Ein Bürgermeister steuert den Bürgerbus

Im brandenburgischen Gransee arbeiten die Fahrer der Linie 835 ehrenamtlich

  • Kerstin Petrat
  • Lesedauer: ca. 6.5 Min.
Eine Hauptstraße, an deren Seiten kleine Häuser und Gehöfte wie Perlen auf einer Schnur liegen. Bellende Hunde im Garten, ein paar Hühner, Ziegen, ein Pferd. Menschen? Die Dörfer rund um Gransee sind gespenstisch leer am Vormittag. Ein Mann führt einen Bernhardiner Gassi, eine Frau schippt auf dem Bürgersteig Erde in eine Schubkarre. Simone Reiffler düst an ihnen vorbei mit der Buslinie 835 von Gransee über die Ortschaften Schönermark, Sonnenberg, Schulzendorf, Rönnebeck, Keller, Meseberg und zurück nach Gransee. Einige der Dörfer sind Ortsteile der Stadt Gransee.

Die Buslinie verkehrt seit dem 4. April mit ehrenamtlichen Fahrern, die unrentable Strecken am Leben erhalten sollen. Das Modell nennt sich Bürgerbus und die Idee kommt aus Großbritannien. In den alten Bundesländern fahren Ehrenamtler seit Jahrzehnten Bürgerbusse, es gibt rund 100 Vereine. Im nordbrandenburgischen Gransee verkehrt der erste Bürgerbus Ostdeutschlands.

Jeder vierte arbeitslos
Simone Reiffler ist 38 Jahre alt und seit über einem Jahr arbeitslos. »Zu Hause rumsitzen liegt mir nicht«, erklärt sie. In Gransee hat fast jeder vierte keinen Job. In den umliegenden Dörfern, berichtet Rüdiger Ungewiß, seien bis zu 70 Prozent der Leute arbeitslos. Auch Ungewiß. Seit 1998 ist der gelernte Maschinenbauingenieur ehrenamtlicher Ortsbürgermeister von Dannenwalde. Er gehört zur Wählergemeinschaft »Granseer Land« und ist Mitglied mehrerer Vereine. Im Verein Bürgerbus Gransee koordiniert er die ehrenamtlichen Fahrer und steuert das Auto auch selbst.
Gerd Bretschneider ist Geschäftsführer des Deutschen Roten Kreuz in Gransee. Er ist auch Geschäftsführer im Verein Bürgerbus Gransee. Dort kümmert er sich um den Papierkram, schlägt sich mit Behörden rum. Der 54-Jährige kam nach der Wende aus dem Westen. »Es werden keinem Jobs weggenommen« ist sein erster Gedanke zu den ehrenamtlichen Busfahrern. »Das ist eine soziale Leistung: Viele Leute sind bereit, ihre Freizeit dafür zu opfern«, fällt ihm noch ein.
Es gibt Ortsteile in der Region, da fährt kein Bus mehr hin. Andererseits werden zurzeit Gasleitungen in die entlegensten Dörfer verlegt. »Das ist ein wahnsinnsgefährliches Spiel in einem rückläufigen Markt«, warnt Bretschneider. Eine neue Piste schließt Meseberg an die Bundesstraße96 an. Das Wasserwerk in Gransee ist zwar zu 90 Prozent ausgelastet, aber damit das einzige rentable weit und breit.
»Wir rechnen in den nächsten Jahren mit einem Bevölkerungsrückgang um 15 Prozent, vor allem jüngere Leute ziehen weg«, sagt Bretschneider. Bleiben die Alten und die Armen. Brauchen die neue Landstraßen- Straßen, auf denen kein Bus mehr fährt? Derweil bricht anderes weg. Es gibt keine Kneipen, kaum Tante-Emma-Läden und vor vielen Jahren hat die Oberhavel Verkehrsgesellschaft (OVG) die Buslinie 835 eingestellt.
Lieferwagen mit teurem Fleisch, Gemüse und Backwaren fahren regelmäßig über die Dörfer. Ungewiß erinnert sich, dass früher auch mal einer mit Kühlwaren gekommen ist. Nach einem Unfall hat sich sein Geschäft nicht mehr gerechnet. Wer Butter oder Käse braucht, muss jetzt in die Stadt.
Der Weg dorthin ist beschwerlich. Seit die unwirtschaftliche Linie 835 gesperrt wurde, gab es als Trost den so genannten RufBus. Wer da mitwollte, musste 90 Minuten vor Abfahrt anrufen, damit der Bus vorbeikommt. In den Schulbus durfte man auch einsteigen. Der nimmt dieselbe Strecke, fährt allerdings nur vormittags und nachmittags und nicht in den Ferien. Wer frühmorgens mit dem Schulbus zum Einkaufen fuhr, musste danach schon mal drei Stunden auf den Bus zurück in sein Dorf warten. Bewährt hat sich auch die Nachbarschaftshilfe. Aber nicht alle kennen jemanden, der so freundlich ist und sie kutschiert.

Republik der Ehrenamtler
Ungewiß weiß von einer älteren Frau, deren in der Nachbarschaft lebender Hausarzt verstorben war. Wegen der beschriebenen Schwierigkeiten, in die Stadt zu gelangen und dort einen Arzt aufzusuchen, blieb die Frau in ihrem Dorf und nahm auch keine Medikamente. Sie ist gestorben. »Das hätte nicht sein müssen«, sagt Ungewiß und schaut sehr betroffen.
Dabei garantieren Grundgesetz und Landesverfassung den Bürgern Mobilität, wie die PDS-Landtagsabgeordnete Anita Tack erläutert. Der Staat sei verantwortlich und deshalb löse der Bürgerbus bei ihr keine Begeisterungsstürme aus, macht die Politikerin klar, die auch Präsidentin der Landesverkehrswacht ist. »Wir werden langsam eine Republik der Ehrenamtler«, klagt sie.
Die Sache mit dem Bürgerbus sei aus der Not heraus geboren, so erklärt es Ungewiß. »Die Fahrer machen das, um jemandem helfen zu können, nicht um ihre Langeweile zu überbrücken.« Von zehn Fahrern sind drei arbeitslos, drei Rentner und vier übernehmen den Fahrdienst vor oder nach der Arbeit oder schieben ihn in ihrer Mittagspause. Drei helfen zusätzlich noch mit der freiwilligen Feuerwehr.
So engagiert sind auf den Dörfern längst nicht alle. »Die einen machen was von sich aus, die anderen meckern, dass nichts gemacht wird«, erzählt Reiffler. Die vierfache Mutter und gelernte Schuhverkäuferin wagte schon drei Mal den Schritt in die Selbstständigkeit: Mit einem Fuhrbetrieb, einem Brötchenservice und einer Gaststätte. Das letzte Projekt platzte schon vor der Eröffnung, die anderen rentierten sich nicht. Zwischendurch arbeitete Reiffler als Aushilfe in einer Krippe.
Dass sich der Linienbus für die OVG nicht mehr lohnte, findet Reiffler traurig. »Das kommt, weil keine Arbeit da ist. Die jungen Leute ziehen weg und es ist keiner mehr da, der zur Arbeit fahren muss.« Ganz stimmt das nicht: An diesem Vormittag steigt eine junge Frau in Gransee ein. Sie fährt von der Arbeit nach Hause nach Rönnebeck. »Vorher mussten mich meine Eltern mit dem Auto abholen«, sagt die Frau. Schon wegen der Benzinpreise ist sie froh, dass es nun den Bürgerbus gibt. Außerdem steigt noch ein älteres Ehepaar ein, das in Gransee beim Arzt war und jetzt zurück nach Schulzendorf will. »Man kommt jetzt gut nach Hause«, lobt die Gattin. Außer den drei Leuten fährt in dieser Runde keiner mit. An den Markttagen- dienstags und freitags- ist es voller.
Die Landschaft, durch die Reiffler den Wagen lenkt, sieht aus wie aus einem Reiseführer: Alleenstraßen, von Bäumen romantisch eingerahmte Seen, Schloss Meseberg, das als Gästehaus der Bundesregierung dient, und blühende Rapsfelder.
Da müssten doch Touristen anzulocken sein, denkt auch Ungewiß. Der 56-Jährige möchte Leute in die Gegend holen, die ein bisschen Geld dalassen sollen. Dafür tun die Dannenwalder einiges: Der Bahnhofsverein organisiert Wanderstrecken für Fußgänger und Radfahrer. Vor Weihnachten gibt es ein so genanntes Christbaumschlagen. Der Verein »Kirche am Weg« sorgt dafür, dass in der Dorfkirche Konzerte stattfinden und Kunst gezeigt wird. Zur Zeit erinnert eine Ausstellung an das KZ Ravensbrück. Angefangen haben die Dannenwalder damit nur, um ihren Bahnhof zu erhalten. Der sollte nämlich geschlossen werden, weil dort zu wenig Fahrgäste ein- und ausstiegen- also ein ähnliches Problem wie mit der Buslinie 835. Vor der Entscheidung über eine Bahnhofsschließung mussten die Schaffner jeden einzelnen Fahrgast zählen. Die Dannenwalder schafften es mit Konzerten und Weihnachtsbäumen, dass Berliner in ihr Bahnhofsgebäude kamen und mitgezählt wurden. Schließlich soll sogar der Amtsvorgänger von Bahnchef Hartmut Mehdorn inkognito gekommen und begeistert gewesen sein. Das Ergebnis: Bis jetzt hält am Bahnhof Dannenwalde stündlich ein Regionalexpress.

Freiwillige gesucht
Mit Werbezetteln sucht der Bürgerbusverein Gransee nach weiteren Fahrern. Die Bewerber sollten zwischen 21 und 69 Jahre alt sein und den Führerschein Klasse B besitzen. Die 46 Euro, die die Fahrerlaubnis für die Personenbeförderung von bis zu acht Personen kostet, übernimmt die Oberhavel Verkehrsgesellschaft. Die OVG bezahlt auch das Benzin. Den Kleinbus stellte das Brandenburger Infrastrukturministerium.
Gerd Bretschneider wartet auf die Anrufe Freiwilliger. Er könnte doppelt so viele Fahrer gebrauchen, wie er jetzt schon hat. Wie oft die Fahrer eingesetzt werden, sei deren eigene Entscheidung, versichert der Verein. Man müsse gar nichts. Was sein muss, ist eine regelmäßige Busverbindung, damit die Menschen zum Arzt oder zum Markt gelangen. Gegenden, in denen sich Linienbusse für die Verkehrsunternehmen nicht mehr rechnen, gibt es viele. Weitere märkische Landkreise sind interessiert am Modell Bürgerbus. Der Granseer Bürgerbus ist der erste in Ostdeutschland, er wird jedoch vermutlich nicht lange allein bleiben.

Bürgerbusverein, T...

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