfehlen. »Mein Mann meinte, es sollten nicht nur Kinder der heutigen Eliten das Gymnasium besuchen, sondern auch Kinder aus Elternhäusern, wo das Geld nicht so üppig gesät ist«, erinnert sich Ada Ahrens. Das Ehepaar will nun mit seiner »Schulbücherstiftung AWA« Gordon bis zum Abitur Jahr für Jahr die benötigten Schulbücher sponsern oder für die Leihgebühren von je drei Euro aufkommen. In der fünften Klasse summiert sich das auf etwa 300 Euro.
Zwei Menschen hat diese Idee schon glücklich gemacht: »Es war wunderschön mitzuerleben, wie froh Frau Schmidt darüber ist, dass ihr Sohn nun aufs Gymnasium gehen ...

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