- Politik
- Befreiung in Buchenwald
Artilleriefeuer gab Mut
Erinnerungen eines Zeitzeugen
Der langjährige Vorsitzende des Thüringer Verbandes VdN/BdA, Ernst Jende, musste 12 Jahre in Gefängnissen und Konzentrationslagern auf den Tag seiner Befreiung warten. Allein acht Jahre war er im KZ Buchenwald. In dieser Zeit fühlte er sich oft dem Tode nahe. Er überlebte dank der Solidarität unter den Häftlingen und des organisierten Widerstandes. Im Streit um Befreiung und Selbstbefreiung schrieb der inzwischen verstorbene Ernst Jende 1991 einen Brief an den Historiker Professor Overesch in Hildesheim:
»Der 11. April 1945 im Konzentrationslager Buchenwald: Die letzten Tage im Konzentrationslager Buchenwald brachten durch die Evakuierungen des Lagers besondere, bis an die Grenzen des nervlich Ertragbaren Belastungen zusätzlich mit sich. Dadurch, dass die amerikanischen Truppen am 4. April 1945 Gotha besetzt hatten, rechneten wir täglich mit unserer Befreiung. Da der Vormarsch aber nicht fortgesetzt wurde, hatte die SS-Führung die Möglichkeit, in den Tagen bis zum 11. April 1945 noch 10000 Häftlinge zu evakuieren. Wir nannten es, auf den Todesmarsch zu schicken, weil Tausende auf diesen Transporten umkamen.
Die Lagerkommandantur hoffte, den von der obersten SS-Führung erteilten Auftrag, das gesamte Lager zu räumen und keinen Zeitzeugen zurückzulassen, dadurch noch durchsetzen zu können.
In der Nacht vom 10. zum 11. April war Artilleriefeuer zu vernehmen, das sich in den Morgenstunden verschärfte und uns wieder neuen Mut gab zu der Annahme, dass die amerikanischen Truppen vorrücken und die Stunde der Befreiung nahe ist.
Die SS-Kommandantur unternahm am 11. April noch einen letzten Versuch, alle deutschen Häftlinge zu evakuieren. Sie hoffte wahrscheinlich, damit den Kopf des Widerstandes zu beseitigen. So kam der Befehl durch den Lautsprecher, "alle deutschen Häftlinge bis 11 Uhr auf dem Appellplatz antreten". Da um 11 Uhr kein Häftling auf dem Appellplatz stand, wurde der Termin bis 12 Uhr verlängert.
Um dem Befehl Nachdruck zu verleihen, rückte SS ins Lager ein. Als gegen 12 Uhr die Sirene Feindannäherung ankündigte und wenige Minuten später durch den Lautsprecher alle SS-Leute aus dem Lager gerufen wurden, begaben wir uns an den Standplatz hinter Block 3 gegenüber dem Haupttor, an dem sich weitere Gruppen einfanden. Die Türme waren noch besetzt, wie wir sahen, der Stacheldrahtzaun noch geladen, wie man uns sagte.
Kurz nach 14 Uhr verlassen einige Posten die Türme, darunter den Turm über dem Haupttor, den wir besonders im Auge hatten.
Als der Befehl zum Angriff gegeben wurde, stürmten die ersten mit Gewehren, Pistolen und Handgranaten bewaffneten Trupps auf das Haupttor. Unsere Befürchtungen, dass die SS diesen Sturm auf das Tor im Maschinengewehrfeuer ersticken würde, trafen nicht ein. Sie waren geflohen oder zu ihren Stellorten im Wald zwischen Lager und Hottelstedt gestoßen, von wo Maschinengewehr- und Gewehrfeuer zu hören war. Ein Teil hat sich in Richtung Weimar abgesetzt.
Wir hatten die Aufgabe, hinter dem ersten Trupp durch das Tor zu stürmen, zur Waffenkammer der Kommandantur vorzudringen, uns dort zu bewaffnen und danach das Gelände bis zur Hottelstedter Straße von SS zu säubern und zu sichern. Als wir die Landstraße erreichten, kamen USA-Panzer aus westlicher Richtung. Wir nahmen an, dass sie gekommen seien, das Konzentrationslager Buchenwald zu befreien und das Lager zu beschützen, weil ja immer noch mit einem Gegenkampf der SS zu rechnen war. Der Kommandant der Panzereinheit machte uns klar, dass er einen solchen Auftrag nicht hatte. Er hatte den Befehl, mit seiner Einheit auf Weimar vorzustoßen und die Stadt zu besetzen. Da er aber so viele bewaffnete Menschen in den verschiedenen Uniformen sah, wollte er sich das Lager ansehen, um dann wieder zu seinem Verband zu stoßen und seinen Befehl weiter auszuführen. Wir übernahmen zwei gefangene SS-Leute, um sie ins Lager zu bringen. Einen Tag vorher war es noch umgekehrt. Sie waren die Herren und wir die Sklaven, mit denen man machen konnte, was ihnen gerade einfiel.«
Die aufständischen Häftlinge von Buchenwald übergaben den heranrückenden US-Soldaten mehr als 200 gefangene SS-Leute. Unter anderen konnten 903 Kinder, die für den Gastod bestimmt ...
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