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Botenstoffe in der Achterbahn
Verliebte sind Opfer widersprüchlicher Empfindungen: Überschwang und Sehnsucht, Entzücken und Traurigkeit, Zärtlichkeit und Besitzgier, Angst und Bewunderung. Dazu kommen die klassischen Suchtsymptome wie Besessenheit, Zwangshandlungen, Realitätsverzerrung, emotionale und körperliche Abhängigkeit, Persönlichkeitsveränderungen, Verlust der Selbstkontrolle und Entzugserscheinungen. Forscher haben untersucht, welche chemischen Reaktionen diese Dinge hervorrufen.
Die Neurologen Andreas Bartels und Semir Zeki vom Londoner University College haben die Gehirnaktivitäten von Verliebten aufgezeichnet und festgestellt, dass beim Gedanken an das Objekt ihrer Begierde die gleichen Gehirnareale angeregt werden, wie beim Genuss von Kokain und anderen Opiaten. Wird die Liebe erwidert, lässt sie uns schweben, andernfalls durch die Hölle des Entzugs gehen - in jedem Fall, wird süchtig, wer ihr einmal erlegen ist. Damit ist Verliebtheit die wohl meistbesungene Droge der Welt. »Schwärmerische Liebe ist ein urzeitlicher Paarungstrieb«, erklärt Helen Fisher, Anthropologin an der Rutgers Universität in New York, die seit Jahren das Wesen und die Evolution der Liebe erforscht. Dafür hat sie Fachquellen und Liebesliteratur durchforstet und etlichen Verliebten mittels funktioneller Kernspinresonanztomographie in den Kopf geblickt. Botenstoffe wie Dopamin und Norepinephrin und Hormone wie Testosteron und Östrogene im Gehirn sind die eigentlichen Schmetterlinge im Bauch. Kein Wunder, wenn Verliebte sich high, wie verrückt oder unter Drogen fühlen - sie sind es: Die Botenstoffe fahren Achterbahn. Noradrenalin aktiviert und hebt die Stimmung, Endorphine, die körpereigenen Opiate, überfluten das Gehirn der Schmachtenden und lassen sie wie im Rausch Glück, Lust und Leidenschaft empfinden. Donatella Marazziti, Psychiaterin an der Universität Pisa, hat bei frisch Verliebten festgestellt, dass das Stresshormon Cortisol bei ihnen deutlich erhöht ist und der Spiegel des Geschlechtshormons Testosteron beim Mann sinkt und bei der Frau steigt. »Es scheint, als wollte die Natur die Unterschiede zwischen Mann und Frau ausschalten, weil es in diesem Stadium wichtiger ist zusammenzukommen«, vermutet Marazziti. Ein starker Schub des Treuehormons Oxytocin schließlich weckt sexuelles Begehren und schafft soziale Bindung zwischen den Liebenden. Marazitti fand ebenfalls heraus, dass bei Liebenden der Botenstoff Serotonin deutlich vermindert ist. Damit ähnelt ihr Zustand dem von Zwangspatienten, die ununterbrochen putzen oder sich die Hände waschen müssen. Serotonin sorgt für innere Ausgeglichenheit und Ruhe, ein Mangel führt zu manischer Überaktivität des Gehirns. »Bei der Verliebtheit sind es jedoch nicht bestimmte Handlungen, die einen zwanghaften Charakter annehmen, sondern die Gedanken.« Alle kreisten nur noch um diese eine Lichtgestalt ihrer Leidenschaft. »Zwanghaftes Denken ist eine Hauptkomponente der romantischen Liebe«, meint Fisher. Die Anthropologin stellte bei ihren Tests mit Verliebten ebenfalls eine gesteigerte Aktivität im ventralen Tegmentum fest, einem zentralen Bestandteil des Belohnungssystems im Gehirn. In dieser Region befinden sich sehr viele Dopamin produzierende Zellen, die mit ihren tentakelgleichen Nervenfortsätzen den Glücksboten wie ein Sprinkler-System an zahlreiche Hirnregionen verteilen. »Dopamin erzeugt gebündelte Aufmerksamkeit, große Energie, Begeisterung und die starke Motivation, eine angestrebte Belohnung zu erhalten - kurz, die Grundgefühle der romantischen Liebe«, erklärt Fisher. Lange galt Dopamin als die chemische Quelle des Glücks, neue Forschungen zeigen jedoch, dass es das Molekül des Verlangens ist. »Der Neurotransmitter ist nicht der Glücksbote, wie es oft vereinfacht dargestellt wird«, erklärt Hirnforscher Michael Koch von der Universität Bremen. »Doch er treibt uns an, Dinge zu tun, die uns Glücksgefühle verschaffen.« Er signalisiert dem Körper ein Bedürfnis. Für die Freude über die Erfüllung dieses Verlangens sorgen andere Botenstoffe: die körpereigenen Opioide, die Endorphine. Art Aron von der State University of New York glaubt denn auch, dass Verliebtheit kein Gefühl, sondern ein Motivationssystem sei, das Verliebte dazu antreiben soll, eine intime Beziehung zu einem bevorzugten Paarungspartner aufzubauen - ein grundlegender Trieb des Menschen zur Liebe. Dazu gehört Fisher zufolge die Lust, das Verlangen nach sexueller Befriedigung, und die Bindung, das Streben nach Sicherheit und Harmonie. Viele Anthropologen halten die Verliebtheit und das Werben um einen bestimmten Paarungspartner für die evolutionäre Antriebskraft schlechthin, die zur Ausprägung und Verfeinerung aller virtuosen, technischen und intellektuellen Talente des Menschen geführt hat - einzig zu dem Zweck entwickelt, den umworbenen Partner mit seiner Begabung zu beeindrucken. Doch alles Wissen um das Wesen der Liebe hilft vielleicht, die Symptome akuter Verliebtheit zu verstehen, aber nic...Zum Weiterlesen gibt es folgende Möglichkeiten:
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