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  • Politik
  • Ursula Höntsch läßt Mutter Hönow sprechen

Unschlagbar

  • Waltraud Jähnichen
  • Lesedauer: 3 Min.

jL uguste Hönow ist ein Original wie ZA es im Buche steht. Das ist wörtlich ?*? ^-zü nehmen; denn Ursula Höntsch hat ihr 166 Geschichten »angedichtet« die längste knapp zwei Seiten, die kürzeste vier Zeilen. Eine Leistung, die zu bewundern ist. Jedes Wort, jede Pointe sitzt wie im politischen Kabarett, mal mehr, mal weniger scharfsinnig, aber immer zupackend. 40 Jahre DDR und die Wendezeit liefern den Stoff. Der »gelernte« DDR-Bürger hält eine Art Lebensfibel in der Hand, die übrigens auch allen ehrlich interessierten Altbundesländlern zu empfehlen ist.

Allein die wohl überlegten Überschriften kennzeichnen durchschrittene und durchlittene Stationen des »real existierenden Sozialismus«. Das Besondere an diesem Buch ist, daß es trotz der problematischen Wirklichkeit weder bitter noch bissig ist, weder sarkastisch noch feindselig, sondern heiter und humorvoll, was bekanntlich schwer zu machen ist. Es zeichnet die Ereignisse nach, ohne sie zu verzeichnen, es listet alltägliche Begebenheiten auf und enthüllt hinter ihnen die tieferen Wahrheiten. Das bereitet Vergnügen und gelingt Ursula Höntsch durch die List ihre Hauptgestalt, die schon damals über vieles lachen konnte und so ihre Schutzhaltung fand.

Als vertriebene Schlesierin schlägt sich Mutter Hönow rechtschaffen und schwer mit ihrer Familie durchs Leben. Resolut, bauernschlau, hartnäckig, pfiffig, mutig, witzig, auch gespielt naiv, legt sie sich mit jedermann an, wenn sie Unlogik und Ungerechtigkeit wittert. Ihr liebstes Opfer ist Heinrich Krüger, der Emmendorfer Parteisekretär und spätere Bürgermeister, der für die neue Ordnung sein Bestes

zu geben sucht. Er müht sich redlich um die marxistische Aufklärung der Bürgerin H. Zusammen sind sie ein wunderbares Dialoggespann. Aber Mutter Hönow will von Dialektik rein gar nichts wissen, schon das Wort ist ihr verdächtig. Dennoch findet ihr gesunder Menschenverstand stets verblüffend schnell die zweite Seite einer Medaille heraus, aber ganz anders »dialektisch«, als Krüger es erwartet. Oft muß er sich nach ihren Disputen erst wieder auf »Linie« bringen, Parteilinie versteht sich.

Mutter Hönow ist vergleichbar einer »Mutter Wolfen«, aber sie ist nicht nur auf die Versorgung der eigenen Brut aus, sie hat sozialdemokratische Ideale! Sie ist für Krüger auch deshalb eine zu achtende Person- und überhaupt - ihre Meinung ist ihm wichtig, weil sie Volkes Stimme ist,''seine Putzfrau und er ihr Chef auf dem Gemeindeamt. Dieses gleichberechtigte Verhältnis hat - ob man will oder nicht - etwas mit dem Arbeiter- und Bauernstaat zu tun und den beiden Persönlichkeiten, die sich gegenseitig politisch und menschlich schätzen, weil sie letztlich das gleiche wollen: soziale Gerechtigkeit für alle.

Danach hält Auguste Hönow auch bei den neuen Herren aus dem Westen Ausschau, und die müssen feststellen: Eine von ihrem Schlag ist selbst in der DDR, wo es angeblich nur »Angepaßte« gab, keine Opportunistin geworden. Ihr kritischer, unbestechlicher Geist ist nicht totzukriegen oder zu verbiegen, weder mit Geld noch Gut. »Nu joa«, würde sie im schlesischen Dialekt zu ihrer Tochter sagen, »su ies doas hoalt amoal bei mier, Marjandla«.

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