Schild für die »Straße der Befreiung«

Neue ND-Serie: Orte an der Route der Sowjetarmee erinnern ans Kriegsende

  • Matthias Busse
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.

»Stationen der Befreiung« erlebte Berlin 1945, dramatisches Geschehen auf Straßen und Plätzen. In unserer Serie zum 60. Jahrestag stellen wir einige Orte im heutigen Alltag vor.


Es ist noch gar nicht lange her, da hat Dieter Görsdorf an der Straße Alt-Friedrichsfelde ein altes Straßenschild angeschraubt. »Straße der Befreiung« stand darauf. Durch diese inoffizielle Aktion wollte der Karlshorster zusammen mit seinen Genossen von der PDS-Basis an den dortigen Vorstoß der Roten Armee vom 23. April 1945 ins Zentrum von Berlin erinnern. Denn seit dem 3. Mai 1975 hieß die historische Marschroute zwischen Frankfurter Allee und Alt-Biesdorf ganz amtlich »Straße der Befreiung«.
Am 1. Februar 1992 tilgte das Bezirksamt Lichtenberg auf Beschluss seiner Bezirksverordnetenversammlung (BVV) diesen Namen, der in der DDR für den Sieg der Sowjetmacht über den Faschismus stand. In der alten Bundesrepublik sprach man in gleichem Zusammenhang nur vom »Zusammenbruch« des Dritten Reiches. Dadurch ist der entscheidende Einsatz der Rotarmisten verschwiegen worden, den mehr als 80 000 von ihnen während der Berlin-Offensive mit dem Leben bezahlten.
Die Rückkehr zum Straßennamen aus der Weimarer Republik reihte sich kurz nach der deutschen Wiedervereinigung in ähnliche Maßnahmen, mit denen das Andenken an die sowjetischen Kriegsopfer beseitigt wurde. Das ließ damals den Veteranenrat der russischen Duma ein mahnendes Wort an die deutsche Regierung richten. Heute spricht kaum noch jemand darüber.
Auch die zahlreichen russischen und ukrainischen Spätaussiedler, die Mitte der 90er Jahre in die Hochhäuser entlang der Straße eingezogen sind, kennen diese Geschichte nicht mehr. Zum 60. Jahrestag der Befreiung Berlins planen weder die PDS Lichtenberg noch andere Initiativen ein Gedenken in Alt-Friedrichsfelde, schon gar keinen Antrag auf Rückkehr zum ehrenden Namen. »Wir haben schlechte Karten«, begründet der Vorsitzende des BVV-Kulturausschusses, Jürgen Hofmann (PDS). Eine abermalige Rückbenennung sei laut Berliner Straßengesetz fast unmöglich.
Auch Görsdorf gibt sich geschlagen: »Der Zeitgeist hat gesiegt.« Doch das Gedenken ist noch nicht ganz aus der Mode gekommen. Denn der Sturm auf Berlin ist eng mit dem Namen Nikolai Bersarin verbunden, der die 5. Stoßarmee der 1. Belorussischen Front von Strausberg aus über die östliche Stadtgrenze führte und sich später als erster Stadtkommandant einiger Popularität erfreute.
An der Stelle in Marzahn, wo sein 32. Schützenkorps am 21. April 1945 als erste sowjetische Einheit die damalige Grenze zu Berlin überschritt, wird auf Beschluss der BVV Marzahn-Hellersdorf genau 60 Jahre später eine Wuhle-Brücke an der Landsberger Allee/Ecke Zossener Straße nach dem Oberkommandierenden benannt. Unweit davon hielt an der Landsberger Allee 563 seit 1986 ein Geschichtskabinett Erinnerung lebendig. Die museale Einrichtung, die in den ersten vier Wochen bereits 5000 Interessierte besuchten, ist verschwunden. Aber am Giebel des Dorfhauses erinnert noch eine große Inschrift an den 21. April 1945.
An jenem Tage tobte Adolf Hitler noch in seinem Bunker an der Wilhelmstraße, weil sich ein Großteil seiner Staatsdiener und Feldmarschälle nach Norden und Süden abgesetzt hatte. Der Diktator, der erst einen Tag zuvor zu seinem 56. Geburtstag einige freiwillige 15- bis 16-Jährige als »Geschenk« für die Reihen der SS bekommen hatte, glaubte weiter an seinen Sieg. Seine Hoffnung ruhte auf SS-General Steiner, dessen Armee aus Görings Leibwache in Divisionsstärke und etwa 15 000 Mann schlecht bewaffnetem Bodenpersonal der Luftwaffe bestand.
Der Probst von Berlin, Heinrich Grüber, notierte, dass Jugendliche der Werwolf-Organisation das Wasserwerk Kaulsdorf sprengen wollten. Zusammen mit verbündeten Gewerkschaftern verscheuchte er die Fanatiker, so dass der Bezirk Lichtenberg nicht unter Wassermangel leiden musste.
Am 23. April überwand die Rote Armee deutsche Flakstellungen und besetzte den Ortsteil. Sogleich bildeten einige Kommunisten, Sozialdemokraten und Geistliche wie Grüber das »Nationalkomitee Freies Deutschland« im Friseurgeschäft an der Bausdorfer Straße 1. Sofort beteiligten sich auch Rotarmisten an der Versorgung der Bevölkerung, erinnerte sich 1965 KPD-Mitglied Fritz Kunze: »Sicher wären viele verhungert, wenn nicht die durchziehenden Kolonnen der Roten Armee den Einwohnern Brot gegeben hätten.«
Tags zuvor rettete Bersarins Armee das Kraftwerk Klingenberg in Rummelsburg. Aufklärer ihrer 230. Division sprachen mit deutschen Arbeitern, die ihnen Pläne der Faschisten zur Sprengung des wichtigsten Stromversorgers der Stadt verrieten. Unter erbittertem feindlichen Widerstand gelang es den sowjetischen Pionieren, die Zündkabel zu entdecken und zu durchtrennen. Bereits am 18. Mai meldete die Bewag wieder die Stromversorgung von Werken, Krankenhäusern und der BVG.
Um die Versorgung der Stadt persönlich zu kontrollieren, verließ Bersarin täglich auf einem Motorrad, mit einem zivilen Overall bekleidet, seine Kommandantur. Diese befand sich bis Anfang Mai 1945 an der Straße Alt-Friedrichsfelde 1. An der Fassade erinnert eine Tafel daran. Anders als die Straßenschilder der Straße der Befreiung wurde diese nicht beseitigt, sondern nach der Sanierung des Hauses vor einem Jahr unter Anteilnahme von Schülern der Moskauer Bersarin-Schule wieder enthüllt.

Nächste Folge: Rätsel um die Kommandantur am Wasserturm in Prenzlauer Berg

Es ist noch gar nicht lange her, da hat Dieter Görsdorf an der Straße Alt-Friedrichsfelde ein altes Straßenschild angeschraubt. »Straße der Befreiung« stand darauf. Durch diese inoffizielle Aktion wollte der Karlshorster zusammen mit seinen Genossen von der PDS-Basis an den dortigen Vorstoß der Roten Armee vom 23. April 1945 ins Zentrum von Berlin erinnern. Denn seit dem 3. Mai 1975 hieß die historische Marschroute zwischen Frankfurter Allee und Alt-Biesdorf ganz amtlich »Straße der Befreiung«.
Am 1. Februar 1992 tilgte das Bezirksamt Lichtenberg auf Beschluss seiner Bezirksverordnetenversammlung (BVV) diesen Namen, der in der DDR für den Sieg der Sowjetmacht über den Faschismus stand. In der alten Bundesrepublik sprach man in gleichem Zusammenhang nur vom »Zusammenbruch« des Dritten Reiches. Dadurch ist der entscheidende Einsatz der Rotarmisten verschwiegen worden, den mehr als 80 000 von ihnen während der Berlin-Offensive mit dem Leben bezahlten.
Die Rückkehr zum Straßennamen aus der Weimarer Republik reihte sich kurz nach der deutschen Wiedervereinigung in ähnliche Maßnahmen, mit denen das Andenken an die sowjetischen Kriegsopfer beseitigt wurde. Das ließ damals den Veteranenrat der russischen Duma ein mahnendes Wort an die deutsche Regierung richten. Heute spricht kaum noch jemand darüber.
Auch die zahlreichen russischen und ukrainischen Spätaussiedler, die Mitte der 90er Jahre in die Hochhäuser entlang der Straße eingezogen sind, kennen diese Geschichte nicht mehr. Zum 60. Jahrestag der Befreiung Berlins planen weder die PDS Lichtenberg noch andere Initiativen ein Gedenken in Alt-Friedrichsfelde, schon gar keinen Antrag auf Rückkehr zum ehrenden Namen. »Wir haben schlechte Karten«, begründet der Vorsitzende des BVV-Kulturausschusses, Jürgen Hofmann (PDS). Eine abermalige Rückbenennung sei laut Berliner Straßengesetz fast unmöglich.
Auch Görsdorf gibt sich geschlagen: »Der Zeitgeist hat gesiegt.« Doch das Gedenken ist noch nicht ganz aus der Mode gekommen. Denn der Sturm auf Berlin ist eng mit dem Namen Nikolai Bersarin verbunden, der die 5. Stoßarmee der 1. Belorussischen Front von Strausberg aus über die östliche Stadtgrenze führte und sich später als erster Stadtkommandant einiger Popularität erfreute.
An der Stelle in Marzahn, wo sein 32. Schützenkorps am 21. April 1945 als erste sowjetische Einheit die damalige Grenze zu Berlin überschritt, wird auf Beschluss der BVV Marzahn-Hellersdorf genau 60 Jahre später eine Wuhle-Brücke an der Landsberger Allee/Ecke Zossener Straße nach dem Oberkommandierenden benannt. Unweit davon hielt an der Landsberger Allee 563 seit 1986 ein Geschichtskabinett Erinnerung lebendig. Die museale Einrichtung, die in den ersten vier Wochen bereits 5000 Interessierte besuchten, ist verschwunden. Aber am Giebel des Dorfhauses erinnert noch eine große Inschrift an den 21. April 1945.
An jenem Tage tobte Adolf Hitler noch in seinem Bunker an der Wilhelmstraße, weil sich ein Großteil seiner Staatsdiener und Feldmarschälle nach Norden und Süden abgesetzt hatte. Der Diktator, der erst einen Tag zuvor zu seinem 56. Geburtstag einige freiwillige 15- bis 16-Jährige als »Geschenk« für die Reihen der SS bekommen hatte, glaubte weiter an seinen Sieg. Seine Hoffnung ruhte auf SS-General Steiner, dessen Armee aus Görings Leibwache in Divisionsstärke und etwa 15 000 Mann schlecht bewaffnetem Bodenpersonal der Luftwaffe bestand.
Der Probst von Berlin, Heinrich Grüber, notierte, dass Jugendliche der Werwolf-Organisation das Wasserwerk Kaulsdorf sprengen wollten. Zusammen mit verbündeten Gewerkschaftern verscheuchte er die Fanatiker, so dass der Bezirk Lichtenberg nicht unter Wassermangel leiden musste.
Am 23. April überwand die Rote Armee deutsche Flakstellungen und besetzte den Ortsteil. Sogleich bildeten einige Kommunisten, Sozialdemokraten und Geistliche wie Grüber das »Nationalkomitee Freies Deutschland« im Friseurgeschäft an der Bausdorfer Straße 1. Sofort beteiligten sich auch Rotarmisten an der Versorgung der Bevölkerung, erinnerte sich 1965 KPD-Mitglied Fritz Kunze: »Sicher wären viele verhungert, wenn nicht die durchziehenden Kolonnen der Roten Armee den Einwohnern Brot gegeben hätten.«
Tags zuvor rettete Bersarins Armee das Kraftwerk Klingenberg in Rummelsburg. Aufklärer ihrer 230. Division sprachen mit deutschen Arbeitern, die ihnen Pläne der Faschisten zur Sprengung des wichtigsten Stromversorgers der Stadt verrieten. Unter erbittertem feindlichen Widerstand gelang es den sowjetischen Pionieren, die Zündkabel zu entdecken und zu durchtrennen. Bereits am 18. Mai meldete die Bewag wieder die Stromversorgung von Werken, Krankenhäusern und der BVG.
Um die Versorgung der Stadt persönlich zu kontrollieren, verließ Bersarin täglich auf einem Motorrad, mit einem zivilen Overall bekleidet, seine Kommandantur. Diese befand sich bis Anfang Mai 1945 an der Straße Alt-Friedrichsfelde 1. An der Fassade erinnert eine Tafel daran. Anders als die Straßenschilder der Straße der Befreiung wurde diese nicht beseitigt, sondern nach der Sanierung des Hauses vor einem Jahr unter Anteilnahme von Schülern der Moskauer Bersarin-Schule wieder enthüllt.

Nächste Folge: Rätsel um die Kommandantur am Wasserturm in Prenzlauer Berg

Wenn Sie ein Abo haben, loggen Sie sich ein:

Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.

Bitte aktivieren Sie Cookies, um sich einloggen zu können.