Beinahe nicht geboren

Auf den Spuren von Peter Paul Rubens

  • Renate Hoffmann
  • Lesedauer: ca. 5.0 Min.
Man weiß es - doch seltsam bleibt es. Peter Paul Rubens, Großmeister barocker Malerei, Sohn des Juristen und Mitglieds der Stadtverwaltung Antwerpen Dr. Jan Rubens und seiner Frau Maria, erblickte die Welt im westfälischen Siegen. Hätte sie um Haaresbreite fast nicht erblickt. Welcher Verlust für die Kunst, wenn ... Der Geburtstag ist nicht auf die Stunde gesichert. Man einigte sich auf den 28. Juni des Jahres 1577. Um den Geburtsort stritten sich lange Zeit Antwerpen und Köln. Bis Siegen - deus ex machina - den Ruhm einheimste. Die Umstände von Sein oder Nichtsein des Peter Paul Rubens wurden damals vom Klatschbedürfnis der europäischen Höfe genussvoll aufgesogen. Was die Geburt Peter Pauls in Siegen anbelangt, so gaben weit reichende historische Ereignisse den Anschub. Vorgeschichte, zeitgerafft: Glaubenskämpfe, letztlich Machtkämpfe zwischen Spanien und den Niederlanden. Wilhelm I. Prinz von Oranien, Graf von Nassau-Breda und Statthalter verschiedener niederländischer Provinzen, verlässt 1567 vorübergehend niederländischen Boden. Er wendet sich mit Hofstaat und Gemahlin den nassauischen Stammlanden zu. Und wird nachfolgend Schlüsselfigur im Befreiungskampf der Niederländer. Seine derzeitige Angetraute heißt Anna, gewesene Herzogin von Sachsen. Ihr fällt späterhin eine der Hauptrollen im Rubensschen Familiendrama zu. In den Niederlanden leiden protestantische Gruppen zunehmend unter Drangsal und Verfolgung. 1568 beginnt die Emigrationswelle. Im selben Jahr geht Jan Rubens mit Frau und Kindern, seines calvinistischen Glaubens wegen, außer Landes. Nach Köln. Wilhelm von Oranien sammelt ein Heer und zieht wieder westwärts. Gegen Herzog Alba. Prinzessin Anna - ihrem Porträt nach eine schöne, kapriziöse Frau mit lebhaften Augen - übersiedelt von der Dillenburg nach Köln. Die Handelnden sind beisammen. Das pikante Spiel beginnt. Alba, Zug um Zug, konfisziert die oranischen Besitzungen, darunter auch Annas Eigentum. Sie nimmt einen Rechtsstreit auf. Doktor Jan Rubens wird ihr juristischer Betreuer. Er begleitet sie zu den Höfen ihrer Verwandtschaft in Nassau und Hessen, wo sie Beistand sucht. Unvermeidbar wohl und dem schicksalhaften Verlauf in die Hand spielend, bahnt sich ein vertraulicher Austausch an. Zwischen Anna und Familie Rubens. Zunehmend zwischen Anna und Jan. - Er bekennt später im Detail: Bereits in Köln hätten sie begonnen »sich gegenseitig Blicke zuzuwerfen und sich Zeichen natürlicher Liebe zu geben, ohne indes weiter gegangen zu sein, als bis zum einfachen Küssen«. Dabei bleibt es naturgemäß nicht. Der Jurist übernimmt auch die erotische Betreuung seiner Klientin. Sogar Ort und Stunde des ersten Lustlagers sind bekannt. Stattgehabt im »nassauischen Burghaus zu Straßebersbach« (zwischen Marburg und Siegen), am 15. Juni, nach dem Abendessen. Ähnliche lustbetonte Zusammenkünfte folgen. Trotz diplomatischer Missionen und militärischer Aktionen müht sich Wilhelm, der Oranier, noch immer um den Erhalt seiner Ehe. Im September 1570 trifft er Anna letztmalig in Siegen. Ohne mit ihr Einvernehmen zu erreichen. - Die Nassauer in Dillenburg wissen längst um die außereheliche Liaison ihres flatterhaften Familienmitglieds. Anna und Jan unterliegen strenger Observation. Die Beweise häufen sich. Und als die Prinzessin ihren Rubens nach Siegen einlädt, im März des Folgejahres, macht er sich zwar auf den Weg - kommt aber nicht an. Vor den Toren der Stadt erwartet ihn die Verhaftung. Aus und Schluss! Ehebruch gilt nach dem Gesetz als schweres, strafbares Vergehen. Der Advokat weiß, dass ihm die Todesstrafe droht. Man bringt ihn nach Dillenburg in Gewahrsam. Nun geraten die beiden Frauen in Unruhe. Jan ist nicht in Köln, in Siegen ist er nicht. Wo ist er dann? Sein schriftliches Geständnis des Hergangs bringt die Aufklärung. Man legt es Prinzessin Anna vor. Sie liest und ist entsetzt: »A! a! ruebens, ruebens, wie hadt eure Zunge so liberal gewest, zu publicieren euer und meine schandt. Ich hedt euch solches nicht beithraudt«.- Dergestalt in die Enge getrieben, bekennt auch sie sich zum Vorgefallenen. Jedoch großherziger als Herr »ruebens«: Er sei mehr zu entschuldigen als sie, »denn die Männer nehmen es allweg an, wie man ihnen will vawor (faveur - Gunst, d. A.) tun!«, gibt die hellsichtige Anna zu Protokoll. Und gerät, gleich ihrem Liebhaber, in Haft. Sei's drum. Ehefrau und Geliebte, beide betrogen, beginnen den zähen Kampf um das Leben des Jan Rubens. Maria Rubens, geborene Pypelinck, geht zum nassauischen Hof, bringt Bittgesuche auf den Weg, wechselt Briefe mit ihrem Mann - und verzeiht ihm: »... schreibe doch nicht mehr in Zukunft, dein unwürdiger Mann, denn es ist ja alles vergeben.« Prinzessin Anna indessen wird am 22. August 1571 von einem Mädchen entbunden, genannt Christina von Diez. Prinz Wilhelm, als »Vater des Vaterlandes« von den Niederländern geehrt, hält sich aber nicht für den Vater dieser Tochter! Eines ist gewiss: Die junge Dame gilt als Stiefschwester Peter Pauls, wenn er denn auf die Welt kommt. Anna bleibt ihr Leben lang eine Gefangene. Jan darf Dillenburg nach zwei Jahren verlassen, jedoch mit strengen Auflagen versehen. Außerdem hatte Maria, aus begütertem Hause stammend, mit einer Kaution von 6000 Talern nachgeholfen. Die Rubens' nehmen Wohnsitz in Siegen - auf nassauischem Gebiet - so will es eine der Forderungen. Hier nun und deshalb, und letztlich der Kulanz zweier Frauen zu danken, wird er 1577 in Siegen geboren. Peter Paul Rubens. Die Stadt wuchert mit diesem kulturellen Pfund, obwohl das berühmte Kleinstkind mit Eltern und Geschwistern bereits ein Jahr später (1578) nach Köln übersiedelte. Aber: Hic natus est! Im Oberen Schloss, mit nassauischem Wappenstein geziert, und von einer gefälligen Rundsicht umgeben, besuche ich den Rubenssaal. Acht Gemälde von seiner Hand, beziehungsweise aus seiner Werkstatt sind präsent. Vor dem Selbstporträt des etwa Achtundvierzigjährigen verweile ich. Ob er die Rubenssche Familientragik kannte, die seiner Geburt vorausging? Draußen im sommerlich getönten Schlosspark plätschert der Rubensbrunnen, Symbol des Städtestreites um Peter Pauls Geburtsort. Dazu ein wohlgesetztes Distichon: »Wie um die Wiege Homers nach Jahrhunderten sieben der Städte / Also stritten um dich, Rubens, der Städte sich drei ...« doch »Siegen zeigte zuerst ihm die Welt im Reize der Farben ...« Mag sein; aber des Knaben Weltbild bestand zu dieser Zeit wohl eher aus Nahrungsaufnahme, Schlafen und Schreien. Das Geburtshaus fehlt noch. Man suchte akribisch - und fand! Ich suchte ebenso und stand am bezeichneten Ort, Burgstraße Nummer 10 - im Pausentrubel der Städtischen Aufbaurealschule. Rekordergedudel, Stimmengewirr, Lachen. Von den jungen Leuten wird mir die Informationstafel gewiesen: »Hier stand ... Rubens Geburtshaus«. Erbaut 1536 für Junker Meffried von Brambach, Amtmann zu Siegen. Seine Söhne vermieteten das Anwesen »von 1573 bis 1578 an den Antwerpener Advokaten Dr. Johann Rubens und seine Familie«. - Das Brambachsc...

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