Credo, quia absurdum, sagte Tertullian
Marxismus und Glaube? - Ein historischer Exkurs
Am Sonntag endet der 30. Kirchentag in Hannover. Interessiert das Marxisten? Gewiss haben Genossen gebannt die Papstwahl verfolgt, auch lässt sie nicht unberührt, wie im Namen Gottes neue Kreuzzüge geführt werden. Und sind Marxisten nicht auch gläubig? Ein historischer Exkurs:
Dem Marxismus wird in seinem Verhältnis zum Glauben zweierlei angekreidet. Einmal wird ihm vorgeworfen, dass er eine Quasi-Religion gewesen oder jedenfalls geworden sei. Beispielhaft sei nur verwiesen auf das Anfang der 50er Jahre erschienene Buch »Ein Gott, der keiner war« mit Erinnerungen dreier »Aktivisten«: Arthur Koestler, Ignazio Silone und Richard Wright. Zum anderen wird der Vorwurf erhoben, dass er allzu sehr auf die Wissenschaft gesetzt habe, Kategorien wie Glaube und Hoffnung nicht existierten. Genannt seien nur die Kritik Max Adlers in seiner Rezension von Karl Kautskys »Der Ursprung des Christentums« von 1909 sowie die Position der »ethischen Sozialisten«. Marxisten stehen in der Tradition der Religionskritik der Aufklärung und von Marx und Engels. Deren Bezugspunkt waren die drei großen Offenbarungsreligionen, das Judentum, das Christentum und der Islam, die in einem engen Zusammenhang und zugleich in immer wieder auf Ausschließlichkeitsansprüche der jeweiligen Offenbarung gestützten bitterem Kampf standen. Hans Küng, entschiedener katholischer Kritiker der päpstlichen Kurie, hat ihnen eine dreibändige Analyse gewidmet. Die Aussagen etwa der Bibel über Paradies und Sündenfall seien, wie Küng schreibt, keine historischen Berichte, sondern »eine poetisch eingekleidete religiöse Botschaft«. Selbst der Koran war erst 22 Jahre nach der Offenbarung vollendet. Für den Atheisten ist das alles Menschenwerk, für Küng vieles. Dennoch hält er am Offenbarungscharakter aller drei Religionen fest. Sie sind ohne Transzendenz, Herkunft von Gott, nicht denkbar. Religiöser Glaube ist Gewissheit einer offenbarten Wahrheit, unerschütterliches Vertrauen auf Gott. Daraus ergibt sich eine Überordnung der geoffenbarten Wahrheit gegenüber der menschlichen Vernunft. Das hatte schon der 225 n.Chr. verstorbene Tertullian erkannt: »Credo, quia absurdum.« Ich glaube, weil es absurd ist. Eine entscheidende Veränderung vollzog sich durch die Verbindung mit dem Staat. Am krassesten war der Bruch im Christentum. »Der Kaiser (Konstantin) wurde Christ und bleibt Kaiser«, bemerkte Helmut Gollwitzer. Dasselbe gilt für die lutherische Reformation, die sich in eine Fürstenreformation wandelte. Die enge Verbindung mit dem Staat, mit den Herrschenden hat deshalb immer wieder Ketzerbewegungen ausgelöst, die sich auf die ursprünglichen Lehren beriefen. Den grandiosen Auftakt der modernen Religionskritik bildete die Aufklärung, die ihren materialistischen Höhepunkt in Frankreich, ihren idealistischen in Deutschland erreichte. Die französischen Materialisten richteten den Hauptstoß gegen Kirche und Religion. Ihre glanzvollsten Vertreter waren in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Voltaire, dAlembert, Diderot, Helvétius, dHolbach. Die 28 Bände der großartigen Encyclopédie hatten »die Köpfen für die kommende Revolution« geklärt, so Engels. Waren die französischen Materialisten kampflustig und sogar heiter, so war die deutsche idealistische Aufklärung gründlich. Kant widmete der »Kritik der reinen Vernunft« fast zehn Jahre. In seiner Revolution der Erkenntnistheorie wurde die Unterscheidung von Wissen und Glauben konsequent durchgeführt und so der Unterordnung des Wissens unter den Glauben der Boden entzogen. Es sei unmöglich, die Unsterblichkeit der Seele, die Notwendigkeit eines ersten Weltanfanges, ja die Existenz Gottes zu beweisen, da alles dies jenseits der Grenzen der möglichen Erfahrung liege. Es bliebe nur die subjektive Gewissheit. Auf dieser Grundlage trennte Kant dann auch wissenschaftliche Erkenntnis und Moral. Deren kategorischer Imperativ lautete »Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.« Die umstürzende Bedeutung dieses Werks - trotz des »so grauen, trocknen Packpapierstils« - hat kein Geringerer als Heinrich Heine 1834 in seiner »Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland« erkannt. Kant, »dieser große Zerstörer im Reiche der Gedanken« habe »an Terrorismus den Maximilian Robespierre weit« übertroffen. Er habe »den Himmel gestürmt,... die ganze Besatzung über die Klinge springen lassen, der Oberherr der Welt schwimmt unbewiesen in seinem Blute«. Allerdings habe er dann doch für die praktische Vernunft Gott wieder zugelassen, vielleicht auch der Polizei wegen. Karl Marx gehörte zunächst zu den jungen Linkshegelianern, bei denen die Religionskritik im Mittelpunkt stand. Die praktischen Erfahrungen als leitender Redakteur der »Rheinischen Zeitung« radikalisierten seine Kritik der deutschen Zustände. 1844 schrieb er: »Für Deutschland ist die Kritik der Religion im wesentlichen beendigt.« Das religiöse Elend sei »in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend«, sei »das Opium des Volks«. Marx forderte die positive Aufhebung der Religion. »Die Kritik der Religion«, schrieb er in Anknüpfung und Konkretisierung von Kant, »endet mit der Lehre, daß der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei, also mit dem kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist«. Und Engels vermerkt in seinen Notizen zum Anti-Dühring: »Erst die wirkliche Erkenntnis der Naturkräfte vertreibt die Götter oder den Gott aus einer Position nach der andern.« Dieser Prozess sei jetzt so gut wie abgeschlossen. Marx und Engels waren Atheisten und überschätzten das in Bezug auf Atheismus schon Erreichte. Sie sahen aber in ihm keinen Kernbestand ihrer Weltsicht. Sie räumten ein, dass die Religion zeitweise Mittel des Protestes war und progressive Bewegungen auslöste. Eine große Zukunftsperspektive gestanden sie ihr nicht zu. Wie in der Geschichte der Religion, so bildete auch in der Geschichte des Marxismus die Verbindung mit dem Staat eine Wasserscheide. Sie vollzog sich erstmals in Russland 1917. Lenin hatte die Grundeinschätzungen der Religion von Marx und Engels übernommen, aber den Trennungsstrich entschiedener gezogen. Es gibt bei ihm keinen Bezug zu progressiven Seiten der Religion oder zu ihrer positiven Aufhebung. Eine Ursache hierfür war der Charakter der russischen orthodoxen Kirche; in Russland blieben Dogma, Liturgie, Theologie, Disziplin und Frömmigkeit byzantinisch geprägt. Es gab keine ketzerische Bewegung, zu den Anfängen zurückzukehren, keine Reformation. Die orthodoxe Kirche erschien mit Adel, Armee und Polizei als Garantin und Stütze des zaristischen Regimes, so Küng. 1895 schrieb Lenin, man müsse »Sombarts Behauptung als richtig anerkennen, daß es im ganzen Marxismus von vorn bis hinten auch nicht ein Gran Ethik gäbe«. 25 Jahre später lehnte er in seiner Rede »Die Aufgaben der Jugendverbände« die Ableitung der Sittlichkeit aus Gottes Geboten ab. »Sittlich ist, was der Zerstörung der alten Ausbeutergesellschaft und dem Zusammenschluß aller Werktätigen um das Proletariat dient, das eine neue, die kommunistische Gesellschaft aufbaut.« Die von den Religionen aufgeworfenen Fragen, auch zum Platz des Gewissens, werden mitsamt der Religion verworfen. Durch dogmatisierten Gesetzesglauben wurde die Geschichte in einen insgesamt »naturgesetzlichen« Prozess verwandelt, was den Siegeswillen stärkt, aber die Verarbeitung von Niederlagen erschwert, wie wir nach 1989 schmerzlich erfahren haben. Man war oft erinnert an Tertullians »Credo, quia absurdum«. Dogmatische Züge des Marxismus brachten aber wieder Dissidenten, Ketzer hervor, die sich gegen die herrschende Ideologie auf die Ursprünge beriefen. Der Verzicht auf die theoretischen Ergebnisse marxistischen Denkens wäre eine tödliche Reduktion. Vor allem die ökonomische Analyse des Kapitalismus, seiner »Naturgesetze« hat vieles Bleibende hervorgebracht. In Politik und Ideologie war der Einfluss der Subjektivität der Regierenden wie der Regierten stärker als angenommen. Gewissheiten, wie die vom baldigen Absterben des sozialistischen Staates, wurden historisch widerlegt. Gerade In diesem Bereich sind nicht nur Gewissheiten, sondern auch Möglichkeiten, Wahrscheinlichkeitsgrade für Alternativen zu bestimmen. Wir sind heute nicht mehr gewiss, dass auf den Kapitalismus der Sozialismus folgen wird. Aber es ist möglich, dass es wieder einen erneuerten Sozialismus geben wird, auch wenn wir heute nicht wissen, wann und auf welchem Wege das geschieht. Wie ist mit Alternativen umzugehen? Und gibt es einen Platz für nicht religiösen Glauben und für Gewissensentscheidungen? Sind Anerkennung historischer Gesetze und ein auf Veränderung gerichteter Wille, der Glauben benötigt, vereinbar? Der Philosoph Adam Schaff schrieb in seinen »Glaubensbekenntnissen eines Marxisten«: »Die Neue Linke sollte den ökumenischen Humanismus zum Bestandteil ihrer Ideologie machen, das heißt jenen Humanismus, der Gläubige und Ungläubige durch die Gemeinsamkeit eines gewissen Teils ihrer Wertesysteme verbindet und zwar jenes Teils, der die Nächstenliebe als höchsten Wert ansieht.« Der Marxismus kennt - und deshalb ist er keine Religion - keinen unwiderlegbaren Glauben. Lücken in der Gewissheit gibt es immer, Raum für Hoffnungen und Befürchtungen, vor allem ...Zum Weiterlesen gibt es folgende Möglichkeiten:
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