Pferde striegeln und Butter machen

Im thüringischen Kleinberndten bietet ein Bauernhof Landleben zum Anfassen

  • Stefan Tesch
  • Lesedauer: 4 Min.
Rhythmisches Klopfen auf Metall macht neugierig - also kurzerhand dem Klang gefolgt. Er führt in eine kleine Schmiede im Untergeschoss des Fachwerktraktes. Rechts in der Ecke glüht ein Ofen, links hämmern vier, fünf Jungs emsig auf Eisen ein. »Wir machen Hufeisen! Für die Pferde!«, ruft ein Sechsjähriger stolz. Über den Hof, drei Treppen hinunter, fegen derweil in der Bauernküche im früheren Pfarrhaus ein paar Mädchen Mehl- und Teigreste zusammen. Ihr Kuchen, den sie mit Bäckermeister Bernhard Koim in den Ofen geschoben haben, wird langsam braun. »Hier ist alles wie früher auf dem Dorf, als meine Oma klein war«, strahlt eines der Mädchen. Auch im urigen Gewölbe des Töpferkellers, einst die Schnapsbrennerei, versuchen sich Knirpse an fantasievollen Figuren. Und besonders hoch her geht es auf der Tenne, wo sich die große Gruppe eines Nordhäuser Kindergartens kleine Zuckertüten erhascht: Es ist ihre Abschlussfahrt. Stolz nehmen sie sie mit auf die Kutschfahrt, zu der »Pferdebauer« Michael Gerlach die Rösslein anspannt. Vorher gibt es aber noch Mittag im Gasthaus »Zur Alten Schule«. Ein Besuch im Erlebnisbauernhof Kleinberndten - ob als Klassenfahrt, Ferienfreizeit oder Familienausflug - ist Aktion pur. Stadtschüler aus ganz Deutschland erleben hier Landidylle, bäuerliches Handwerk und historische Technik wie im alten Bilderbuch. Oft schon über Monate im Voraus buchen ihre Lehrer Bauernhof-Erlebniswochen, Abenteuer-Camps, Fuß- und Radwanderungen, Lagerfeuer am Fluss, Treckingtouren mit Pferden oder auch launige Computer- und Internet-Kurse. Und all dies in einem Ambiente, das trotz der vielen alten Gerätschaften nie an ein Museum erinnert, sondern zum Anfassen, Ausprobieren, Mit- und Selbermachen verführt. Als Beispiel nennt Norbert Patzelt, Vizechef des Betreibervereins Landleben e.V., die Bauernküche mit ihren überkommenen Milchzentrifugen und Butterschleudern: »Alles erfüllt einen praktischen Zweck.« Selbst Abiturienten, die im Freiwilligen Ökologischen Jahr zu Seminaren nach Kleinberndten kommen, wären stets beeindruckt, wenn sie damit Frischkäse oder Butter zubereiten. »Für junge Städter eine völlig neue Erfahrung«, schmunzelt er. Hervorgegangen ist der Hof aus den Aktivitäten des mittlerweile insolventen Vereins Big Dipper e.V. Nordhausen. Mit jungen, teils arbeitslosen Leuten hatte er nach und nach einige teils ruinöse Bauernhäuser in der beschaulichen Runddorfsiedlung saniert. »Als erstes die Kirchgasse 5, womit dann 1994 alles losging«, erinnert sich Patzelt. Denn es ist seither eine schmucke Herberge, und ihre ersten Gäste fassten oft selbst Hand an, um weitere leer stehende Häuser zu neuem Leben zu erwecken. Ein Bauernhof als solcher seien sie sicher nicht, meint Patzelt, denn sie betrieben Landwirtschaft nicht im Haupterwerb. Doch ihr Anliegen, agrarische Prozesse für die Gäste erlebbar zu machen, gehe gut auf. »Speziell für Kinder sind natürlich die Tiere das Wichtigste, etwa ein Ziegenbock mit großen Hörnern«, lacht er. Das motiviere sie auch sofort zur notwendigen Arbeit. »Wenn wir den Stall ausmisten und den Dung aufs Feld fahren, sind sie begeistert dabei«, erzählt er. Und draußen sähen sie dann gleich, wie all das wächst, das sie täglich essen: dass Kartoffeln in Dämmen stecken und Brotgetreide auch aus kleinen grünen Pflänzchen reift. Als Big Dipper e.V. im Februar 2003 aufgeben musste - in den Ruin getrieben »durch massive Kürzungen bei der Jugendarbeit in Thüringen«, wie es in Kleinberndten heißt -, wagte Landleben e.V. einen Neubeginn. Aus dem Kinderbauernhof wurde nun jener Erlebnisbauernhof, denn dieser Name »deckt besser das Spektrum ab, das wir anbieten wollen«, erläutert Patzelt. »Wir wollen also stärker Erlebnispädagogik integrieren.« Um auch in Zeiten knapper Kassen das Erreichte für das Dorf und die treuen Gäste zu bewahren, liegt der Schwerpunkt nun mehr auf dem Nutzen von Vorhandenem denn dem Auf- und Weiterbau. Schaut man sich die gut gefüllten Vorbestellungsbücher an, wird schnell klar: Die Kleinberndtener sind eine feste Größe in der agrarisch-ökologischen Bildungsarbeit und ländlichen Traditionspflege in Deutschland. Probleme bereiten noch die dünner frequentierten Herbst- und Wintermonate. Um sie besser auszulasten, ersann der Verein eine Reihe Seminare für Erwachsene. In kleinen Kursen können sie Töpfern, Lehmbautechniken und das Filzen von Wolle erlernen, Naturfarben selbst mischen und anwenden, neue Gerichte mit Bärlauch probieren oder selbst Butter, Käse und Brot herstellen. Auch insgesamt 66 Nachtquartiere in vier unterschiedlichen Häusern decken mittlerweile alle Gästeansprüche ab. Das Spektrum reicht vom komfortablen Doppelzimmer über den Gruppenraum mit drei bis sechs Betten bis zum urigen, etwas abgelegenen »Waldhaus« ohne Strom und fließendem Wasser, wo man fast weltabgeschieden ein wenig Überlebenstraining betreiben kann.
Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal