Einsteins »kleines Paradies«

Komm nach Caputh, pfeif auf die Welt...

  • Christina Matte
  • Lesedauer: ca. 9.0 Min.
Nimmt man den Weg nach Caputh via Potsdam, sollte man sich einen Abstecher zum Heiligen See gönnen. An dessen Ufer hat sich jüngst viel deutsche Prominenz angesiedelt - zwischen alten Bäumen und Hecken leuchten top gepflegte Villen. Was heißt hier Villen? Residenzen! Dagegen ist das Sommerhaus Albert Einsteins in Caputh, um das man jetzt so viel Aufhebens macht, ein Fliegenschiss, mit Verlaub gesagt. Hätte Einstein »Wer wird Millionär?« moderiert, statt die Relativitätstheorie zu entwickeln, dann hätte er sich vielleicht auch so einen Luxussitz leisten können. Hat er aber nicht. Wenigstens wollte die Stadt Berlin ihn zu seinem 50. Geburtstag 1929 mit einem Havelgrundstück bedenken. Hat sie aber nicht. Nach mehreren gescheiterten Versuchen, ein solches Grundstück aufzutreiben, stand er als Beschenkter nicht mehr zur Verfügung. Einsteins hatten sich dann selbst und auf eigene Kosten daran gemacht, in Caputh ein Stück Land zu finden und ein Sommerhaus zu errichten. Das Sommerhaus und der große Garten sind derzeit noch Baustelle. Doch schon bald, in diesem Mai, sollen sie im ursprünglichen Zustand wiederhergestellt sein. Dann will der Kanzler höchstselbst anreisen. Voraussichtlich wird die feierliche Eröffnung das einzige offizielle Ereignis im Einsteinjahr werden, bei dem man etwas sehen und anfassen kann, was schon Einstein gesehen und angefasst hat. Wobei das mit dem Anfassen heute nicht so gern gesehen sein dürfte. Denn das Sommerhaus in Caputh ist weltweit der einzige Ort, der noch etwas über das Privatleben des Nobelpreisträgers erzählt - die Berliner Stadtwohnung wurde zerstört und das Wohnhaus in den USA zur Forschungsstätte umgebaut. Deshalb wird man das Haus, wenn es fertig ist, auch nur einmal pro Woche für Schaulustige öffnen, öfter nicht. Wenn jeden Tag Touristen durch das Heiligtum stolperten, wäre die ganze Pracht womöglich schnell wieder dahin. Diesmal für immer. Man konnte es einfach nicht weiter verkommen lassen, das kleine unscheinbare Haus, in dem Einstein drei Sommer lang weilte. Drei Sommer: Das waren die Sommer von 1930 bis 1932. Wobei die »Sommer« sich in der Regel von März bis November erstreckten. Das jedenfalls erzählt Erika Britzke. Frau Britzke ist schon Rentnerin, hat aber noch einen Minijob beim Potsdamer Einstein Forum. Das Einstein Forum, 1993 vom Land Brandenburg gegründet, um intellektuelle Kräfte zu verbinden, verwaltet Einsteins Sommerhäuschen für die Hebräische Universität Jerusalem. Der gehört es nämlich inzwischen, nach schier endlosem Restitutionsstreit. Vom Einstein Forum stapft auch noch Dr. Rüdiger Zill auf der Baustelle herum. Jeden Tag sagen sich jetzt Journalisten an, aus Bayern, Israel, der Schweiz. Alle Journalistenwünsche kann er nicht erfüllen, weshalb auch Frau Britzke zur Zeit etwas Pressearbeit leistet. Sie wohnt im benachbarten Wilhelmshorst und legt die zwölf Kilometer bis Caputh mit dem Fahrrad zurück. Nicht erst seit heute. Schon 1979, anlässlich von Einsteins 100. Geburtstag, war das Haus zum ersten Mal grundsaniert worden - für 460000 DDR-Mark. Seitdem hat es Frau Britzke im Auftrag der Akademie der Wissenschaften der DDR betreut. Ebenso die Gäste, die hier ab und an übernachten durften. »Das war selten«, erinnert sie sich, »und immer blieben sie nur für eine Nacht. Geschlafen haben sie in den oberen Zimmern, die den Stieftöchtern Margot und Ilse gehörten, nie im Zimmer des Hausherren. Aber sie waren damit zufrieden. Was denken Sie, was für eine Verehrung Fachkollegen Einstein entgegenbringen! Sie waren glücklich, hier sein zu dürfen.« Mancher adelt sich mit einem Haus, andere haben ein Haus mit ihrer Anwesenheit geadelt. Frau Britzke hat im Laufe der Zeit viel in Archiven recherchiert, »private Forschungen betrieben«. Deshalb kann sie eine ganze Menge über das Sommerhaus berichten. Zunächst einmal, dass Konrad Wachsmann es gebaut hat. Richtig, jener Konrad Wachsmann, der einen jüdischen Vater hatte und deshalb 1941 aus Frankreich, wo er im Untergrund lebte, in die USA emigrierte und dort mit Walter Gropius die »General Panel Corporation« gründete - eine Fabrik für Fertigbauhäuser. Schon Ende der 20er Jahre hatte er die Anfänge industriellen Bauens und dessen Ästhetik studiert, bei der Firma »Christoph und Unmack« in Niesky. Als er von Einsteins Wunsch nach einem Sommerhaus erfuhr, wurde er bei ihm vorstellig und - überzeugte. Auf der Stelle machte er sich daraufhin mit einem eigenen Architekturbüro selbstständig, baute das Holzhaus in Blockbauweise, wobei er die Wünsche Einsteins berücksichtigte. Der Beginn einer Weltkarriere. Einsteins Gartenhaus unscheinbar? Alles ist relativ. Von außen sieht es schon wieder recht schmuck aus. Die Hölzer der nordamerikanischen Kiefernart, die für die Verkleidung verwendet wurden, sind von erlesener Qualität und leuchten in einem warmen Rotton. Schön auch die hohen französischen Fenster mit den luftigen weißen Läden. Eine Treppe mit weißem Geländer führt auf die große Sonnenterrasse. Wachsmdann hat sie direkt auf dem Dach des einstöckigen Gebäudeteils angelegt, an das sich noch ein zweistöckiges Teil schmiegt. Von der Sonnenterrasse aus blickte Einstein auf die Havel, wo sein Segelboot ankerte. Unter dem Sonnendach, auf einer überdachten Terrasse, die er seine »italienische Laube« nannte, fand er an heißen Tagen Erfrischung. Im Innern zeigt mir Frau Britzke zunächst den »größten Raum«. Waren die Flügeltüren geöffnet, wurde er gleichsam durch den Garten erweitert, weshalb er auch »Gartenzimmer« heißt. »Hier kam die Familie zu den Mahlzeiten zusammen, hier wurden Gäste begrüßt«, erzählt sie, um sogleich auf die Durchreiche zur praktischen Küche zu weisen: »Eingebaute Details - Schränke oder Betten - finden Sie in allen Räumen. Wachsmann kam es auf Einfachheit und Funktionalität an, das war ganz im Sinne Einsteins.« Alles ist relativ, auch Luxus. In einer Prunkvilla hätte sich Einstein gar nicht wohlgefühlt. Alles ist klar und zweckmäßig. Der wie ein Schachbrett geflieste Flur, die Schlafzimmer von Einsteins zweiter Ehefrau Elsa und sein eigenes. Es ist klein, beinahe winzig. »Er hatte sich einen Raum gewünscht, in dem er absolute Ruhe findet. Deshalb ist der Raum geräuschisoliert. Hier hat er geschlafen und gearbeitet. Zugleich war sein Arbeitszimmer das Büro des Direktors des Instituts für theoretische Physik der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Das bestand neben seinem Direktor nur noch aus zwei Personen: seinem Mitarbeiter Dr. Walter Mayer und seiner Sekretärin Helen Dukas, die ihn oft hier aufsuchten.« Frau Britzke weiß, dass auch Heinrich Mann hier war, »um von Einstein eine Unterschrift gegen die zunehmende Faschisierung« zu bekommen. Und Anna Seghers besuchte ihn hier: Sie gewann ihn für einen Vortrag mit dem Titel Was die Arbeiter von der Relativitätstheorie wissen müssen. »Einstein hat sich in Caputh sehr wohl gefühlt. Er nannte das Sommerhaus sein "kleines Paradies", erzählt Frau Britzke. Noch im November 1932 habe er ein kleines Nachbargrundstück mit einer kleinen Laube dazugekauft, das er nie mehr nutzen sollte. »Das alles habe ich recherchiert«, klagt Frau Britzke, »ich hätte es aufschreiben sollen.« Hat sie aber nicht. Statt ihrer hat das Dietmar Strauch übernommen. Der gebürtige Westberliner - Frau Britzke sagt »Wessi« - zog einige Jahre nach der Wende nach Caputh. Dort schloss er sich dem »Initiativkreis Albert-Einstein-Haus-Caputh« an, »weil man sich ja für den Ort, in dem man wohnt, interessiert«. Außer ihm gehören vier weitere Caputher zum Initiativkreis. 1994, als das Haus schon einmal kurzzeitig für Besucher geöffnet war, hat Strauch dort Führungen übernommen. Frau Britzke murrt: »Herr Strauch war bei mir Führungsassistent. Was er weiß, weiß er von mir. Ich habe ihn mit in die Archive genommen, ihm meine Forschungsergebnisse zur Verfügung gestellt.« Vielleicht hätte er ihr in seiner Broschüre »Einstein in Caputh. Die Geschichte eines Sommerhauses« wenigstens danken sollen. Hat er aber nicht. Dietmar Strauch treffe ich im Caputher Bürgerhaus. Dort bereitet er gerade eine Dauerausstellung zu Einstein vor: »Wenn Leute nach Caputh kommen, um das Sommerhaus zu besichtigen, dann aber vor verschlossener Tür stehen, sind wir sozusagen die Nebenstelle.« In Strauchs Buch erfährt man viel über die Geschichte des Sommerhauses. Und über deutsche Geschichte. Er zeichnet nach, wie Caputh, das als »marxistische Hochburg« galt, nach der Machtübernahme Hitlers in kürzester Zeit gleichgeschaltet wurde. »... am 20. April - dem Geburtstag Hitlers - verkündet man in der ebenfalls längst gleichgeschalteten Presse: Der Fackelzug zum Geburtstage des Reichskanzlers war mehr als ein langer Zug leuchtender Fackeln, er war das Bekenntnis eines ganzen Ortes zu dem Führer.« Man hätte sich verweigern können. Hat man aber nicht. Deutschland: kein Ort mehr für Albert Einstein. Mit seinem Rücktrittsschreiben vom 28. März 1933 an die Akademie der Wissenschaften zieht er die Konsequenzen. Die hätte ihre Stimme erheben müssen. Hat sie aber nicht. Im Gegenteil, sie versetzt ihm einen Fußtritt und sieht »keinen Anlass, seinen Austritt zu bedauern«. Entsetzt schreibt Einstein an Otto Hahn: Die Haltung der deutschen Intellektuellen - als Klasse betrachtet - war nicht besser als die des Pöbels. Dietmar Strauch, der inzwischen auch eine Lebensgeschichte Einsteins veröffentlicht hat, beeindrucken vor allem dessen »Fähigkeit, sich zwischen die Stühle zu setzen und kompromisslos an seinem Standpunkt festzuhalten, ergo seine Unfähigkeit, sich anzupassen.« Bei Strauch nachzulesen der beschämende Umgang Deutschlands mit dem Physiker, der allen die Zunge herausstreckte: Erst wird er »ausgebürgert«, obwohl er bereits selbst einen Antrag auf Ablegung der Preußischen Staatsbürgerschaft gestellt hatte, dann werden seine Wertpapiere und Bankkonten beschlagnahmt und enteignet. Auch sein Segelboot wird enteignet und verkauft. Nur das Haus, als dessen Eigentümer die beiden Stieftöchter im Grundbuch stehen, kann noch nicht enteignet werden. In deren Auftrag wird es zunächst an das jüdische Kinderheim, das 1931 nur zwei Grundstücke neben dem Sommerhaus Einsteins eröffnet worden war, vermietet. Doch am 10. Januar 1935 wird auch sein Sommerhaus »eingezogen« und die Kinder werden bald darauf hinausgeworfen. Caputher NSDAP-Mitglieder, speziell der damalige Bürgermeister, waren dabei treibende Kräfte. Strauch nennt sie mit Namen, aber Ärger mit seinen heutigen Mitbürgern hat er deshalb nicht: »Wir haben hier keine Rechten.« In der Folge etablierte man in Einsteins »kleinem Paradies« ein BDM-Heim, einen Kindergarten und eine Wehrmachtsdienststelle. Nach der Befreiung nutzte man es als Wohnhaus und später, das wissen wir bereits, als Gästehaus der Akademie der Wissenschaften. Dass es nun zu neuen Ehren gelangt, hat auch mit dem Drängen des Caputher Initiativkreises zu tun. Und damit, dass die Restaurierung vom Bund und von der Cornelsen-Kulturstiftung finanziert wird, mit je 250000 Euro. Trotzdem sieht es im Augenblick nicht so aus, als würde das Haus noch in diesem Mai fertig. »Doch, es wird fertig«, versichert Dr. Zill, der schon wieder einen Journalisten über die Baustelle führt. Wenn es fertig ist, will das Potsdamer Einstein Forum das Sommerhaus für Vorträge, Seminare, Workshops und Konferenzen nutzen. Wie das bei nur einem etwas größeren Raum funktionieren soll, bleibt vorerst sein Geheimnis, aber wie schon Einstein schrieb: Das Schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle. Ein Mann in der Uniform eines Wachschutzes gesellt sich zu mir. Er will »nur mal nach dem Rechten sehen«. Seine Firma bewacht Einsteins »kleines Paradies« nun schon seit geraumer Zeit. »Wieso das denn?«, gebe ich mich erstaunt, »hier ist doch nichts zu holen!« Der Wachmann schüttelt den Kopf: Man fürchte sich ja nicht vor Dieben, vielmehr gehe es darum, »dass Herr Einstein Jude war«. Es habe Drohungen gegeben. Wieso das denn? Hier gibt es doch keine Rechten, wie Herr Strauch versicherte. Das sieht der Wachmann anders. Bei ihm in Potsdam, am Nachbarhaus, prange seit einer Woche die volksverhetzende Parole »60 Jahre Auschwitzlüge«. Er hat die Polizei informiert, seiner Meinung nach hätte die »die Schweinerei« gleich beseitigen müssen. Hat sie aber nicht. Dafür können in wenigen Wochen die Bildreporter der Welt zeigen: Schaut, hier hat ein Jahrhundertgenie die Sommerfrische verlebt, und wie gut in Schuss das alte Haus nun wieder i...

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