Die Genugtuung
Am 16. April 1945 begann die Berliner Operation der Roten Armee
Am 16. April 1945 begann an Oder und Neiße die Berliner Operation der Sowjetarmee, die Entscheidungsschlacht zur Beendigung des Zweiten Weltkrieges in Europa. Die Rote Armee stand 60 Kilometer vor der deutschen Hauptstadt. Amerikanische Verbände hatten am 12. April die Elbe bei Magdeburg erreicht und bei Barby einen Brückenkopf gebildet; für sie war Berlin noch 120 Kilometer entfernt.
Nach über fünf Jahren stand der am 1. September 1939 mit der Lüge von einem polnischen Überfall auf den Sender Gleiwitz entfesselte Krieg, der zu einem Weltkrieg wurde, in Europa vor seinem Ende. Die Pläne der aggressiven Führungskreise des faschistischen Deutschlands, durch einen hemmungslosen Eroberungs- und Vernichtungskrieg die Vorherrschaft in der Welt zu erreichen, waren gescheitert.Trotz deutlicher Unterlegenheit an Soldaten und Kampftechnik hielt sich in den deutschen Stäben weiterhin die Illusion auf einen Abwehrsieg, durch den die »unnatürlich feindliche Allianz politisch auf das Stärkste belastet« werden könnte. Dem deutschen Feldheer mit 5,5 Millionen Mann standen zwölf Millionen Mann der Antihitlerkoalition, einem deutschen Panzer fast drei und einem deutschen Kampfflugzeug mehr als vier der Verbündeten gegenüber. Mit der Berliner Operation traten 2,5 Millionen sowjetische gegen eine Million deutsche Soldaten an.
Ob auch englische und amerikanische Armeen durch ein Vorgehen über die Elbe Berlin einnehmen sollten und könnten, war zunächst unklar. Am 20. Januar 1945 jedenfalls hatte ihr Oberbefehlshaber Eisenhower bei seinen operativen Überlegungen Berlin als Endziel ins Auge gefasst. Doch die Kämpfe zur Vernichtung der deutschen Heeresgruppe B im Ruhrkessel dauerten bis Mitte April an. Die 11. Armee leistete bis zum 23. April im Harz heftigen Widerstand. Die neu aufgestellte 12. Armee unter General Wenck, ergänzt durch Arbeitsdienstdivisionen, Angehörige von Kriegsschulen, HJ- und Volkssturmeinheiten, zog sich hinhaltend kämpfend an die Elbe-Mulde-Linie zurück. Dennoch trug ein Schild am Verbindungssteg zum Brückenkopf Barby den vielsagenden (zugleich auf den neuen US-Präsidenten verweisenden) Namen »Harry S. Truman-Bridge - Gateway to Berlin«.
Am 1. April 1945 hatte Stalin die Oberbefehlshaber der 1. Belorussischen Front, Shukow, und der 1. Ukrainischen Front, Konew, über ein Fernschreiben Eisenhowers informiert, aus dem hervorging, dass dieser Vorbereitungen für die Einnahme Berlins treffe: Eine starke Gruppierung unter dem britischen Oberbefehlshaber Montgomery sollte nördlich des Ruhrgebiets auf kürzestem Wege zur deutschen Hauptstadt vordringen. Darauf hatte auch der britische Premier Churchill gedrängt. Erst einen Tag vor dem Beginn der Berliner Operation der Sowjets, am 15. April, nahm Eisenhower trotz britischen Einspruchs von seinen Berlinplänen Abstand. Die Kenntnis der ursprünglichen englisch-amerikanischen Erwägungen dürften die sowjetischen Vorbereitungen auf die Berlin-Operation noch beschleunigt haben. Diesen Sieg wollte sich die Sowjetunion nicht nehmen lassen, denn sie hatte entscheidend dazu beigetragen, die Hauptkräfte des Aggressors zu zerschlagen. Es musste für die sowjetischen und auch polnischen Soldaten eine große Genugtuung sein, am Ende dieses schrecklichen Krieges, unter dem ihre Völker am stärksten gelitten hatten, ihre Fahnen in Berlin zu hissen.
Die Sowjetarmee eröffnete die letzte Schlacht mit dem Angriff der 1. Belorussischen Front auf die Seelower Höhen und der 1. Ukrainischen Front über die Neiße bei Muskau-Forst. Zwei Tage später stieß die 2. Belorussische Front bei Schwedt vor. Nach einem viertägigen verlustreichen Kampf gelang der Durchbruch bei Seelow und die Aufspaltung der 9. deutschen Armee an der Oder. Die 1. Ukrainische Front drang nun gegen den Süden Berlins vor. Die 2. Belorussische Front durchbrach die deutsche Verteidigung im Norden und marschierte weiter in Richtung Mecklenburg. Am 20. April erreichten sowjetische Panzer die Linie Bernau, Werneuchen, Königs Wusterhausen. Die äußere Verteidigungszone begann mit der Stadtgrenze; das nächste größere Hindernis war der Damm des S-Bahnrings; dahinter lagen die innere Verteidigungszone mit dem Stadtkern und schließlich das Regierungsviertel mit der Reichskanzlei. Ein weit verzweigtes Stellungssystem mit zahlreichen Flak- und Luftschutzbunkern und Hindernissen sowie Minensperren waren vorbereitet worden und die Besatzung auch durch Heereseinheiten verstärkt worden. Die deutsche Besatzung Berlins betrug etwa 200000 Mann, die von Potsdam 10000.
Je weiter die sowjetischen Verbände vordrangen, umso heftiger wurde die Gegenwehr. Es begann ein verlustreicher Nahkampf um Straßen, Plätze, einzelne Gebäude, Bahnhöfe und U-Bahn-Schächte, vor allem um die zahlreichen Luftschutz- und Flakbunker. Kapitulationsangebote lehnte die NS-Führung ab. Hitler habe den Befehl über alle zur Verteidigung Berlins angetretenen Kräfte übernommen, ließ Goebbels verlauten. Und: »Alle Verteidiger der Reichshauptstadt sind jetzt nur noch vom Willen beseelt, den bolschewistischen Todfeind, wo immer er auftaucht, vernichtend zu schlagen.« Über zehn Tage und Nächte sollte diese letzte Schlacht noch andauern, allein auf sowjetischer Seite kostete sie 30000 Menschen das Leben.
Als am 25. April die 1. Belorussische Front und die 1. Ukrainische Front den Ring um Berlin bei Ketzin geschlossen sowie sowjetische und US-amerikanische Truppen sich bei Torgau und Pretzsch getroffen hatten, waren einige führende Nazis längst gen Westen geflohen, so Göring und Himmler. Am 28. April war der innere Verteidigungsring der »Reichshauptstadt« durchbrochen. Im Führerbunker sank die Hoffnung auf Entsatz. Der Generalstabschef des Heeres Krebs ging davon aus, dass man sich nur noch 48 Stunden halten könne. Dennoch wurde auf Befehl Hitlers die Wenck-Armee und die 9. Armee noch einmal zu größten Anstrengungen angetrieben. Doch Wenck musste am 29. April, gegen 23.30 Uhr, dem Generalfeldmarschall Keitel melden, dass die 12. Armee auf der ganzen Front in die Abwehr gedrängt und deshalb ein Angriff auf Berlin nicht mehr möglich sei. Am folgenden Tag, 15.30 Uhr, flüchtete sich Hitler bekanntlich in den Selbstmord.
Es folgten nun mehrere Befehle Keitels, die offenbaren, dass die deutsche Generalität die Chance, nach Hitlers Tod eine sofortige Beendigung der Kampfhandlungen zu erreichen, nicht zu ergreifen gewillt war. Der Kampf sollte gegen die Sowjetarmee fortgesetzt werden, obwohl auch im OKW bekannt war, dass vielerorts der Widerstand gegen den Krieg und gegen weitere Zerstörung von antifaschistischen politischen und kirchlichen Kreisen zunahm, Soldaten desertierten und trotz Durchhalteparolen und Terror der SS weiße Fahnen aus den Fenstern gehangen wurden.
Als sich die 2. Belorussische Front und die britische 2. Armee auf der Linie Wismar-Wittenberge trafen, waren die Tage der letzten Reichsregierung des von Hitler als Nachfolger bestimmten Admirals Dönitz gezählt. Versuche, eine Teilkapitulation im Westen zu erlangen, lehnte Eisenhower ab. Er bestand auf Gesamtkapitulation am 7. Mai im Beisein sowjetischer Vertreter in seinem Hauptquartier in Reims. Die Sowjetregierung jedoch drängte darauf, diese am 8. Mai an dem Ort, von dem der Krieg ausgegangen wa...
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