Im Krankenhaus Moabit gehen heute die Lichter aus

Es wurde Opfer eines politischen Kuhhandels mit den Kassen Der Widerstand der Beschäftigten blieb ohne Erfolg

  • Ingeborg Simon
  • Lesedauer: ca. 4.5 Min.
Das Krankenhaus Moabit, dessen Schließung für den heutigen 31. Oktober 2001 vorgesehen ist, wurde das Opfer eines politischen Kuhhandels der Berliner Krankenhauspolitik. Der Senat verzichtete auf dieses traditionsreiche und anerkannte Krankenhaus, um vor allem gegenüber den Krankenkassen auf Bundesebene seine Bereitschaft zu einschneidenden Einsparungen im Krankenhaussektor zu demonstrieren. Seitdem das Krankenhaus Moabit in einem von den Berliner Kassen 1998 in Auftrag gegebenen Gutachten zur Schließung vorgeschlagen worden war, zogen Unruhe und Besorgnis um die Zukunft des Standortes ins Moabiter Krankenhaus ein. Der Krankenhausplan 1999 - vom Senat im April 1999 beschlossen - schrieb dann tatsächlich seine Schließung fest »nach einer Übergangszeit von wenigstens zwei Jahren«. Ein entsprechender Feststellungsbescheid seitens des Senats erging im Mai 2000 mit dem Auftrag, das Haus zum 1. 7. 2000 zu schließen. Daraufhin tat die Krankenhausleitung das, was ihr das Gesetz erlaubt: Sie legte dagegen Widerspruch ein. Damit war eine aufschiebende Wirkung verbunden. Das heißt: Bis zur endgültigen gerichtlichen Entscheidung über die mögliche Schließung war das Krankenhaus Moabit weiterhin Bestandteil des Krankenhausplanes mit allen Rechten und Pflichten. Mit dieser eindeutigen Rechtslage wollten sich offenbar weder der Senat noch die Berliner Krankenkassen abfinden. Ungeachtet des schwebenden Gerichtsverfahrens verschickten die Kassen an über 800 niedergelassene Ärzte Briefe, in denen diese aufgefordert wurden, keine Patienten mehr ins Moabiter Krankenhaus einzuweisen, da dieses mit Wirkung vom 1. 7. 2000 aus dem Krankenhausplan ausscheiden würde. Außerdem wurde gedroht, man würde ab sofort die Notwendigkeit von Einweisungen nach Moabit überprüfen und Kostenübernahmen befristen. Die Kassen begannen auch damit, vom Krankenhaus eingereichte Rechnungen nicht mehr zu bezahlen, weil sie deren Berechtigung in Frage stellten. Der Senat traf seinerseits Vorbereitungen zur Verlagerung der vier von der Schließung ausgenommenen Abteilungen, ohne auch hier den Ausgang der dagegen angestrengten Klage abzuwarten. Im März 2001 trat dann das ein, was offenbar mit der vom Senat und von den Kassen verfolgten Strategie der Demontage erreicht werden sollte: die Auszahlung der Märzgehälter für die Beschäftigten war fraglich. Unter dem Damokles-Schwert der drohenden Zahlungsunfähigkeit wurde am 4. April 2001 der von den Beschäftigten organisierte Widerstand gegen die Schließung aufgegeben. Seitdem befindet sich das Krankenhaus in der Abwicklung. Die Beschäftigten sind zu Recht verbittert. Noch 1997 - in diesem Jahr feierte das Haus in Gegenwart von viel Politprominenz seinen 125. Geburtstag - hatte der Senat versprochen, den Standort dauerhaft zu sichern. Seine Bedingung dafür: Rechtsformänderung in eine gGmbH. Die Beschäftigten erfüllten diese Forderung zum 1. 1. 1998 und dennoch kommt jetzt das Aus. Ihr über viele Monate anhaltender Widerstand blieb letztlich erfolglos. Es kommt die sozialplanversüßte Abwicklung. Viele Beschäftigte gehen in die Arbeitslosigkeit. Die PDS-Fraktion hatte sich im Abgeordnetenhaus mit einem Antrag für den Erhalt Moabits durch Übernahme in das Krankenhausunternehmen VIVANTES eingesetzt - vergeblich. Wir halten es für skandalös, dass eine noch vor kurzem auch von der Politik hochgelobte Klinik auf Druck der Bundesebene der Krankenkassen aufgeben musste, ohne dass auch nur der Versuch unternommen wurde, nach einer standorterhaltenden Lösung im Rahmen einer Gesamtkrankenhausplanung zu suchen. Entsprechende, von den Beschäftigten entwickelte Konzepte wurden ignoriert. Während zur Zeit vor dem Hintergrund eines möglichen Katastrophenszenarios auch in Berlin darüber spekuliert wird, ob die hier vorhandenen Bettenkapazitäten für den »Ernstfall« reichen, gehen die Lichter in einer modernen, leistungsstarken Klinik für immer aus. Der ehemalige Bezirk Tiergarten, einer der ärmsten mit niedrigem Sozialindex, verliert sein Krankenhaus. Als gesundheitspolitische Sprecherin der PDS-Fraktion bekenne ich gegenüber allen, die sich so konsequent und überzeugend für den Erhalt »ihres« Hauses eingesetzt haben, meinen großen Respekt.

Unsere Autorin ist gesundheitspolitische Sprecherin der PDS-Fraktion im Abgeordnetenhaus


Mehr als 129 Jahre alt

Am 7. Mai 1872 wurde an der Turmstraße in Moabit auf das Betreiben des Stadtverordneten und Arztes Rudolf Virchow ein Barackenlazarett eröffnet. Es war zunächst als ein Provisorium gedacht, um die Epidemien (Pocken, Cholera, Typhus), die der Krieg 1871/72 ausgelöst hatte, unter Kontrolle zu bekommen. Das Krankenhaus blieb, weil es für die Versorgung des armen Bezirkes unentbehrlich geworden war.

1884 wurde ein erstes bakteriologisches Laboratorium errichtet, in dem Robert Koch seine Forschungen durchführte.

1896 erhielt das Haus ein neues operatives Zentrum.

1906 wurde ein repräsentatives Verwaltungsgebäude an der Turmstraße gebaut.

1913 geplant, aber erst nach dem Ersten Weltkrieg durchgeführt wurde die Ersetzung der einfachen Baracken durch Pavillons.

Von 1919 an gehörten die Chirurgie (Georg Klemperer) und die medizinische Abteilung (Moritz Borchardt) zur Friedrich-Wilhelm-Universität.

In den zwanziger Jahren kommen eine Reihe weiterer Abteilungen hinzu, das Städtische Krankenhaus macht sich einen Namen durch seine fortschrittlichen und ganzheitlichen Forschungs- und Therapieansätze (Ernst Haase, Max Marcus, Kurt Goldstein).

Am 1. April 1933 beginnt die Diskriminierung der jüdischen Eliten der Klinik und ihre Ersetzung durch zweitklassige Ärzte des Naziregimes. Viele Patienten etwa der Chirurgie sterben. Entlassen und verfolgt werden von den Ärzten bis zum Küchenpersonal auch Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschaftler.

Während des Zweiten Weltkrieges organisieren Ärzte und Angestellte unter der Leitung von Georg Großcurth und Robert Havemann einen Widerstandskreis in der Klinik, der der »Europäischen Union« zuarbeitet. Sie helfen Verfolgten bei der Flucht oder der Suche nach einem Versteck, unterstützen den Widerstand der Zwangsarbeiter und geben Informationen einflussreicher Patienten (Rudolf und Alfred Heß) an die Alliierten weiter. Der Kreis wird denunziert, Großcurth am 8. Mai 1944 im Zuchthaus Brandenburg hingerichtet.

Nach dem Krieg kann das in großen Teilen zerstörte Krankenhaus nur langsam seinen normalen Betrieb wieder aufnehmen. Bis in die siebziger Jahre wird sein Aufgabenfeld ständig erweitert.

Die Menschen in Moabit betrachteten es als »ihr« Krankenhaus, einzelne Abteilungen wie das Tumorzentrum, die minimalinvasive Chirurgie und die Naturheilweise gewannen einen internationalen Ruf. Seit 1985 sah sich das Haus immer wieder mit Schließungsabsichten konfrontiert. Zuletzt verfügte es über 527 Betten, versorgte 16000 Patient...

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