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Obdachlosigkeit

Rund 860 000 Menschen ohne festen Wohnsitz Preise für Notunterkünfte erreichen Hotelniveau Von Margot Ziemann

  • Lesedauer: 3 Min.

»Gemeinsam gegen Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit« hieß das Motto einer Diskussion, zu der kürzlich die PDS-Bundestagsgruppe und die AG Wohnen beim PDS-Bundesvorstand nach Berlin eingeladen hatten.

Mir scheint, die regierenden Parteien wollen die Obdachlosigkeit überhaupt nicht bekämpfen, es leben doch viele sehr gut davon, so die Aussage von Wagenburg-Bewohner Heinz H. Rund 28 Mark pro Bett und pro Nacht zahlt beispielsweise das Sozialamt Berlin-Friedrichshain für eine Übernachtung in einem 4-Bett-Zimmer, und dies ist noch lange nicht die Spitze. Mittlerweile hat der Preis der Notunterkünfte Hotelniveau, erreicht, ohne deren Komfort, und ohne daß sie an der Lage der Obdachlosen etwas ändern. Die Besitzer solcher Heime und Unterkünfte, oft Immobilien- und sogar Hotelketten, machen mit Obdachlosigkeit ein gutes Geschäft.

Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe gehen von derzeit 860 000 Menschen aus, die ohne festen Wohnsitz sind. Davon sollen rund 100 000 auf der Straße leben. Ein Drittel davon sind Frauen, Tendenz steigend. Über 100 000 Jugendliche und Kinder sind von Wohnungsnot betroffen, d.h.

sie oder ihre Familien leben in Heimen oder Notunterkünften. Besonders drastisch ist der Zuwachs im Osten. Hier gab es im letzten Jahr einen Anstieg von 25 Prozent auf ca. 66 000 Betroffene. Langzeitarbeitslosigkeit und wachsende Überschuldung von Haushalten führen zu immer mehr Zwangsräumungen und Wohnungsverlust.

Durch die Kürzung der Mittel für den zweiten Arbeitsmarkt, durch die Nichtanpassung des Wohngeldes an gestiegene Mieten, durch Absenkung des Arbeitslosengeldes und seiner Bezugsdauer, sowie durch die Veränderung des Sozialhilferechts wird -Einkommensarmut produziert. Zudem setzte der Bund im November 1997 eine neue Vollstreckungsverordnung in Kraft, die die Zwangsräumungen von Mietschuldnern noch erleichtert.

Die Diskussion ergab: Nötig sind ein Wechsel und neue Prioritäten in der Politik. Das Recht auf eine bezahlbare Wohnung muß als ein soziales Grundrecht in die Verfassung aufgenommen werden. Die Räumung auf die Straße sollte untersagt sein, wie es die PDS in ihrem neuen Mietrechtsentwurf fordert. Die Sicherung eines ausreichenden Bestandes an bezahlbaren Wohnungen mit Belegungsbindungen ist unverzichtbare Basis einer sozialen Wohnungspolitik. Das Wohngeld ist kurzfristig anzuheben und an die gewachsenen Mietkosten anzupassen. Die Zwangsprivatisierung von kommunalen, bundeseigenen wie genossenschaftlichen

Wohnungsbeständen ist zu stoppen, weil sie sonst in den Konkurs getrieben werden können. Darüber hinaus sollten Kommunen Einfluß auf ihre kommunalen Wohnungsgesellschaften nehmen, um Belegungs- und Preisbindungen zu vereinbaren. Da, wo die Stadt Gesellschafter der Wohnungsunternehmen ist, könnten auch Mieterhöhungen bei Wiedervermietung oder Mietkautionen ausgesetzt werden. Durch Übernahme der Mietschulden, gewünschte soziale Begleitung und Schuldnerberatung sollte in jedem Fall die Räumung auf die Straße verhindert werden.

»Obdachlose brauchen mehr als nur eine Wohnung«, bestätigte Otto Schickling, Vorsitzender des Vereins Motz e.V., der selbst eine Obdachlosenkarriere hinter sich hat und jetzt mit anderen Betroffenen und mit Hilfe von Spenden ein gemeinsames Haus in Berlin ausbaut, »sondern sie brauchen eine sinnvolle Aufgabe und Arbeit.«

Mit den Millionen, die man für die Not-Unterkünfte in jedem Jahr ausgibt, sollte man Selbsthilfe-Projekte fördern. Mit den gleichen Mitteln könnte man damit mehr zur Vermeidung und Beseitigung von Obdachlosigkeit tun. Denn Wohnungslosigkeit ist nicht allein mit karitativen Maßnahmen zu lösen. Man muß nicht Lösungen für die Leute finden, sondern gemeinsam mit ihnen.

Voraussetzung dafür ist allerdings auch Toleranz und Akzeptanz der Bürger gegenüber anderen Wohn- und Lebensformen. Solange eine Bezirksbürgermeisterin wie Bärbel Grygier in Berlin-Hohenschönhausen mit Klagen der Anwohner rechnen muß, weil sie einem Wohnwagen-Projekt einen Platz in ihrer Kommune vermieten will, ist man davon noch weit entfernt. Um Ausgrenzung und Abschiebung von Obdachlosen wirksam zu begegnen, so die sozialpolitische Sprecherin der PDS-Bundestagsgruppe, Petra Blaß, braucht man Aufklärung und Toleranz für ihre Probleme.

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