Immer schön sauber bleiben

Waschsalons werden Kult. Die Potsdamer »Waschbar« ist es bereits

  • Christina Matte
  • Lesedauer: ca. 9.0 Min.
Ich war noch nie in einem Waschsalon. Das liegt daran, dass ich zu Hause eine Waschmaschine besitze, die mir seit vielen Jahren ohne zu murren dient, wahrscheinlich, weil ich zu jedem Waschgang Calgon benutze. Aber nun weiß ich: Ich habe etwas versäumt. Mann, was ich versäumt habe! Ich habe all die Menschen nicht gekannt, für die es nichts Schöneres zu geben scheint, als ihre Tage inmitten rotierender Waschautomaten, eingehüllt in den Duft von Persil, zu verbringen. Und zwar nicht etwa, weil ihre eigene Waschmaschine gerade kaputt gegangen wäre oder sie so ein Badmöbel gar nicht erst ihr Eigen nennen, sondern weil es im Waschsalon viel netter als zu Hause ist. Waschsalons sind gerade dabei, Kult zu werden. Die »Waschbar« in Potsdam ist es bereits. Spricht man von Waschsalons und Kult, dann redet man sozusagen von Waschzwang. Vom Zwang, seine Wäsche regelmäßig an einem bestimmten Ort zu reinigen, nämlich im Waschsalon. Damit man, während die Maschinen und Trockner die Arbeit für einen erledigen, nicht sinnlos herumsitzt, kann man Kaffee trinken, frühstücken, Zeitung lesen oder sich mit anderen Waschsalonbesuchern unterhalten. Gastronomischer Renner in der Potsdamer »Waschbar« ist das Frühstück. Das gibt es in den Varianten small, big und bigger. Zum »bigger« Frühstück gehören drei knackige Schrippen und zwei ebensolche Scheiben Toast, reichlich Butter, Marmelade, Käse, Joghurt, Salami, Honig, Früchte. Und: eine große Portion Rührei. Wirklich gut. Nirgends sonst kann man mit weniger schlechtem Gewissen alle Fünfe gerade sein lassen als im Waschsalon. Denn man faulenzt ja nicht wirklich; man erledigt inzwischen Wichtiges - das ist Faulenzen auf höchstem Niveau. Und die Betriebsamkeit rundum scheint sogar gegen Einsamkeit zu helfen. Eine alte Frau mit griesgrämigem Gesicht sitzt seit einer geschlagenen Stunde auf einer kleinen, mit rotem Kunstleder überzogenen Bank und hält, die Hände auf ihren Knien gefaltet, Zwiesprache mit den Waschmaschinen. Die heißen Helga, Susi, Rita und Olga. Vielleicht hießen ja ihre Schulfreundinnen so? Eine Olga hat sie aber bestimmt gekannt: Olga Tschechowa, die Leinwandschönheit ihrer Jugend! Ob sie auch einmal schön war? Von einem Best-of-Album dudelt Country-Blues. Hohe Säulenkakteen im Fenster, in Orange flammende Wände, darauf lauernde hölzerne Krokodile, Wandleuchten mit Stahlblechverblendung, auf denen der Donnervogel fliegt - mitten in Potsdam New Mexiko. Die Frau, die jetzt die Waschbar betritt, ist Anfang 50 und spricht sächsisch. In New Mexiko käme sie damit nicht weit, aber für Potsdam ist es okay. Potsdamerin, erzählt Bärbel Döscher, ist sie seit Mitte der 70er. Mit einer Unterbrechung: Erst unlängst sind Döschers nach Bayern gezogen, weil Frau Döscher dort einen Job als Disponentin bekommen hatte. Der Job ist nun wieder futsch. Gerade sind sie zurückgekehrt, weil »sich das Elend in der Heimat besser ertragen lässt«. Da die Waschmaschine noch in Bayern ist, muss Frau Döscher nun vorerst im Waschsalon waschen. Zeit genug hat sie ja wieder. Dabei ist sie eigentlich Ingenieurin. Na und? Frau Döscher lacht herzhaft: Neulich hat sie im Baumarkt einen Verkäufer getroffen, der war Kapitän zur See. Und sie kennt einen Professor, der Pförtner ist! »Eine Qualifikation«, sagt sie, »die ist heute doch nischt mehr wert. Schon gar nicht für DDR-Bürger.« Ein junger, hoch aufgeschossener Mann im längsgestreiften Blazer stellt seine Sporttasche ab. Er heißt Christian, ist 19 Jahre alt, 2.03 Meter groß und im »Eventmanagement« beschäftigt. Was immer das ist und was immer er für eine Qualifikation besitzt - er scheint davon leben zu können: Er kommt gerade aus dem Urlaub und muss gleich zu einer Dienstreise nach Cottbus. Deshalb, weil seine Wäsche hier in 20 Minuten »durch« ist, viel schneller als zu Hause, schaut er kurz in der »Waschbar« vorbei. Er füllt »Susi« mit seinen T-Shirts und holt sich dann einen Kaffee. Den trinkt er draußen auf der Terrasse, auf einem gemütlichen Sofa, von dem aus er den Verkehr beobachten kann. Drinnen, gleich neben der Tür, spielen Udo, Bernadette und Reno Skat. Reno, der ein Ziegenbärtchen und eine voluminöse Schirmmütze trägt, stellt sich als »Hausfrau und Mutter« vor. Klar. Als ich selbst noch Hausfrau und aktive Mutter war, hatte ich nie Zeit, mittags um zwölf in einem Café Skat zu spielen, aber Reno hat sie. Er hat es ja auch geschafft, 29 Semester Philosophie, Geschichte und Politik zu studieren. Ohne Abschluss. Bernadette, die auch keinen Abschluss hat, war dennoch besser als Reno, denn sie hat ihr erfolgloses Jurastudium schon nach 22 Semestern beendet. Seit drei Tagen ist sie nun Steuerfachangestellte, eine Stelle hat sie noch nicht. »So schnell geht das nicht«, sagt die 33-Jährige ernst. Auf ein paar Tage kommt es ja nun auch nicht mehr an. Bernadette möchte Skatweltmeisterin werden. Sie muss noch ein bisschen üben. Im Augenblick führt Udo. Man kann stundenlang an einem der Tische sitzen, auch ohne Wäsche zu waschen. Und ohne pausenlos etwas verzehren zu müssen. Olaf, 28, hält sich schon eine ganze Weile an seinem Glas Tee auf. Er hat Bücher und Schreibpapier vor sich ausgebreitet. Der diplomierte Mathematiker will in zwei Jahren promoviert haben. Dann möchte er in die Forschung. Sollte das nicht klappen, hat er den Doktortitel umsonst gemacht, denn auf dem normalen Arbeitsmarkt wäre er damit überqualifiziert. Also muss er eine besonders gute Dissertation hinlegen. Hier kann er besser arbeiten als zu Hause, wo ihn sein Kühlschrank und sein Computer ablenken. Außerdem kann er den Tisch hier nicht wie zu Hause nur »zumölen«, sondern muss ihn, wenn er geht, auch wieder abräumen. Die junge Bedienung bringt Reno noch einen Latte macchiato. Sie heißt Corinna, hat eine Modelfigur und ein Nasenpiercing. Während sie an uns vorbeieilt, setzt sich Ralf zu uns, Ralf Kelling. Die Revers von Ralfs Jackett glänzen etwas, aber unter dem Jackett trägt er ein Hemd, das einmal blütenweiß war. Wenn man nicht so genau hinschaut, macht er eine richtig gute Figur. Ralf ist Künstler. Der Straßenmusikant von Potsdam. Am liebsten singt er »Über den Wolken« von Reinhard Mey. Auch Ralf schwebt gern über den Wolken, so wie heute, er hatte schon fünf Bier und drei Kümmerlinge. Aber nicht hier, hier bekommt er keinen Alkohol, denn er ist Alkoholiker. Dazu steht er. Auf der Straße singt er nur, um Werbung für sich zu machen. Fünf Euro kriegt er da in der Stunde zusammen, »es wird immer beschissener«. Aber manchmal engagiere man ihn von der Straße weg zu Geburtstagen, Hochzeiten, Gartenpartys. Ansonsten lebt er von ALG II. Sagt er. Und dass er schon mal Rasierklingen geklaut hat und erwischt wurde. Und dass er früher, zu DDR-Zeiten, mal Elektromonteur, Koch, Kellner, Dolmetscher, Pädagoge war. Sagt er. Und dass er schwul ist und der Schröder »ein Schauspieler«, den er nicht mehr wählen wird. Corinna sagt: »Geh nach Hause, Ralf.« Ralf zwinkert uns zu: »Na, dann gehe ich mich mal hinlegen. Und ihr: Immer schön sauber bleiben!« Dann geht er tatsächlich. Corinna plaudert ein paar Minuten mit uns. Darüber, dass sie gern hier arbeitet. Weil Klaus, der Chef, in Ordnung ist. Klaus komme immer erst abends, um diese Zeit nie. Tagsüber ist sie es, die den Salon schmeißt, stundenweise helfen Studenten, insgesamt dreizehn. »Bei Klaus wird man nicht ausgebeutet und kann sagen, was man denkt. Viele trauen sich ja heute gar nicht mehr, ihrem Chef gegenüber den Mund aufzumachen - für mich wär das nichts.« Corinna ist 26 und hat Abitur. Mit dem Architekturstudium hat es noch nicht geklappt, denn dazu müsste sie eine Tischlerlehre absolvieren, und eine Lehrstelle hat sie nicht gefunden. Vielleicht hätte sie eine als Bautischlerin bekommen können, aber auf den Bau wollte sie nicht, lieber in eine Möbeltischlerei. Corinna will nur noch ihr Ding durchziehen, die Gesellschaft interessiert sie nicht mehr. Sie denkt, dass »sowieso bald alles den Bach runtergeht«. Kinder will sie nicht in »diese Welt« setzen, jedenfalls nicht bewusst. Die alte mürrische Frau sitzt immer noch auf der Bank. Als sie aufsteht, sehe ich, dass sie gar nicht in Susi, Rita, Helga oder Olga gewaschen hat, sondern in Berta. Berta ist die größte Waschmaschine, quasi die »dicke Berta«. Endlich kann Christel Scharf ran. Sie hat schon lange darauf gewartet, dass die »dicke Berta« frei wird. Natürlich hat die 51-jährige Invalidenrentnerin zu Hause eine eigene Waschmaschine, aber die steht im Keller, und sie müsste immer hoch- und runtersteigen; das kann sie nicht mehr. Außerdem gibt sie, wenn sie herkommt, ihrem Tag »einen Rhythmus«. Ihr gefällt auch, dass sie ihren Mann Wilhelm und ihr Hündchen mitbringen kann. Letzteres ist ein »Bulonka Zwetna«, ein »russisches Zarenhündchen«, und sie ist ganz vernarrt in das Schätzchen. Sonntagmorgens ist es am schönsten in der »Waschbar«. Dann schnuppern auch Schäferhunde herein, mit Herrchen und Frauchen zum Brunch. Auch allein erziehende Väter finden sich mit ihren Kindern ein. Während die Kinder von Tisch zu Tisch turnen, können sie selbst mit ihren Kumpels, die auch regelmäßig auftauchen, in Ruhe klönen. Manchmal quält sich sonntagmorgens auch Klaus Kühn, der Chef, für eine Stunde aus dem Bett. Wenigstens ab und zu will er seine Musiker-Freunde treffen, die hier jeden Sonntag jazzen. Kühn braucht dann einen starken Kaffee. Nachdem er erst um sechs ins Bett kam, weil er die »Waschbar« bis Mitternacht offen hält und dann noch aufräumen muss, hat der Kaffee allerdings nur einen Placebo-Effekt. Aber Indianer sind hart im Nehmen. Und wie ein Indianer sieht Kühn, der als Kind Karl May gelesen hat und sein schwarzes Haar zehn Jahre wachsen ließ, so dass es ihm über die Schultern wallt, aus. 1995 hat sich der gebürtige Hallenser, der einmal als Heilerzieher beim DRK gearbeitet hat, einen Traum erfüllt: Er flog in die USA. In San Franzisko kaufte er sich ein Auto und zog dann ein ganzes Jahr durch Ami-Land, vor allem durch die Reservate. Und durch die Waschsalons. In Deutschland brauchte es dann noch eine gewisse Zeit, eine Zeit, in der im sozialen Bereich viel gespart und das Klima kälter wurde, bis die Idee, einen eigenen Waschsalon aufzumachen, Gestalt annahm. Heute ist die »Waschbar« sein Zuhause, seine Familie, seine Philosophie. Und seinen ehemaligen Kolleginnen Susi, Helga, Rita und Olga hat er hier ein Denkmal gesetzt. Was will er mehr? Mehr will er nicht. Kühn hat nicht vor, »mit 45 die Radieschen von unten zu betrachten«. Hugh, sagt Häuptling Weiser Waschbär. Irgendwann am Sonntagvormittag packen Dietmar John und Thorsten Lorenz ihre Gitarren aus. Dann wird gejazzt. John ist 50, Lorenz 29, sie sind Freunde. Thorsten Lorenz hat bei dem Musikpädagogen Dietmar John die ersten Gitarrengriffe gelernt. Nach der Wende war er dann mit seinen Eltern nach Houston in Texas gezogen. Dort hatte man seinen Vater, einen Physiker, der in Potsdam keine Arbeit mehr bekam, mit Handkuss genommen. Acht Jahre hat der junge Mann mit den schwarzen Augen in Houston studiert. Informatik und Musik. Drei Mal pro Woche mindestens spielte er dort in Clubs oder Cocktailbars. Mit dem Ende der Studienzeit endete auch seine Aufenthaltserlaubnis, und er musste zurück. Weil er ab und zu spielen muss, kam Dietmar John die Idee, Klaus Kühns Waschbar als Bühne zu nutzen. John weiß, dass sie »hier nur so nebenbei spielen«. Aber sie bekommen ein Frühstück und bleiben in der Übung. Die Session ist Spitze. Während Ana aus Pamplona, die für zwei Jahre eine Stelle am astrophysikalischen Institut hat, ihre BHs aus dem Trockner räumt, träumt Johns Schützling davon, sich in der Szene einmal einen Namen zu machen. Einen ganz großen Namen. Vielleicht schafft er es. In der »Waschbar« träumt jeder von irg...

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