Volkssturm besoffen, Luckenwalde befreit

Broschüre über das Jahr 1945, die Zeit davor und danach im heutigen Kreis Teltow-Fläming

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.
Luckenwalde überstand den Zweiten Weltkrieg unzerstört. Warum? Eine Version liefert Dieter Noeske in einer lesenswerten Broschüre der PDS Teltow-Fläming, in der zum Jahrestag der Befreiung Ereignisse in der Region festgehalten sind: In einem Brauereikeller lagerten 20000 Flaschen Schnaps, mit denen die Faschisten dereinst ihren Endsieg feiern wollten. Am 21. April 1945- wer den Krieg gewinnt, war inzwischen klar- ließ Besitzer Fritz Steinberg die Chefs des Volkssturms an die Schnapsvorräte heran. »Die militarisierten Volksgenossen waren umgehend so blau, dass sie Kimme und Korn nicht mehr unterscheiden konnten«, schreibt Noeske. Die sowjetischen Truppen seien fast kampflos in die Stadt eingerückt. Lothar Schreiber erinnert an die Angst der Kinder, als die Rote Armee in Jüterbog einrückte. Von »kinderfressenden roten Horden« log die Nazi-Propaganda ihnen vor. Doch der erste sowjetische Soldat, den Schreiber sah, rief nur »Gitler kaputt« und stiefelte sofort wieder über die Treppe aus dem Keller. Draußen auf dem Hof versorgte die Feldküche die Kinder schließlich mit Kascha und Brot. Es sind solche kleinen Geschichten, die das Bändchen wertvoll machen. Da sieht man gern hinweg über den politisch korrekten, aber sperrigen Titel: »Wir erinnern, wir mahnen, wir sind verpflichtet.« Was die Abhandlung über das Potsdamer Abkommen in einer Publikation zu suchen hat, in der sonst nur Beiträge mit regionalem Bezug versammelt sind, bleibt unklar. Aber das sind Kleinigkeiten. Fleißig arbeiteten die Heimatforscher. Sie wälzten Literatur, stöberten in Archiven, befragten Zeitzeugen oder schrieben ihre eigenen Erinnerungen auf. Verdienstvoll ist der Versuch, angesichts heute leider üblicher Bezeichnungen wie »Niederlage« oder »Zusammenbruch« gegen den Strom zu schwimmen und die Befreiung als Befreiung zu schildern- und das, ohne selbst einseitig zu werten. Erwähnt sind einzelne Vergehen sowjetischer Soldaten an der deutschen Zivilbevölkerung, aber zum Beispiel auch die Bemühungen des Stadtkommandanten Major Scharowarow, die Stromversorgung in Dahme wieder in Gang zu bringen. Die Broschüre beginnt mit den Biografien der KZ-Häftlinge Wilhelm Riemann (KPD) aus Thyrow und Karl Schlombach (SPD) aus Teltow. Beide überlebten nicht die Nazizeit. Es folgen Zeilen zum Hachschara-Landwerk in Ahrensdorf, wo sich jüdische Jungen und Mädchen von 1936 bis 1941 auf die Emigration nach Palästina vorbereiteten. Von 302 Jugendlichen kamen jedoch nur 137 dort an. Gleich zwei Beiträge setzen sich mit dem Kriegsgefangenenlager »Stalag III A« in Luckenwalde auseinander. Zu den Insassen gehörte zeitweilig Stalins Sohn, Hauptmann Jakub Dshugaschwili. Themen sind das Krankenhaus und das Straflager für Zwangsarbeiter in Mahlow bzw. Großbeeren sowie die Kesselschlacht von Halbe. Doch den Schlusspunkt setzen die Autoren nicht mit dem 8. Mai 1945 und nicht einmal mit dem Abzug der GUS-Truppen aus Deutschland 1994. Gertraude Schenk berichtet, was Luckenwaldes »Gesellschaft zum Studium der russischen Kultur« ab 1947 auf die Beine stellte. Ingrid Köbke interviewt Ursula Ostermann, die 1946 einen Neulehrer-Kurs in Jüterbog absolvierte und danach in Luckenwalde unterrichtete. Oberst Rumjanzew, einst leitender Ingenieur des Militärwerkes in Luckenwalde, beklagt, dass auch zehn Jahre nach dem Truppenabzug in Russland ...

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