Krampfhaft, oberflächlich, ignorant

»Schön, ordentlich, deutsch« - Ausstellung zum NS-Design in Hannover

  • Gerhard Wagner
  • Lesedauer: 3 Min.
Während der Naziherrschaft gab es in Deutschland auf dem Gebiet der Formgestaltung vielfältige stilistische Anleihen. So wurden nicht nur »Sammeltassen« mit Hakenkreuz hergestellt und angeboten, sondern auch »Hölderlin-Becher« in Biedermeier-Machart; nicht nur das 19. Jahrhundert zitierende, ländlich-rustikale Sitzmöbel aus Eiche, sondern auch auf das Bauhaus (darunter den »Freischwinger« Mies van der Rohes) und den Deutschen Werkbund zurückgreifende Gestaltungen. Und neben dem monumental-neoklassizistischen »Reichskanzleistil« für offizielle Räume herrschte strenger Funktionalismus: zum Beispiel in Kantinen, in denen Heinrich Löffelhardts Geschirr Verwendung fand, das 1938 mit der Bezeichnung »Schönheit der Arbeit« seine ideologische Aufladung erfuhr. Dasselbe geschah mit dem Entwurf für ein Radiogerät von Walter Maria Kerstin aus dem Jahre 1928: ab 1933 wurde es als »Volksempfänger« produziert. Mit rund 100 solcher Objekte vor allem aus den Beständen des Kestner-Museums sowie viel Text- und Bildmaterial veranschaulicht die von einer Diplomandengruppe der Fachhochschule Köln gestaltete Ausstellung dieses Stilkonglomerat. Gleichzeitig versucht sie jedoch krampfhaft, einen »spezifischen Stil« in der so genannten »Gestaltungs-Wut« des Nationalsozialismus ausfindig zu machen - als seien diese Gesellschaft und ihre Kultur monolithische Gebilde gewesen. Damit gerät sie in Widerspruch nicht nur zur eigenen Materialbasis, sondern auch zum Forschungsstand. Denn die komplexen historischen Voraussetzungen und Lebensnerven des NS-Systems sind ihr weitgehend verschlossen geblieben. Das belegen zum Beispiel die engherzige Rückführung des Erfolgs der faschistischen Propaganda und ihrer Glücksversprechungen auf »emotionale Defizite der Massen« und seine oberflächliche Deutung als Ergebnis der »Zwieschlächtigkeit der Moderne«. Es fehlen aber die Verweise unter anderem auf den manipulativen Effekt der nach der »Machtergreifung« 1933 einsetzenden verbesserten Befriedigung materieller Bedürfnisse, auf die Weiterwirkung romantisch-antikapitalistischer und antiliberaler Stimmungen; auf die über die »politische Sphäre« hinausreichende Alltagstotalität der Naziherrschaft, die latente soziale Gewalt im Wirtschaftsleben und die rassistische Ausgrenzung. Stattdessen waten die Macher ahistorisch und zugleich aktualitätssüchtig in den gegenwärtigen Jargonfluten der Werbestrategen und Beschleunigungsjournalisten des »Neoliberalismus« und der »Globalisierung«. So glauben sie, Hollywoods zeitgenössische »virtuelle Welten«, seine »Monumental-Filme und -Ideologien« mit der Massenkultur des Nationalsozialismus kurzschließen, durch (mehrmals übrigens falsch geschriebene) Vokabeln wie »Event Design«, »Corporate Identity« und »Logo« die Selbstdarstellungen und Verblendungsdramaturgien auf der Pariser Weltausstellung 1937 sowie Herrschaftssymbole, darunter das Hakenkreuz, hinreichend charakterisieren zu können. Der behauptete Bezug des Ganzen »auf Fragen und Probleme unserer Gegenwart« - in Wahrheit nur ein Vordergrundrauschen. Die Leseecke der Ausstellung hält von westdeutschen Historikern und Kunstwissenschaftlern wie Wieland Elfferding, Bertholdt Hinz und Joachim Petsch in den letzten Jahrzehnten veröffentlichte Bücher zur NS-Kultur und ihren geschichtlichen Kontexten bereit. Sie werden von den Machern selbst aber nur gelegentlich und nur schlagzeilenartig zitiert, sogar mit Floskeln wie »Betroffenheit« und »pathetischer Protest« abgetan. Hätten sie diese Forschungsergebnisse ernstgenommen, selbstständig durchdrungen und weitergeführt, wäre ihr Vorhaben der »aktiven Auseinandersetzung« mit dem »Design im Nationalsozialismus« wahrscheinlich geglückt. Bis 11. November. Kestner-Museum, Trammplatz 3, 30159 Hannover: »Schön, ordentlich, deutsch«. Design im Nationalsozialismus. Di-So 11-18, Mi bis 20 Uhr. CD-ROM 20 DM.
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