Mehr Gewalt und eine sinkende Hemmschwelle
Streit um Trends in der Jugendkriminalität Von Rainer Funke
Was ist hoch, was niedrig, wenn es um Fallzahlen der Kriminalität geht? Schulsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) jedenfalls findet, daß sich Jugendkriminalität um 20 Prozent verringert hat. 1996 seien 759, im Jahr darauf 720 und 1998 nur noch 577 Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren in Polizeigewahrsam genommen oder einem Bereitschaftsgericht vorgeführt worden. Frau Stahmer sieht in diesen Zahlen »ein Indiz dafür, daß der Trend der ständig steigenden Jugendkriminalität gebrochen ist«. Das Klima
scheine sich langsam aber sicher zu verbessern, so die Senatorin, und lobte ausdrücklich neben anderen auch die Polizei und deren »verbesserte Maßnahmen«.
Dort zieht man allerdings höchst erstaunt die Stirn in Falten. Denn weniger junge Leute vor dem Vernehmungsrichter seien keineswegs ein Hinweis auf sinkenden Kriminalitätszahlen, hieß es bei der Gewerkschaft der Polizei. Vielmehr wisse man, daß Staatsanwälte und Richter auch im Jugendbereich ständig überlastet seien. Man schiebt eine erhebliche Zahl von Verfahren vor sich her
Und ohnehin können Jugendliche nur festgenommen und dem Haftrichter vorgeführt werden, wenn kein fester Wohn-
sitz existiert, es zu einem Schwerverbrechen gekommen ist sowie eine unmittelbare Verdunklungs- oder Wiederholungsgefahr vorliegt. Solche Kriterien treffen aber lediglich auf einen nicht allzu umfangreichen Teil der Straftaten zu. Wodurch die Statistik rasch ein schiefes Bild vermittelt.
Mit 50 000 Tatverdächtigen im Jugendalter rechnet GdP-Chef Eberhard Schönberg für 1998. Das sei beileibe kein Grund zur Entwarnung, meint er Die Jugendkriminalität verharre vielmehr auf hohem Niveau.
Unterdessen hält die Tendenz zu brutal ausgeführten Straftaten bei stetig sinkender Hemmschwelle weiter an, vor allem bei Kindern. Etwa 37 Prozent der Täter setzen Waffen ein. Und rund 44 Prozent sind jederzeit bereit, rücksichtslos Schußwaffen einzusetzen. Die Zahl der Fälle von Jugendgruppengewalt hat sich seit 1992 verdoppelt. Derzeit entstammt mindestens jeder vierte Täter dem Jugendalter. Bei der GdP befürchtet man für die nächsten Jahre einen weiteren Anstieg in unserer Stadt.
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