Lohme nach dem Tag X

Bei lang anhaltendem Regen sind weitere Abbrüche auf Rügen möglich, fürchten Experten

  • Andreas Küstermann
  • Lesedauer: 3 Min.
Drei Abbrüche von Rügens Küste machten Schlagzeilen. Jeweils ein Superlativ an Größe und touristischer Bedeutung. Doch auch bei Dranske bröckelt es - und am Kap Arkona. Normalität einer dynamischen Küste. Das wurde nur zu lange vergessen.
Die Touristen sind wieder da. Nach den Küstenabbrüchen ist zu Ostern überall Normalität eingekehrt auf Rügen. Überall? In Lohme auf der nördlichen Insel wird wohl lange nichts mehr normal sein. In Sassnitz konnten die Bürger von ihren Wissower Klinken mit Brahms' dort vollendeter 1. Symphonie feierlich Abschied nehmen. Und beschließen, dass dem Meer eben sein Tribut gezollt wurde. Lobbe mit seinem Todesopfer ist verdrängt und wird nur manchmal noch mit Lohme verwechselt. Dort allerdings ist an den rund 550 Einwohnern mehr hängen geblieben. Traf es den Ort doch im Kern. Täglich wird zudem über den Absturz des gesperrten Diakonie-Heimes spekuliert. Es geht um Hilfe, jedoch auch um die Aufarbeitung von Baufehlern und Versäumnissen der letzten Jahre. Auf einer Einwohnerversammlung hatten kürzlich erstmals der Bürgermeister Jörg Burwitz (parteilos) und Karl-Heinz Walter als leitender Verwaltungsbeamter des Amtes Nordrügen informiert. Der Abbruch von mehr als 100000 Kubikmetern Küste und Evakuierung des Diakonie-Heimes (ND berichtete) ging voraus. Zwei Nachbarhäuser wurden ebenfalls zwangsgeräumt und versiegelt. Rundum liegen 16 große Messpunkte von einem Quadratmeter aus Beton. Die Durchgangsstraße davor ist gesperrt. Die Kommune hatte sie gerade vom Kreis mit viel Bauchschmerzen übernommen. Jetzt wird sie verlegt, damit Lohme keine Sackgasse bleibt. Aus Pflaster wird Asphalt. Die Messpunkte, so Walter, zeigten, dass die Gefahr nicht vorüber sei. Bei lang anhaltendem Regen könne das gesperrte Haus jeden Tag abstürzen. Für einen geordneten Abriss finde sich niemand. Bürgermeister Burwitz sorgt sich auch um den seit 1995 für fünf Millionen Euro sanierten Hafen. Eine touristische Einrichtung, die gerade privatisiert werden sollte und genau zwischen Kreide- und abgerutschten Mergelhang liegt. In seinem Westteil werden nun die Sedimente ausgewaschen und verringern den Tiefgang. »Mehrere Wasser führende Schichten speien dort regelrecht Wasser. Bohrungen bis zu 60 Metern sollen nun Klarheit über Kiesblasen im Hang geben«, weiß Uwe Gens vom Staaatlichen Amt für Umwelt und Natur (StAUN). Er räumt auch mit der Legende auf, dass der Abriss einer Stützmauer am Hangsockel verantwortlich für den Abrutsch sei. »Die war völlig marode, als die Reste 1995 wegkamen«. Stattdessen liegt dort die Steinpackung, so Gens, der Risse und Wasserausbrüche schon von 1986 kennt, als der letzte Abbruch ein Haus einstürzen ließ. »Im Übrigen liegen die Ursachen an Land, nicht auf Wasserseite«. Heinz Heber ist da gleicher Ansicht. Er ist seit 30 Jahren Lohmer und hat 1985 als Leiter des FDGB-Heimes »Paul Ehrlich« Untersuchungen ausgelöst, als er gegen Ende der Saison Risse entdeckte: »Keine Tanzveranstaltung im Winter und Gipsplomben an den Häusern galten dann als normal. Die habe ich täglich kontrolliert. 1989 hat der neue Eigentümer alles entfernt. So geriet das in Vergessenheit«, berichtet er. Obwohl er selbst bis vor zwei Jahren im Gemeinderat saß. »Unter Hinweis auf die 200 Meter Schutzzone wurde dort damals schon die Aufstockung eines Hauses abgelehnt. Es ist traurig, dass man das alles vergaß. Selbst die alten Protokolle sind vernichtet. Lohme muss lernen, damit zu leben. Da darf man die Augen nicht davor verschließen«. Hotelier Matthias Ogilvie (CDU) ist besagter neuer Eigentümer. Und Vorsitzender des Lohmer Bauausschusses. Als solcher betont er, dass nun speziell auf Oberflächenwasser geachtet würde. Auch die Gräben rund um Lohme müssten wieder gereinigt werden. »Dass wir die alte Kreisstraße übernommen haben, gibt uns die Möglichkeit, mehr zu versiegeln und gezielt Regenwasser abzuführen. 700000 Euro wird das kosten. Glücklicherweise bekommt die Kommune als Eigentümer dafür Fördergelder.« Vom Anbringen der Messpunkte hält er jedoch nichts. »Das macht nur die Menschen scheu und wir haben schon jetzt große Einbußen.« Augenmaß sei gefragt - sonst könne man gleich den ganzen Ort sperren.

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