Der (un)bekannte Einstein

Neue Biographien enthüllen menschliche Schwächen des Genies

Kein anderer Naturforscher hat seine Zeitgenossen und die Nachwelt so sehr fasziniert wie Albert Einstein. Die detaillierte Erkundung seines bewegten Lebens gehört daher zu den Dauerbrennern der Wissenschaftspublizistik. Auch in diesem Jahr ist die Liste der Einstein-Biographien um ein erhebliches Stück länger geworden. Kein Wunder, feiern wir doch im Sommer 2005 den 100. Geburtstag der Relativitätstheorie. Doch nicht dem genialen Physiker, dem Schöpfer einer neuen Raum-Zeit-Lehre, gilt das bevorzugte Interesse vieler Autoren. Sie wollen uns vornehmlich den Menschen Einstein näher bringen, dessen Lebensgeschichte bis heute von zahlreichen Mythen umrankt ist. So weiß vermutlich jeder, dass Einstein Pazifist und Kriegsgegner war. Nur: Welchen Einfluss hatte diese prinzipielle Haltung auf seine politische Tätigkeit? In seinem Buch »Einstein in Berlin« (Verlag C. H. Beck, 22,90 Euro) versucht der Göttinger Physikprofessor Hubert Goenner eine Antwort auf diese Frage zu finden. Sein Fazit lautet: Einsteins politische Aktivität erschöpfte sich häufig in dem Versuch, Menschen und Organisationen vom Schreibtisch aus durch moralische Argumente zu beeinflussen. Wer hier mehr erwartet hätte, sei darin erinnert, dass deutsche Wissenschaftler bis zum Zusammenbruch des Hitler-Regimes fast durchweg nationalistischen Vorstellungen huldigten. Zwar verabscheute Einstein die Politik, doch verließ er jederzeit den Elfenbeinturm der unbefleckten Moral, wenn es darum ging, bedrängten Menschen zu helfen. Aber nicht nur davon erzählt Goenner in seinem brillant geschriebenen Buch. Er schildert überdies die vielfältigen Kontakte Einsteins zu Wissenschaftlern, Künstlern und Politikern ? und natürlich auch zu Frauen. In Berlin etwa lebte Elsa Löwenthal, Einsteins Cousine, die zwei Töchter hatte, Ilse und Margot. Für die attraktive Ilse interessierte Einstein sich ganz besonders. Sein sexuelles Verlangen blieb jedoch unerfüllt. »Ich habe nie den Wunsch oder die geringste Lust verspürt, ihm körperlich nahe zu sein«, gestand Ilse Löwenthal im Mai 1918 einem Freund. Darüber hinaus plagte sie ein schlechtes Gewissen gegenüber ihrer Mutter, die Einstein ein Jahr später heiratete. Eine solide biographische Arbeit hat Dietmar Strauch vorgelegt, der als Informationswissenschaftler in Caputh bei Potsdam lebt, wo sich auch das ehemalige Sommerhaus der Einsteins befindet. Sein Buch »Alles ist relativ« (Verlag Beltz & Gelberg, 19,90 Euro) bietet jedoch kaum Neuigkeiten, sondern fasst im wesentlichen nur zusammen, was wir derzeit über Einstein wissen. In einem Punkt allerdings geht Strauch über die vorliegende Literatur hinaus. Als Neubürger Capuths schildert er mit großer Sachkenntnis, was nach der Machtübernahme der Nazis in dem kleinen märkischen Ort geschah, der in der Weimarer Republik als »marxistische Hochburg« galt. Doch bereits am 20. April 1933 ? dem Geburtstag Hitlers ? bekannten sich die Einwohner von Caputh fast einmütig zum Führer, wie eine Zeitung damals schrieb. Einsteins Sommerhaus blieb zunächst unangetastet, da im Grundbuch seine beiden Stieftöchter als Eigentümerinnen eingetragen waren. Es wurde sogar an ein benachbartes jüdisches Kinderheim vermietet und damit zum doppelten Ärgernis für die Nazi-Behörden, die es 1935 »arisierten«. Als Schweizer Staatsbürger versuchte Einstein, gegen die Enteignung seines Vermögens und die Einziehung seines Landhauses gerichtlich vorzugehen. Ohne Erfolg. Denn die Eidgenossen taten nichts, »als Hitler mir alle Ersparnisse raubte«, stellte der Nobelpreisträger später mit Verbitterung fest. Eine der weltweit erfolgreichsten Einstein-Biographien hat der US-Publizist Denis Brian verfasst. Das Buch werde all jene überraschen, heißt es im Vorwort, die in Einstein so etwas wie einen Heiligen auf Erden sehen. Denn es enthülle das aufregende Privatleben des Genies ebenso wie dessen kontroversen und komplizierten Charakter. Nur datiert die amerikanische Originalausgabe des rund 700 Seiten starken Werkes mit dem schlichten Titel »Einstein. Sein Leben« (Verlag WILEY-VCH, 34,90 Euro) aus dem Jahr 1996. Vieles, was damals eine Überraschung war, Einsteins Frauengeschichten etwa, ist längst in den Fundus der Wissenschaftsgeschichte eingegangen. Gleichwohl dürften selbst gestandene Vertreter dieses Faches das voluminöse Werk mit Gewinn lesen. Enthält es doch zahlreiche biographische Details, vor allem aus den späteren Jahren Einsteins, die man in anderen Büchern vergeblich sucht. So nahm der Schöpfer der Relativitätstheorie, als er bereits 57 war, als »Student« an einem Lehrgang über Topologie an der Universität Princeton teil ? zusammen mit einem 20-jährigen Amerikaner, den er dabei wie seinesgleichen behandelte. Viele Menschen haben Brian ausführlich über ihre persönlichen Erlebnisse mit Einstein berichtet, und manche taten dies sogar zum ersten Mal. In diesen Berichten liegt die eigentliche Faszination des Buches. Was dessen Wert hingegen schmälert, ist die bisweilen haarsträubende Darstellung historischer Fakten. So wird etwa Leo Trotzki als der »politische Führer der Juden« in der Sowjetunion bezeichnet und die »Kristallnacht« auf den 9. Dezember 1938 verlegt. Wie auch andere US-Autoren stützt sich Brian, was die neuere Einstein-Literatur betrifft, durchweg auf englischsprachige Titel. Mit einer bemerkenswerten Ausnahme. So heißt es auf Seite 289: »Ein deutscher Autor namens Friedrich Herneck war vermutlich der Erste, der Details von Einsteins Affären in ?Einstein privat? enthüllte.« Es gehört in der Tat zu den bleibenden Verdiensten des genannten Ostberliner Wissenschaftshistorikers, die ehemalige Haushälterin der Einsteins bereits in den 70er Jahren aufgespürt und für ein Buch interviewt zu haben. Dass Herneck der Verfasser weiterer gewichtiger Beiträge zur Einstein-Forschung ist, findet in der...

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