Macht Gesundheitswahn die Menschen krank?
Für den Münchner Medienkonzern gibt es aber noch eine zweite Motivation. So wirbt der Sender im Internet: »Focus Gesundheit« bietet Werbungstreibenden eine neue, interessante Möglichkeit, attraktive Zielgruppen im Markt zu erschließen und bietet beste Voraussetzungen für erfolgreiche Crossmedia-Strategien im Markt der Gesundheit. Dieser Markt ist inzwischen ein monströser Industriezweig mit einem Volumen von 280 Milliarden Euro. Die gilt es unter anderem mit hohen Einschalt-Quoten aufzuteilen. Information und Desinformation führen in aller Regel aber zu Irritation und Konfusion, wahlweise auch zu Desinteresse, Stumpfsinn, Kritiklosigkeit und Folgsamkeit, die mit der Umsetzung präsentierter Ratschläge in Schach gehalten werden: Eigen-Urin zum Frühstück, Nabel-Smaragd gegen Bauchschmerzen, Aromatherapie gegen Durchfall und Beitritt in einen Lachclub, weil das gesund ist.
Realität des täglichen Lebens und mediale Wirklichkeit sind zwei Ebenen öffentlichen Bewusstseins, deren Konturen zunehmend verwischen. Ein Zustand, in dem auch Unzufriedenheit und Ansprüche geboren werden. »Die Medien wecken Hoffnungen. Sie initiieren Bedarf und damit Kosten. Es ist das Umfeld, es ist die emotionale Übertragung, was Glaubwürdigkeit herstellt«, schreibt Herz. Für diese emotionale Übertragung braucht es Sympathieträger und für diese wiederum Vermittler.
So bietet zum Beispiel das »Institut für Gesundheitsaufklärung« in Geldern seine Dienste wie folgt an: »Gern helfen wir Ihnen bei der Suche nach medientauglichen (!) Experten für TV-, Print-, Radio- oder Internet-Veröffentlichungen zu den unterschiedlichsten Fragestellungen«. Wohl auch deshalb sieht man immer die gleichen Gesundheits-Experten auf den Bildschirmen. Sie sind eben medientauglicher als andere, die möglicherweise besser wissen, wie man gesund bleibt und dafür einfachere Tipps auf Lager haben. Der Hamburger Professor für Psychiatrie, Klaus Dörner, hat neben den Medien die »permanente Entlastung infolge des Fortschritts« als Ursache für Gesundheitswahn, vor allem aber für die Zunahme von Volkskrankheiten ausgemacht. Gegen die muskuläre Unterlastung sei eine - ziemlich vergebliche - künstliche Wiederbelastungsindustrie erfunden worden, schreibt er in seinem Buch »Die Gesundheitsfalle«. Die Zunahme psychischer Störungen sieht er als Folge psychosozialen Unterforderung, da jeder Mensch sein optimales Tagesquantum von »Bedeutung für Andere« brauche.
Fazit: Statt 24 Stunden Konsum widersprüchlicher Gesundheitsinformationen sollte man einfach das tun, was einem selbst gut tut, um gesund zu bleiben. Man sollte einfach leben. Es soll sogar Menschen geben, die mit einer Krankheit glücklich sind, weil sie sich an der richtigen Stelle informiert haben.
Wolfgang Kappler
INFO- |Klaus Dörner: Die Gesundheitsfalle, Econ Verlag, 180S., 18
Manfred Lütz: Lebenslust, Pattloch Verlag, geb., 14,90
Bestellungen: ND-Bücherservice 030/29390766
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