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Abrechnung mit deutschen Legenden

Wehrmachtsausstellung: Konservative Politiker zeigen sich vor der Eröffnung gespalten Dresden Von Marcel Braumann, Dresden

  • Lesedauer: 4 Min.

Morgen öffnet in den Technischen Sammlungen der Stadt Dresden die Ausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944«. Unterdessen verschärft sich der Streit rund um die 22. Station der Exposition.

Die Polizeipräsenz am Eingang des Schauspielhauses, wo gestern eine Matinee anläßlich der Ausstellungseröffnung stattfand, ging Jens Hommel vom Bildungswerk Weiterdenken sichtlich auf die Nerven. Zuvor sorgte bereits Oberbürgermeister Herbert Wagner (CDU) für einen Eklat, als er seine Teilnahme an der Veranstaltung mit der Begründung ablehnte, er habe die Aufgabe, die Bürgerschaft zusammenzuführen und nicht zu spalten. Ein »Zeichen von Feigheit« sei das, schimpfte der SPD-Unterbezirksvorsitzende Manfred Müntjes am Sonnabend beim Gedenken an Rosa Luxemburg, an dem inAdiesem Jahr, einträchtig umrahmt von SPD- und PDS-Fahnen, rund 300 Menschen teilnahmen.

Zum Ritual gehört inzwischen schon das Wechselspiel zwischen NPD und linken Organisationen. Die Rechtsextremisten meldeten für den 24. Januar einen Aufmarsch zwecks Protest gegen die Ausstellung an, ein »Bündnis gegen Rechts« wollte zur gleichen Zeit mit einer Demonstration dagegenhalten. Die Stadt Dresden hat am Donnerstag beide Kundgebungen verboten, weil die Gefahr gewalttätiger Auseinandersetzungen bestehe. Statt das Nichtstattfinden des Nazi-Auflaufes zu begrüßen, beklagt sich das »Bündnis gegen Rechts« über die »Gleichsetzung demokratischer Organisationen wie DGB, IG Metall, SPD, Bündnis 90/Die Grünen mit der neofaschistischen NPD«. Tatsächlich ist die NPD, die in Sachsen fast so viele Mitglieder hat wie die Bündnisgrünen, eine ekelhafte, aber vom Verfassungsgericht nicht verbotene Partei. Folglich tun sich alle Kommunalverwaltungen, ob vor dem letzten 1. Mai in Leipzig oder jetzt in Dresden, mit gerichtsfesten Demo-Verboten schwer Da ist der argumentative Rückzug auf die öffentliche Ordnung, also die Unterstellung von Krawallen zwischen Rechten und Linken, wohl der aussichtsreichste rechtsstaatli-

che Hebel. Nun werden wie gewohnt von beiden Seiten die Gerichte bemüht.

Mit seiner Absage und der vorherigen Weigerung, die Existenz der Ausstellung für begrüßenswert zu halten, hat der OB allerdings den fatalen Eindruck erweckt, »als ob die Ausstellung und die notwendige Auseinandersetzung mit der ganzen deutschen Geschichte der eigentliche Störenfried sei« (Pressemitteilung des Dresdner Bündnisses gegen Rechts). Dies ist um so bemerkenswerter, als mit Hans Werner Wagner, Biedenkopfs Chef der Staatskanzlei, ein hochrangiger Vertreter der CDU-Landesregierung im Publikum der Matinee gesichtet wurde.

Der CDU-Landtagsabgeordnete Volker Schimpff, immerhin Vorsitzender des Verfassungs- und Rechtsausschusses, hat der Wehrmachtsausstellung die Verbreitung »kommunistischer Geschichtslügen« vorgehalten. Hannes Heer vom Hamburger Institut für Sozialforschung, das die Exposition ins Leben rief, wies dies mit Fakten zurück - den 3,3 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen, den bis zu anderthalb Millionen Juden und den fünf bis sieben Millionen scheinbar partisanenverdächtigen Zivilisten, die von der Wehrmacht getötet wurden.

Wieso trotz des eindeutigen historischen Materials die Ausstellung so viele Emotionen auslöst, ist für den ehemaligen Wehrmachtsoffizier August Graf von Kageneck, der als Journalist und Schriftsteller in Paris lebt, einfach erklärbar 18 Millionen deutsche Männer trugen die Wehrmachtsuniform, 13 Millionen überlebten den Krieg und waren mehrheitlich überzeugt, ihre Pflicht getan und »anständig und ritterlich gekämpft« zu haben. Obwohl Kageneck, Abschlußredner der Matinee, die »Tendenz der Ausstellung anfechtbar« findet, ist für ihn deren zentrale Botschaft richtig, denn »eine Armee, die solche Befehle von ihrer obersten Führung erhielt, war auf Verbrechen angelegt«. So hätten sich auch »sehr erhebliche Teile der Wehrmacht« die in der Ausstellung gezeigten Greuel zuschulden kommen lassen. Der bündnisgrüne Europaabgeordnete Wolfgang Ulimann sieht auch in Ostdeutschland Informationsbedarf, denn »wir wissen immer noch nicht, wie schlimm es gewesen war«. Ulimann las aus dem erschütternden Brief seines Vaters vor, einem unbekannten Soldaten, der an einem unbekannten Ort gefallen ist und kurz vor seinem Tod an die Familie schrieb, er fühle sich wie in eine

»Räuberbande« versetzt - angesichts von Verwüstungen weit abseits der Frontlinien.

Mit Blick auf die offizielle DDR-Doktrin sagte UUmann: »1945 stand das deutsche Volk nicht auf Seiten der Sieger«, es war vielmehr »so rechtlos wie nie zuvor«, aufgrund der ungeheuerlichen Verbrechen, die es begangen hatte. So habe die Völkergemeinschaft den Krieg der Wehrmacht als »Verbrechen gegen den Frieden« erklärt, in den Nürnberger Prozessen wurden »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« abgeurteilt - trotz deutscher Klagen über die Aufhebung des Rückwirkungsverbots durch die »Siegerjustiz«.

Hommel, der für die Gestaltung der Dresdner Ausstellung, besonders die Ergänzung der »Bilderwelt der Nachkriegjahre« mit DDR-Material verantwortlich zeichnet, rechnete erneut mit dem »Mythos Antifaschismus« der DDR ab. Die Archive belegten, daß praktizierende Euthanasie-Ärzte weiterbeschäftigt wurden; die »konsequente und radikale Auseinandersetzung mit der NS-Zeit in der DDR« sei eine »Legende«.

Legende ist womöglich auch die demokratisch tugendhafte Bundeswehr Die Verharmlosung rechter Umtriebe als Einzelfälle wurde auf einer Demonstration des Bündnisses gegen Rechts am Sonnabend auf dem Schloßplatz angeprangert, 500 Menschen verwahrten sich gegen den »deutschen Geschichtsrevisionismus«.

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