Die Biologie des Begehrens
US-Forscherin ergründet die evolutionären Wurzeln erotischer Leidenschaft
»Was Prügel sind, das weiß man schon«, witzelte Heinrich Heine, »was aber die Liebe ist, das hat noch keiner herausgebracht.« Tatsächlich streiten sich Wissenschaftler bis heute, ob die Liebe eine kulturelle Erfindung ist oder eine Erfahrung, die zum Menschsein notwendigerweise dazugehört.
Um diese Frage empirisch zu beantworten, hat der amerikanische Anthropologe William Jankowiak weltweit 166 Kulturen untersucht - mit dem Ergebnis: In 147 Kulturen gehen Menschen romantische Liebesbeziehungen ein, die sich von den unsrigen nicht sonderlich unterscheiden. »Die Liebe ist ein universelles Phänomen«, so Jankowiak. »Sie ist der Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält.«
Diese These hat die New Yorker Anthropologin Helen Fisher jetzt eindrucksvoll bestätigt. »Wie denken und fühlen Sie, wenn Sie verliebt sind?«, fragte die Forscherin über 800 Amerikaner und Japaner. Die Antworten fielen nicht nur verblüffend ähnlich aus, sondern waren auch unabhängig von Alter, Geschlecht, Hautfarbe, Religion und sexueller Orientierung. Menschen verlieben sich überall auf der Welt nach dem gleichen Muster, betont Fisher in ihrem Buch »Warum wir lieben«, das ungeachtet der Vielzahl von Schriften zu diesem Thema für den Leser viele neue und erstaunliche Erkenntnisse bereithält.
Wenn die Liebe aber keine kulturelle Erfindung ist, was ist sie dann? Nach einem oft zitierten Wort des spanischen Philosophen José Ortega y Gasset ist Liebe »der höchste Versuch, den die Natur macht, um das Individuum aus sich heraus und zu dem anderen hinzuführen«. Doch wozu dient dieser Versuch? Und ist er nur auf das Sozialleben von Menschen beschränkt?
An einer Fülle von Beispielen legt Fisher in ihrem Buch dar, dass auch Tiere in gewisser Weise lieben können. Denn ähnlich wie verliebte Menschen fühlen sich auch verliebte Füchse, Elefanten, Löwen oder Biber zu einem bestimmten Artgenossen unwiderstehlich hingezogen. Sie tauschen Zärtlichkeiten aus und entwickeln ein gleichsam neurotisches Verhalten, wenn sie getrennt werden. Manche Tiere sind sogar bereit, ihre erotischen Besitzansprüche bis aufs Blut zu verteidigen, wie der Zoologe David Barash bei zwei Berghüttensängern beobachten konnte. Diese hatten sich gemeinsam ein Nest gebaut. Während das Männchen auf Nahrungssuche war, setzte Barash einen ausgestopften männlichen Berghüttensänger in die Nähe des Nestes. Als der »rechtmäßige« Nesteigentümer bei seiner Rückkehr den vermeintlichen Nebenbuhler entdeckte, griff er diesen heftig an. Anschließend wandte er sich seiner Partnerin zu, hackte brutal auf sie ein und riss ihr dabei zwei Hauptschwungfedern aus. Nur mit Mühe konnte sie entkommen. Das Männchen aber erschien wenig später mit einer neuen Vogeldame, mit der es die Brut großzog.
Tiere schließen sich erfahrungsgemäß nur dann zu Paaren zusammen, wenn das Weibchen allein nicht in der Lage ist, die Jungen aufzuziehen. Sind diese aus dem Gröbsten heraus, trennen sich die Partner wieder. »Dieses Prinzip scheint auch für den Menschen zu gelten«, meint Fisher. Doch gibt es hier eine Besonderheit. Als unsere Vorfahren anfingen, aufrecht zu gehen, kam es zu einer grundlegenden Veränderung ihrer Beckenkonstruktion und mithin zu einer Verengung des weiblichen Geburtskanals. Fortan mussten die Frauen ihre Kinder bereits nach neun Monaten als völlig hilflose Wesen zur Welt bringen. Vor allem der große Kopf des Kindes, der von der Größenzunahme des Gehirns herrührte, machte jeden späteren Geburtstermin zum tödlichen Verletzungsrisiko für die Mutter.
Will sagen: In grauer Vorzeit konnte eine Frau ihre schutz- und hilfebedürftigen Kinder nur dann erfolgreich großziehen, wenn ein männliches Wesen sie dabei tatkräftig unterstützte. Und zwar solange, bis der Nachwuchs halbwegs auf eigenen Beinen stand. Das war die Geburtsstunde der Liebe, jener geheimnisvollen Kraft, die zwei Menschen oft für viele Jahre fest aneinander bindet.
Damit dies möglich wurde, haben sich im Gehirn unserer Vorfahren jene Strukturen weiterentwickelt, die bereits bei Tieren für eine vergleichsweise stabile Paarbildung sorgen. Um welche Strukturen es sich dabei handelt und wie diese biochemisch funktionieren, ist bei Fisher ausführlich beschrieben. Interessanter erscheint mir an dieser Stelle folgende Tatsache: Die neuronalen Netzwerke für Lust, romantische Liebe und Bindung sind im Gehirn voneinander getrennt. Außerdem werden diese drei »Paarungstriebe« durch verschiedene chemische Stoffe gesteuert. So hängt das sexuelle Begehren bei Mann (und Frau) in erster Linie von dem Geschlechtshormon Testosteron ab, während für die romantische Zuneigung das neuronale Aufputschmittel Dopamin vonnöten ist. Für eine zufriedene, emotionale Bindung wiederum sorgen die Hormone Oxytocin und Vasopressin.
Das erklärt, warum Sex nicht zwangsläufig zu einer romantischen Zuneigung führt, und diese umgekehrt nicht notwendig ist für ein intensives sexuelles Erleben. Gleichwohl beginnen viele Liebesbeziehungen mit einer heißen Affäre. Das hat einen einfachen Grund: Ein erhöhter Testosteronspiegel kann das Gehirn stimulieren, Dopamin auszuschütten, welches wiederum die Produktion der Bindungshormone Oxytocin und Vasopressin anregen kann. One-Night-Stands sind also durchaus riskant für Menschen, die sich eigentlich nicht verlieben bzw. binden wollen.
Bleibt die Frage, warum sich der neuronale Regelkreis für die romantische Liebe von den Gefühlen der Lust und Bindung überhaupt abgekoppelt hat. Fisher sieht darin eine Laune der Natur, die uns befähigt, ein abwechslungsreiches Liebesleben zu führen. So kann ein Mensch in einer Ehe durchaus glücklich und zufrieden sein, sich aber zugleich in eine andere Person bis über beide Ohren verlieben.
Und darin liegt keine pathologische Entgleisung, wie strenge Sittenwächter zuweilen behaupten, sondern menschliche Normalität. Eine Untersuchung des britischen Kondomherstellers Durex hat ergeben, dass 49 Prozent der deutschen Männer und 37 Prozent der deutschen Frauen ihre Partnerin bzw. ihren Partner schon einmal betrogen haben. Und nicht wenige erklärten, dies regelmäßig zu tun.
»Wir sind dazu gemacht, uns zu verlieben und immer wieder neu zu verlieben«, findet Fisher. Tatsächlich deutet das Leben in den heute noch existierenden Jäger- und Sammlergemeinschaften darauf hin, dass auch unsere frühen Vorfahren eine Partnerschaft vorwiegend aus Liebe eingingen. Erst als mit der Entwicklung der Landwirtschaft die Frauen von den Männern ökonomisch abhängig wurden, heirateten die meisten Menschen nicht mehr aus romantischer Zuneigung, sondern aus Rücksicht auf geschäftliche und politische Interessen. Heute haben die Frauen in vielen Teilen der Welt ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit zurückgewonnen und damit auch ihren Anspruch auf eine glückliche Partnerschaft. Nur in Indien, Pakistan und einigen anderen moslemischen Ländern heiraten noch über 50 Prozent der Männer und Frauen nach dem Wunsch ihrer Eltern, die jedoch zunehmend Mühe haben, diese kulturelle Trad...
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