Der Geisterseher

Schiller im Berliner »Theater im Palais«

  • Ingeborg Pietzsch
  • Lesedauer: ca. 2.0 Min.
Dies ist die Geschichte einer großen Manipulation. Schiller schrieb den Roman »Der Geisterseher« 1786, zu einer Zeit, als eine »eigentümliche Erscheinung« Aufsehen erregte. Im Zentrum steht ein protestantischer Prinz, von dem Schiller sagt: »Niemand war mehr dazu geboren, sich beherrschen zu lassen, ohne schwach zu sein.« In Venedig gerät dieser Prinz in die Netze eines mysteriösen Armeniers. Schritt für Schritt leitet dieser sein Opfer in den Abgrund bzw. nach einem Verbrechen in die Arme der katholischen Kirche. Aus dem feinsinnigen, reservierten Prinzen wird ein Zyniker, der meint, kraft seiner Vernunft die Intrigen und Zauberstücklein, in die er verstrickt wird, zu durchschauen. Aber genau das gehört zum boshaft-erklügelten Plan des Armeniers: Das Opfer überschätzt seine intellektuellen Fähigkeiten und wird, völlig verunsichert, zur gefügigen Beute des katholischen Klerus. Auf erstaunliche Weise haben Birgid Gysi und Barbara Abend eine dramatische Fassung fürs Berliner »Theater im Palais« gefiltert: die Geschichte eines Verführten, der in die Fänge politisch wirksamer Machtmenschen gerät. Eine hochbrisante Lesart. Barbara Abend inszenierte. Auf einer mit Tüchern verhängten Bühne - wechselnde Spielorte werden nur durch Lichtwechsel angezeigt - hängen zwei Metallketten mit abnehmbaren Masken, Tüchern, kleinen Requisiten. Wie immer dominiert das Spiel im Spiel (begleitet am Klavier von Ute Falkenau). Die Darsteller, bis auf den Prinzen, wechseln in verschiedene Rollen. Vielleicht liegt darin eine Krux der Inszenierung. Gewisse Ratlosigkeit den Abläufen gegenüber war bei Teilen des Publikums spürbar. Durch die Vielzahl der Verstellungen im Stück, deren teilweise Entlarvung und zugleich das Wechselspiel der Darsteller, schien manches verwirrend. Dass es letztlich eine Figur ist, die alle Fäden zieht, wurde offenbar nicht immer deutlich. In der Rolle des irregeleiteten Prinzen Volker Ranisch. Zu Beginn ist sein Prinz glaubwürdig ein liebenswerter großer Junge. Die Wandlung zum eitel-geschmeichelten Vernunftmenschen und schließlich Zyniker gelingt ihm weniger überzeugend. Erst die Betroffenheit über seine mörderische Tat bestürzt. Und erklärt die Flucht des Prinzen in den Schoß des Klerus. Für mich hinreißend: Gabriele Streichhahn - hier in zahlreichen Männerrollen. Ein Griff zu einem anderen Halstuch - schon ist eine neue Haltung, eine neue Figur gefunden. Auch Carl Martin Spengler markiert wirkungsvoll die unterschiedlichsten Figuren. Zumal als düsterer, unheimlicher Armenier. In einem glanzvollen Arrangement umzingelt der Intrigant den Prinzen, umschlingt ihn von hinten. Das Opfer ist gleichsam betäub...

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