Schmählings Lob und Krauses Irrtum

Der NVA-Nachrichtendienst - ein erfolgorientiertes Unternehmen

  • Franz-Karl Hitze
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.
In der Flut der Geheimdienst-Literatur findet sich kaum etwas über den Militärischen Nachrichtendienst der NVA. Weil dieser Bereich Aufklärung ein Teil des Hauptstabes des Ministeriums für Nationale Verteidigung der DDR war und die dort tätigen Offiziere sich selbst nicht als Geheimdienstler verstanden? Sie leisteten eine Arbeit, die es in jeder anderen Armee der Welt gab und gibt: Truppenaufklärung bei den Land- und Luftstreitkräften sowie der Marine anderer Staaten. Diese wurde in der DDR vor allem als elektronische und Fernmeldeaufklärung geführt. Hinzu kam die Beschaffung von militärischen Geheimnissen des Gegners mit den klassischen nachrichtendienstlichen Methoden. Die Gegner waren die Bundesrepublik Deutschland und die NATO-Armeen. Im Bereich Aufklärung war die »Verwaltung Aufklärung« die kleinste, aber effektivste Truppe. Mit Hilfe so genannter Agenturen wurde hinter den Linien des Gegners Material beschafft. Eingespannt waren hierin auch die Militärattachés. Im Frühjahr 1990 wurde die Tätigkeit der Verwaltung Aufklärung eingestellt, die Drähte zu 138 konspirativen Mitarbeitern im Westen wurden gekappt. Egon Bahr, der damals politischer Berater des DDR-Abrüstungsministers Eppelmann, war, erinnert sich, dass sich eines Tages bei ihm ein Oberst, sehr vorschriftsmäßig und etwas preußisch, gemeldet habe. Dieser habe sich als stellvertretender Chef des Militärischen Nachrichtendienstes der NVA vorgestellt. Er habe die Arbeit seines Apparates gelobt: Man verfüge über sehr genaue und detaillierte Kenntnisse der Streitkräfte der Bundesrepublik. Schließlich habe der Oberst ihm stolz zwei Bände mit Berichten und Tabellen auf den Tisch gelegt, in denen sämtliche militärischen Erkenntnisse über Einheiten des Gegners im Westen dokumentiert gewesen seien. Bahr habe die brisanten Dokumente mit nach Bonn genommen und dort dem zuständigen General der Bundeswehr vorgelegt. Der habe freimütig gestanden, man wüsste nichts von der Existenz dieses militärischen Geheimdienstes der NVA - was Buchautor Klaus Behling lakonisch relativiert: »zumindest nicht sehr viel«. Der bei Bahr vorstellig gewordene NVA-Oberst jedenfalls habe nun wissen wollen, was aus seiner Truppe werde. Nun, sie ereilte das gleiche Schicksal wie andere Einheiten, wurde aufgelöst. Die Offiziere blieben aber unbehelligt von bundesdeutscher Strafjustiz. Deren später bekannt gewordene Informanten in der BRD nicht, wie Rainer Rupp, Dieter Popp, Klaus Kuron, Dieter Feuerstein und einige andere. Behling erinnert an die Gründung der Verwaltung Aufklärung (am 1. Juli 1952), beschreibt Leitung und Ausbildung im Laufe der Jahre, gewährt einen Einblick in die Berliner Oberspreestraße, dem Sitz des Hauptquartiers, berichtet über Sicherheitsvorkehrungen und operativ-technische Sicherstellung. Zur Verwaltung Aufklärung gehörte auch die Aufklärer-Schule in Klietz. Behling informiert über Umfang, Intensität und Erfolge dieses Nachrichtendienstes. Er zitiert Elmar Schmähling, 1982/83 Chef des westdeutschen Pendants, des Militärischen Abschirmdienstes (MAD), der dereinst meinte, dass »diese leistungsfähige Truppe mit den westlichen Diensten Katz und Maus spielen konnte«. Der geheime Nachrichtendienst der NVA besorgte Alarm- und Versorgungspläne der Bundeswehr, Funkbetriebsunterlagen und Dokumente über die »elektronische Kampfführung«, Produktionsunterlagen für Kampfflugzeuge, Pläne für Truppenverlegungen und NATO-Manöver. Beobachtet wurden von ihm die Aktivitäten des MAD ebenso wie des BND. Behling berichtet auch über von bundesdeutscher Seite geführte Gegenschläge, einschließlich Abwerbungsversuche. Nach dem Tod von DDR-Verteidigungsminister Heinz Hoffmann (1985) erfuhr dessen Sohn Jura, welche Summen dabei mit im Spiele waren. 1986 bot ein BND-Mittelsmann dem DDR-Militärattaché in Wien eine Million D-Mark für dessen erhofften Übertritt an. Die Abwerbung scheiterte. Der Militärattaché meldete den Anbahnungsversuch der Abwehr des MfS. Der letzte Chef des Militärischen Nachrichtendienstes der NVA, Generalleutnant Alfred Krause, hatte am 13. September 1990 dem Pfarrer a.D. und nunmehr zuständigen Minister Eppelmann vorschriftsmäßig gemeldet: »Die Vernichtung personengebundener Akten des Informationszentrums erfolgte entsprechend dem Befehl 1206/90 des Ministers für Nationale Verteidigung vom 16.3.1990..., wonach alle personellen, materiellen und finanziellen Nachweise, Karteien, Akten und sonstigen Unterlagen zu vernichten waren.« Krause ahnte nicht, welchem Irrtum er da aufgesessen war. Die Bundeswehr übernahm zwar am 3. Oktober 1990 die Räumlichkeiten in der Oberspreestraße besenrein. Doch im zentralen MfS-Archiv wurden später völlig unerwartet 73 laufende Meter Akten entdeckt, die alle geheimen Aktivitäten des NVA-Nachrichtendienstes dokumentierten. Dies ist die Crux geheimdienstlicher Tätigkeit: wenn mehr Papier beschrieben und aufbewahrt wird als es die Konspiration erlaubt! Behling hat jahrelange recherchiert, Akten studiert und mit Insidern gesprochen. In seinem Buch ist alles Wichtige und Wesentliche zusammenge...

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