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Wenn die Seele »Fieber« hat
Eine schwere bakterielle Entzündung ist für den Körper eine Notsituation, auf die er gewöhnlich mit Fieber reagiert. Fieber ist ein Zustand, keine Krankheit. Gerät ein Mensch psychisch in eine Ausnahmesituation, kann er - ähnlich dem Fieber - in einen psychotischen Zustand fallen, in dem Wahrnehmung, Denken, Fühlen und Bewegung schwer verändert sind. Während ein Fieberzustand jedoch als normal gilt, tun wir uns beim Akzeptieren einer Psychose immer noch schwer, obwohl sie jeden treffen kann.
In Deutschland sind rund 800000 Menschen von Psychosen betroffen. Nach derzeitigem Wissensstand treten psychotische Störungen durch das Zusammenwirken von angeborenen oder erworbenen Stoffwechselerkrankungen im Gehirn und äußeren, fordernden Lebensbedingungen (Stress) auf, für die momentane Bewältigungsstrategien nicht ausreichen. Drogenkonsum gilt ebenfalls als Risikofaktor. Häufig wird eine Psychose zunächst als Depression erkannt. Das Alter beim ersten Ausbruch der Krankheit liegt zumeist zwischen dem 18. und 35. Lebensjahr - das heißt, häufig sind Jugendliche und junge Erwachsene von Psychosen betroffen. In dieser Gruppe kommen sie bei drei von 100Menschen vor, häufiger als zum Beispiel ein Diabetes. Weil junge Menschen oft mit sozialem Rückzug und Abbruch der Ausbildung auf die Belastungen reagieren, wird heute eine frühe Erkennung und Behandlung angestrebt. Dabei gilt: Je früher eine Psychose erkannt wird, umso besser ist sie behandelbar. Doch wie erkennt man eine psychotische Störung? »Zunächst sollten Eltern, Lehrer, Erzieher und Ärzte wachsam sein, wenn sie merken, dass sich ein Jugendlicher sozial zurückzieht, ständig innerlich angespannt wirkt und seine Leistungen zurück gehen«, sagt Prof. Martin Hambrecht vom Evangelischen Krankenhaus Darmstadt. Und die jungen Menschen selbst sollten sich aufmerksam beobachten, wenn sich ihr Erleben verändert und alles irgendwie anders zu werden droht, die Wahrnehmung im Wortsinn verrückt ist. Da dies allenfalls aber eher unspezifische Hinweise auf eine beginnende Psychose sind, die obendrein den normalen Pubertäts-Turbulenzen sehr ähneln, lassen sie sich für ein effektives Früherkennungsprogramm kaum verwenden. Als spezifisch gelten folgende Symptome: Die Tendenz, Dinge auf sich zu beziehen; Gefühle von Unwirklichkeit (»Alles wie im Film«, »Wie durch einen Schleier sehen«); optische oder akustische Wahrnehmungsveränderungen (»verzerrt sehen«, »alles lauter«); Gedankenblockaden; Gefühle, von anderen beobachtet und kontrolliert zu werden. Vor diesem Hintergrund sind in den letzten Jahren an deutschen Universitätskliniken wie Köln, Bonn, Hamburg, Berlin, Münster, München und Homburg eine Reihe spezialisierter Früherkennungs- und Behandlungszentren entstanden. Dort will man herausfinden, welche Vorboten-Symptome bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen unmissverständliche Hinweise auf die schleichende Erkrankung bieten. Denn bis zum erstmaligen Auftreten einer Psychose vergehen oft bis zu fünf Jahre. Rechnet man dann noch zwei Jahre für die zumeist unbehandelte Erstepisode dazu, ergibt sich eine Zeitspanne, die bereits gut für die Behandlung hätte genutzt werden können. Leider suchten behandlungsbedürftige Patienten erst dann professionelle Hilfe, wenn Arbeitsplatzverlust, soziale Isolation oder Partnerprobleme vorangegangen seien, so Thomas Wobrock, Leiter des Homburger Früherkennungszentrums. Bei früherer Diagnosestellung und adäquater medikamentöser, psychologischer und psychosozialer Behandlung ließe sich manches Lebensschicksal günstiger beeinflussen und ständig wiederkehrende Krankenhausaufenthalte im chronischen Stadium vermeiden. Mit differenzierten neuropsychologischen Testverfahren werden die Patienten auf Konzentrationsfähigkeit, Aufmerksamkeit und Gedächtnis geprüft. Daneben ist das persönliche Gespräch ein wesentliches Instrument der Diagnose. »Medikamente sind ein wichtiger Baustein in der Therapie psychotischer Störungen und ermöglichen es dem Patienten, sein Leben wieder zu ordnen und selbst in den Griff zu bekommen«, sagt Wobrock. Die dabei zum Einsatz kommenden Neuroleptika würden dabei helfen, Apathie, Antriebsverlust und emotionale Teilnahmslosigkeit zu verringern. Oft eröffneten sie erst den Zugang zu einer Psychotherapie. Da diese Medikamente aber auch unerwünschte Nebenwirkungen haben können, müssen ...Zum Weiterlesen gibt es folgende Möglichkeiten:
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