Lernen am schlimmsten aller Hetzfilme
»Jud Süß« für Schüler: Ein Unterrichtsprojekt zum Antisemitismus sorgt für Debatten
»Jud Süß« gilt als übelster Hetzfilm aller Zeiten. In Dresden sollen Schüler ausgerechnet anhand des NS-Streifens lernen, wie antisemitische Propaganda wirkt. Das Vorhaben funktioniert, löst aber auch Streit aus.
Die Warnung könnte kaum deutlicher sein. Der Streifen, der gleich über die Leinwand flimmern werde, sei ein »Giftschrankfilm«, sagt Manfred Rüsel: »Wer den zu Hause auf Video schaut, gilt als Verfassungsfeind.« Die Elftklässler im Saal raunen. Sie sehen einen Film, dessen Betrachtung ein Bundesgericht 1964 als Straftat eingestuft hat. Der NS-Streifen »Jud Süß«, so Rüsel, ist einer der »übelsten antisemitischen Hetzfilm aller Zeiten«. Gehört solche Hetze in den Unterricht? Unter bestimmten Bedingungen, sagt Rüsel. In exemplarischer Weise zeige der Film, »wie Ideologisierung über das Massenmedium Film in der Nazizeit funktionierte«. Der 1940 von Veit Harlan gedrehte Streifen sei »ein absoluter Kassenschlager« gewesen, mit Akteuren vom Kaliber eines »Brad Pitt der damaligen Zeit« und höheren Zuschauerzahlen als »Titanic«. Der Film habe unterhalten, »gleichzeitig aber NS-Ideologie verbreitet«. Diese im Film beispielhaft umgesetzte Goebbels-Strategie der »indirekten Propaganda« hat an Wirksamkeit nur bedingt eingebüßt: »Wer nicht neutral ist, könnte auf falsche Gedanken kommen«, sagt eine Gymnasiastin nach dem Film. Auch deshalb sind Veranstaltungen wie im Dresdner »Schulkino« nicht die Regel. Aufführungen von »Jud Süß« sind nur mit fachkundiger Einordnung und Diskussion zulässig, sagt Rüsel. Im Unterricht wird der Film erst seit den 80er Jahren eingesetzt. Viele nutzen seither diese Möglichkeit, am konkreten Beispiel über den Antisemitismus in der NS-Ideologie zu diskutieren: Jährlich 50 Aufführungen deckten die Nachfrage nicht annähernd. Darüber, ob politische Bildung anhand dieses Extrembeispiels sinnvoll und ratsam ist, gehen die Meinungen auseinander. Wegen der Aufführung von »Jud Süß« wurde in Dresden Strafanzeige erstattet - zum ersten Mal überhaupt, sagt Rüsel, der betont, die Vorführpraxis sei mit jüdischen Verbänden abgestimmt. Vorbehalte gibt es indes. Zur Auseinandersetzung mit dem »komplexen Phänomen« Antisemitismus sei es nicht nötig, Filme wie »Jud Süß« zu zeigen, sagt Nora Goldenbogen vom jüdischen Kulturverein »Hatikva« Dresden. Sie befürchtet, die Aufführungen könnten »eher etwas kaputtmachen als ihre Absicht zu erreichen«. Beim »Schulkino«, das den Film auch während einer Lehrerfortbildung zeigte, wird die Befürchtung nicht geteilt. Der Film ist Teil einer Schwerpunktreihe zum Rechtsextremismus, sagt Mitbetreiber Nils Behr: »Wir wollen Akzente setzen.« So stellt sich die NPD in Sachsen offen in die NS-Tradition und knüpft dabei an antisemitische Denkweisen an. Sie verlangt, Gelder für jüdische Einrichtungen zu streichen - mit der perfiden Begründung, Juden seien heute eine Minderheit. Gefördert werden soll stattdessen »nationale« Jugendkultur. Der Gegensatz von deutscher Kultur und vermeintlicher jüdischer »Unkultur« prägt auch »Jud Süß« - in aus heutiger Sicht allzu offenkundiger Absicht. »Juden werden böse dargestellt und als schmierige Machos, die alle Frauen anmachen«, meint ein Schüler, der das übertrieben findet. Indes zeigen nicht nur Umfragen, dass sich antisemitische Klischees hartnäckig halten und teilweise nicht als problematisch empfunden werden. Im Film »Spiderman II« wurde ein geldgieriger Vermieter mit ähnlichen Attributen ausgestattet wie Juden in NS-Propagandafilmen. Unlautere Absicht sei das nicht, glaubt ein Gymnasiast: Der Regisseur habe ein Stereotyp besetzen wollen, und »die Klischees über Juden sind eben bekannt«, sagt er. Allerdings könne derlei negative Typisierung katastrophale Folgen haben, sagt Manfred Rüsel, zumal, wenn sie in einem »Blockbuster« wie »Jud Süß« erfolge und von umfassender Propaganda flankiert werde. Filmvorführungen nach 1940 seien nicht nur in Plünderung und Zerstörung jüdischer Geschäfte gemündet. Der Film sei auch Wachmannschaften in Todeslagern gezeigt worden, um »die Hemmschwelle zu senken«. Es sei immer ein »Problem, wenn alle schlechten Eigenschaften auf eine Gruppe bezogen würden«, sagt ein Schüler. Muster, wie sie NS-Propagandafilme nutzten, wirkten aber weiter: »In Hollywood sind jetzt die Marines die Guten und alle Afghanen die Bösen.« Auch deutsche Medien erwähnten in Berichten über Straftaten auffällig oft die Nationalität des Täters, wenn dieser Ausländer sei, sagt ein Gymnasiast: »Mit Feindbildern kann man eben wunderbar arbeiten.« Als unangenehm empfunden wird das oft nur dann, wenn man selbst betroffen ist. »Was würdest Du erwidern, wenn ich sagte: Alle Katholiken raus?«, fragt Rüsel...Zum Weiterlesen gibt es folgende Möglichkeiten:
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