Die Katastrophe von Tsushima
Der Russisch-Japanische Krieg vor 100 Jahren
Nach dem Frieden von Shimonoseki, der 1895 den Chinesisch- Japanischen Krieg beendete, wurde der japanische Sieger auf Druck Russlands, Frankreichs und Deutschlands um einen beträchtlichen Teil seiner Beute gebracht: Japan musste die schon in Besitz genommene chinesisch-mandschurische Halbinsel Liautung wieder herausgeben. Doch kurze Zeit später pachtete und okkupierte dann Russland selbst die Halbinsel und richtete an deren Spitze den Hafen Port Arthur als Flottenstützpunkt ein.
In der Folgezeit verschärften sich zunehmend die imperialistischen Interessengegensätze zwischen Russland und Japan in dem »unabhängig« gewordenen Korea und in der Mandschurei, die Russland nach der Niederschlagung des sogen. Boxeraufstandes mit seinen Truppen besetzt hielt. Während Japan gegen Russland fernöstliche Expansionsbestrebungen in Großbritannien einen Bündnispartner fand, seine Armee verdoppelte und die Marine gar verdreifachte, unterschätzte man am Zarenhof sträflich das militärische Potenzial des künftigen Gegners in einem Krieg, dessen Beginn nur noch eine Frage der Zeit schien.
Wie 1894 den Krieg gegen China und fast ein halbes Jahrhundert später 1941 den gegen die USA, eröffnete Japan in der Nacht vom 8. zum 9. Februar 1904 ohne Kriegserklärung die Feindseligkeiten gegen Russland mit einem Überfall auf dessen Pazifikflotte vor Port Arthur. Der Versuch des russischen Geschwaders, aus dem von den Japanern blockierten und belagerten Hafen auszubrechen, scheiterte im August 1904.
Währenddessen hatte man in St. Petersburg beschlossen, einen Teil der Ostseeflotte als II. Pazifikgeschwader nach Fernost zu entsenden. Kommandiert wurde es von Vizeadmiral S. P. Roshestwenski, eine bei Marinehistorikern umstrittene Persönlichkeit, die aber objektiv vor einer der schwersten Aufgaben für einen damaligen Flottenführer stand - nämlich ein Geschwader von qualitativ unterschiedlichen Kriegsschiffen mit all ihren technischen Mängeln und unerfahrenen Besatzungen um die halbe Erde zu führen und danach voraussehbar auf einen sehr gut vorbereiteten Gegner zu treffen.
Das Geschwader verließ am 14. Oktober 1904 den Hafen von Libau (Liepaja) in Lettland. Bei der sich für Russland zuspitzenden Lage auf dem Kriegsschauplatz viel zu spät, um dort noch Entscheidendes ausrichten zu können. Diese Armada, die mehr als 18000 Seemeilen (ca. 30000 Kilometer) zurücklegen musste, um durch Umschiffung Westeuropas, Afrikas und Indiens in die chinesischen Gewässer zu gelangen, bestand aus etwa 35 Einheiten, von denen die kleineren den kürzeren Weg über das Mittelmeer und den Suezkanal nahmen.
Die Fahrt hatte kaum begonnen, als die russischen Schiffe in der Nordsee auf englische Fischerboote schossen. Man hatte sie in der Dunkelheit für japanische Torpedoboote gehalten(!) und mit dem Geschützfeuer einen ernsten Konflikt mit Großbritannien heraufbeschworen.
Das Geschwader lag vor Madagaskar, als es die Nachricht vom Fall Port Arthurs am 2. Januar 1905 erhielt. Nun wurde eine Weiterfahrt militärisch vollends sinnlos. Blind für die Realitäten, hielten aber der Zar und seine Berater am ursprünglichen Befehl fest. Es war eine großartige Leistung, die von den russischen Seeleuten auf den teils veralteten und maroden Schiffen auf dem schier endlosen Weg über die Weltmeere vollbracht wurde. Kaum ertragbar waren die Strapazen der Besatzungen unter schwierigen klimatischen Verhältnissen. Es gab zwischen Ostsee und Wladiwostok, wohin Roshestwenski das Geschwader führen wollte, für die Russen nahezu keine Werften und Kohlestationen. Kohlenübernahme und Reparaturen mussten meist auf hoher See vorgenommen werden. Kohleschiffe, darunter zehn von der deutschen Reederei HAPAG gecharterte, hatten die Versorgung übernommen.
Um Wladiwostok, den einzigen den Russen im Fernen Osten verbliebenen Hafen zu erreichen, mussten die Schiffe durch die Korea-Straße, eine Meerenge zwischen Korea und Japan. Für die Japaner ein hervorragend geeignetes Seegebiet, um das russische Geschwader zu erwarten, das dort bei der Insel Tsushima am 27. Mai 1905 auf die technisch weit überlegene japanische Flotte unter Vizeadmiral Togo stieß.
Die in den frühen Nachmittagsstunden entbrennende Seeschlacht, in der es Togo unter Ausnutzung der höheren Geschwindigkeit seiner Schiffe gelang, rasch die taktisch günstige Gefechtsformation »Crossing the T« zu bilden, setzte sich auch in der Nacht fort und endete am Vormittag des 28. Mai mit einer vernichtenden russischen Niederlage. Fast alle russischen Schiffe wurden trotz tapferer Gegenwehr versenkt, fast 10 000 Seeleute mit in die Tiefe reißend. Roshestwenski geriet schwer verwundet in Gefangenschaft und wurde später vor ein Kriegsgericht gestellt, aber freigesprochen.
Die Katastrophe von Tsushima, die der Bevölkerung Russlands mehrere Tage lang verheimlicht wurde, war nach Port Arthur und Mukden die dritte und letzte in der Reihe der großen russischen Niederlagen. Sie beendete den Russisch-Japanischen Krieg, der die heraufziehende Revolution nicht verhinderte, wie die Exponenten der zaristischen Selbstherrschaft gehofft hatten. Im Frieden von Portsmouth (5. September 1905) sicherte sich Japan die gegenüber Russland gewonnene Vormachtstellung in Korea und der Mandschu...
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