Holocaust-Forscher in der Quisling-Villa

Einstiges Hauptquartier des obersten norwegischen Nazischergen wird Stätte der Aufklärung von Verbrechen an Juden

  • Jochen Reinert, Oslo
  • Lesedauer: ca. 6.5 Min.

Noch ist es nicht offiziell eröffnet, doch schon jetzt macht das neue Osloer Zentrum zur Erforschung des Holocausts und religiöser Minderheiten von sich reden.

Die Villa Grande, vielen Norwegern bis heute irgendwie unheimlich, ragt weit über die hohen Kiefern und Birken auf der Südspitze der Osloer Museumsinsel Bygdøy hinaus. 1917 hatte ein reicher Reeder den burgähnlichen Bau für seine Angebetete errichten lassen. Aber es klappte nicht so richtig mit ihr, und so blieb das Gebäude unbewohnt - bis Vidkun Quisling, Chef der Nazipartei Nasjonal Samling und ab Februar 1942 norwegischer Ministerpräsident von Hitlers Gnaden, die Villa okkupierte und zu einer fürstlichen Residenz herrichten ließ. Dabei fehlte es nicht an Beschwörungen der Wikingerzeit. So versammelte Quisling im düsteren Hirdsaal seine Hirdmenn, eine nach den Leibwächtern der frühmittelalterlichen Könige benannte SS-ähnliche Prätorianergarde. Hier fällte der Mann, dessen Namen weltweit zu einem Synonym für Nazi-Kollaborateure werden sollte, gemeinsam mit Hitlers Reichskommissar Terboven Todesurteile gegen norwegische Widerstandskämpfer. Hier rüstete er sich für seine Reisen nach Berlin - Quisling war derjenige auswärtige Politiker, der Hitler am häufigsten traf. Und: Bereits im Oktober 1942 gingen von hier die ersten Befehle zur Vernichtung der norwegischen Juden aus.

»Allein das Werk der Norweger«

Vor der Villa Grande rattern in diesen Tagen gelbe Volvo-Bagger, Arbeiter verlegen granitene Gehwegplatten. Auch im Innern diverse Bauarbeiten. In das Obergeschoss ist schon vor einigen Wochen ein neuartiges Forschungszentrum eingezogen, das sich nicht zuletzt mit der verbrecherischen Judenpolitik Quislings befasst. Das Chefzimmer von Prof. Odd-Bjørn Fure ist spartanisch möbliert. Der vitale 62-jährige Gelehrte, der Forschungsaufenthalte in Zürich, Paris und Berlin absolvierte und sich letzten Herbst auf der Berliner OSZE-Konferenz über Antisemitismus zu Wort meldete, sprüht vor Enthusiasmus: »Ja, wir wollten von Anfang an in dieses Haus ziehen. Die Verknüpfung der jüdischen Tragödie in Norwegen mit diesem Haus hat eine unglaublich symbolische Bedeutung. Jetzt wollen wir Kultur und Geist der Villa Grande gleichsam um 180 Grad drehen, das einstige Haus des Bösen in ein Haus mit zivilisatorischer Ausstrahlung verwandeln.«

Bei der Gründung des Zentrums im April 2001 hat die jüdische Gemeinde des Landes Pate gestanden. Als Norwegens Holocaust-Opfer 1997 von der Osloer Regierung 250 Millionen Kronen (rund 80 Millionen Euro) als Entschädigung erhielten, entschieden sie, davon 40 Millionen Kronen als Stiftungskapital für eine besondere aufklärerische Institution zur Verfügung zu stellen. Als dessen »Hauptpfeiler« bezeichnen die Stiftungsdokumente die Erforschung des Holocausts und des alten und neuen Antisemitismus. Zweiter Pfeiler sollen Studien über die anderen religiösen Minoritäten in Norwegen sein.
Die Etablierung des Zentrums ist für Odd-Bjørn Fure »ein riesiger mentalitätsgeschichtlicher und zivilisatorischer Sprung nach vorn, weil der norwegische Holocaust eine lange Zeit außerhalb oder nur am Rande der kollektiven Erinnerung stand«. Er sei tabuisiert worden, weil es für die Norweger lange unvorstellbar war, dass ihre um demokratische Kernwerte wie Eidsvoll-Verfassung, Storting und Menschenrechte zentrierte Gesellschaft »maßgeblich an der Ermordung der jüdischen Bevölkerung des eigenen Landes beteiligt war«. Vom Deportationsbeschluss bis zu ihrer Ablieferung am Kai von Oslo, sei dies »allein das Werk der Norweger« gewesen, urteilt der Forscher. Nun soll eine große Ausstellung in Quislings gespenstischem Hirdsaal und anderen Räumen der Villa Grande über den norwegischen und europäischen Holocaust aufklären, aber auch über die Drangsalierung sowjetischer und jugoslawischer Kriegsgefangener, der Sinti und Roma und aller anderen Opfergruppen. Der Bogen soll dabei bis zu den Genoziden an den Armeniern oder den Sudanesen in Darfur gespannt werden. »Aber der Holocaust«, so Fure, »bleibt im Zentrum der Ausstellung, so wie er im Zentrum der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik stand.«
Wer in den letzten Jahren in Oslo nach Zeugnissen des Holocausts im Land der Fjorde suchte, konnte durchaus fündig werden - in Norges Hjemmefrontmuseum, dem zentralen Museum des Widerstandes in der »Doppelten Batterie« auf der Festung Akershus hoch über dem Hafen der Hauptstadt. Zwischen der Darstellung des Schicksals der 9000 in deutsche KZ verschleppten Norweger und eines Osloer Gestapoverlieses wird in Abteilung 25 an die Judenverfolgung erinnert. 74 norwegische Kinder jüdischer Eltern im Alter von zwei Monaten bis 16 Jahren, heißt es dort, wurden mit anderen Kindern aus ganz Europa in den Gaskammern umgebracht. Aber wer sie aus ihren Wohnungen zerrte und zum Kai karrte, blieb unerwähnt.
Nach jüngsten Forschungen sind insgesamt 762 Juden aus Norwegen vom Osloer Hafen aus mit den Schiffen »Donau«, »Gotenland« und »Monte Rosa« Richtung Auschwitz transportiert worden. »Nur 30 von ihnen haben den Holocaust überlebt«, berichtet der Historiker Prof. Einhart Lorenz von der Universität Oslo. Als die Naziwehrmacht im Zuge des Unternehmens »Weserübung« am 9. April 1940 Norwegen überfiel, lebten etwa 2200 Juden im Fjordland. Etliche von ihnen hatten sich - vor allem im benachbarten Schweden - in Sicherheit bringen können, bevor Quisling drakonische Judengesetze erließ und seine Hirdmenn und die Polizei mit der Menschenjagd beauftragte. Wenn auch einige Polizisten Juden gewarnt haben - eine große Rettungsaktion wie in Dänemark gab es in Norwegen nicht, erläutert Prof. Lorenz, der an der Osloer Universität als erster Wissenschaftler Themen wie die Geschichte der Juden, Antisemitismus und Holocaust aufgriff. Das war auch der Hauptgrund dafür, dass ihn die jüdische Gemeinde als einen ihrer beiden Vertreter - der andere ist der Trondheimer Auschwitz-Überlebende Julius Paltiel - in den Stiftungsvorstand entsandte.
Professor Lorenz ist in Deutschland vor allem als Willy-Brandt- und Exilforscher bekannt geworden, und soeben hat er das von Brandt 1946 in Oslo veröffentlichte Buch »Verbrecher und andere Deutsche« erstmals auf Deutsch herausgegeben. Mit zwei Norwegern beendete Lorenz gerade eine Geschichte des Antisemitismus. Zudem untersucht er derzeit die Sicht des deutschen politischen Exils 1933-1945 auf die jüdische Emigration, wobei er »sowohl in der KPD als auch in der SPD und den Zwischengruppen zum Teil sehr erschreckende antisemitische Stereotype« feststellte. Aber das Wichtigste ist für ihn jetzt die große Ausstellung in der Quisling-Villa, für die er gemeinsam mit mehreren Studenten und Doktoranden neueste Erkenntnisse aufbereitet. Das alles auch mit dem Blick auf eine, wie er meint, zunehmende revisionistische Tendenz, die sich etwa in Veröffentlichungen über die 6000 norwegischen Waffen-SS-Leute zeige, die ja - so die Revisionisten - »auch nur gegen den Bolschewismus kämpfen wollten« und »im Grunde gute Patrioten« seien. Bei vielen jener SS-Leute, konstatiert Lorenz, war der Ausgangspunkt »ein blinder Hass auf die norwegische Arbeiterbewegung, die in deren Augen schon zu drei Vierteln bolschewistisch war«.
Just im Zusammenhang mit jenen 6000 SS-Leuten erregte das bislang noch nicht offiziell eröffnete Holocaustzentrum in den letzten Wochen einiges Aufsehen. Als in einer TV-Sendung im November 2004 dokumentiert wurde, dass Waffen-SS-Einheiten mit norwegischen Angehörigen Massenmorde an Juden begingen, schlug das Zentrum der Regierung eine sofortige Untersuchung vor. Justizminister Odd Einar Dørum stellte fünf Millionen Kronen zur Verfügung.

Ein Kraftzentrum für die Menschenrechte

Die Forscher in der einstigen Quisling-Villa möchten auf mehreren Ebenen in die Gesellschaft wirken. »Wir hoffen, dass wir ein Kraftzentrum für die Menschenrechte, für die Auseinandersetzung mit Rassismus, Antisemitismus und jeglicher Diskriminierung werden«, umreißt Professor Fure diesen Anspruch. »Wir werden uns kräftig gegen gefährliche Tendenzen solcher Art in Norwegen und anderen Weltteilen engagieren«, fügt der Historiker hinzu. Wenn nötig, werde man dabei auch gegen die eigene Regierung Stellung beziehen. Denn das Osloer Zentrum sei im Unterschied etwa zum Washingtoner Holocaust Memorial eine völlig unabhängige Einrichtung. Und nicht zuletzt soll das Zentrum mit seinen 12 Forschern und 15 weiteren Mitarbeitern, mit Dauerausstellung, Archiv und Bibliothek eine lebendige Stätte der Ausbildung und der Information gerade auch für die junge Generation werden.
Das Holocaust-Zentrum in der Quisling-Villa - den Norwegern ist derartige Symbolik keineswegs fremd. Am 24. Oktober 1945 wurde Quisling unterhalb der »Doppelten Batterie« in der Festung Akershus hingerichtet - genau an der Stelle, an der er und seine deutschen Herren 42 norwegische Widerstandskämpfer ermorden ließen. Heute erinnert dort ein Gedenkstein mit der schlichten Aufschrift »Sie kämpften. Sie fielen. Sie gaben uns alles« an jene dunklen Tage.
Ein Busfahrer aus dem mittelnorwegischen Røros nutzt eine Pause, um einen Blick in die Gedenkstätte zu werfen. Seine Familie war nicht unmittelbar am Widerstand beteiligt, erzählt er. Aber das sei schließlich ein wichtiger Teil norwegischer Geschichte. Sorgen macht er sich um das Wissen der Jungen darüber. Wenig später ein Lichtblick: Eine Schulklasse drängt in das Museum. Und bald können Norwegens K...

Wenn Sie ein Abo haben, loggen Sie sich ein:

Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.

Bitte aktivieren Sie Cookies, um sich einloggen zu können.